Problemkind Schule - es braucht "Kommunikation" und "Motivation"
Mit dem Bildungssystem läuft etwas verkehrt, darüber herrscht ungewohnte Einigkeit. Politiker, Lehrer, Eltern und Schüler, fast alle Beteiligten wollen, dass sich etwas ändert. Nur was? APA-Science hat mit den Gründern der Bildungsinitiative Framework Education einen kritischen Blick auf das Bildungssystem geworfen.
Weder Rechtschreibreformen wie die des großen, scharfen 'ß' 2017 (ein Umstand, der die handelsübliche Computertastatur noch nicht erreicht hat), noch die Umbenennung und geplante Einführung neuer Schultypen (seit 2018 heißen die Hauptschulen "Neue Mittelschule", die Ganztagsschule ist bis auf wenige Ausnahmen noch ein ferner Traum), noch neue Schulfächer (die Rede ist oft von Ethik statt Religion, von verstärktem Informatik-Unterricht, von Teambuildingkompetenzen) scheinen die allgemeine Zustimmung der betroffenen Parteien zu finden.
Für Lennart Reymann, Mitgründer der Bildungsinitiative "Framework Education", ist das größte Problem die fehlende Kommunikation. "Es gehört mehr miteinander geredet. Wenn es um die Sinnhaftigkeit von Reformen geht, gehört das nicht im Parteikämmerchen ausgebrütet, sondern muss mit Schulen und parteiübergreifend diskutiert werden, und nicht von den Gewerkschaften. Mit Leuten, die wirklich das Bildungssystem verbessern wollen." Das Ziel von Framework Education ist es deshalb, ein Netzwerk aufzubauen, das einen europaweiten Austausch über sämtliche in unterschiedlichen Bildungssystemen anfallende Themen ermöglicht. Dafür analysiert das Team rund um Reymann und Mitgründerin Amke Lehr Herausforderungen und Best Practice Beispiele internationaler Schulsysteme. Die Ergebnisse werden in Form von Blogs, Vlogs (Anm.: Video-Blogs) und Podcasts publiziert.
Back to Basics?
Ein weiteres Problem des Bildungssystems ist laut Lehr das vermittelte Wissen: "Es heißt immer, wir lernen heute Skills, die man in 20 Jahren nicht mehr braucht. Wie soll man heute schon wissen, was man für Jobs in der Zukunft braucht? Deshalb sollte man den Kindern viel breitere Kompetenzen beibringen, anstatt nur fokussiert irgendwelche Sachen zu lernen." Teamkompetenzen, die Fähigkeit, sich selbst zu beschäftigen, Kreativität - "Das sind Sachen, die funktionieren im Großteil der Schulen nur in Projekten", führte Reymann aus. "Danach heißt es, 'Hurra, wir sind teamfähig'." Wissensvermittlung funktioniere fast überall rein über Frontalunterricht, abgeprüft würde dann über Tests, "im schlimmsten Fall über Multiple Choice. Das sind einfach keine Rahmenbedingungen, die solche Fähigkeiten fördern."
Ein Negativbeispiel sei die sogenannte "Back to Basics"-Bewegung in den USA, die im Curriculum einen Schwerpunkt auf die drei R's "Reading, wRiting and aRithmetic" (dt.: Lesen, Schreiben und Rechnen) legt. "Da wird immer mehr Zeit von den kreativen Fächern genommen und in Mathe und Englisch gesteckt", erklärte Reymann. "Es sollte darum gehen, ein soziales Miteinander zu schaffen, kreativ und gemeinschaftlich Probleme zu lösen und auf das Umfeld zu achten."
Motivation verspricht Erfolg
Der größte Erfolgsfaktor, sind sich die beiden einig, ist ein motivierter Lehrkörper unter kompetenter Leitung. "Es spricht etwas gegen die Ausbildung der Lehrkräfte, so wie sie jetzt ist", so Reymann. "Was sagt das Bildungssystem angehenden Lehrkräften? 'Habe ein sicheres Einkommen und unterrichte frontal.' Da geht es sehr wenig um Kinder, sehr wenig darum, dass das der wichtigste Beruf ist, den das Land zu bieten hat." Der Lehrberuf müsse an Prestige gewinnen, Entfaltungsmöglichkeiten bieten, und auch nach 20 Jahren des Unterrichtens die Lehrer noch weiterbilden. Dass sich dann trotz stärkerer Selektion der Lehramtsstudenten genug Personen für die Ausbildung finden würden, davon sind beide überzeugt.
Problematisch seien hier erneut Multiple Choice Tests. "Wenn man in der Ausbildung lernt, offenen Unterricht zu machen, und das Ganze dann in Multiple Choice Verfahren abgefragt wird, kann man nicht erwarten, dass die angehenden Lehrkräfte in Schulen so unterrichten. Sie werden stattdessen zu Multiple Choice Tests greifen," betonte Reymann.
Problematische Reformen und interessante Initiativen
DAS Land, das sich Österreich bildungstechnisch zum Vorbild nehmen könnte, gebe es nicht. Unterschiedliche Rahmenbedingungen, historischer Hintergrund und kulturelle Unterschiede würden es unmöglich machen, "ein Bildungssystem copy-paste in ein anderes Land zu bringen", so Reymann. Es gebe gute Ansätze und Ideen, die einen Blick lohnen würden - dabei müsse man aber nicht unbedingt über die eigenen Grenzen hinaus schauen. Viele der Reformen und Verbesserungsvorschläge in Österreich seien sehr gut, betonte Lehr, nur würde die Umsetzung das nicht wiedergeben.
"Ein großes Problem sind die inhaltlichen Strukturen", erklärte Reymann am Beispiel des Bremer Bildungskonsenses. Im Rahmen eines parteiübergreifenden Reformpakets wurde ab 2008 über einen Zeitraum von zehn Jahren das Bremer Bildungssystem umgekrempelt, um das flächenkleinste deutsche Bundesland von den hintersten Plätzen nationaler und internationaler Rankings nach oben Richtung Spitze zu befördern. Dafür wurde vor allem die Anzahl der Schultypen (bis dahin gab es in Bremen sehr viele) drastisch reduziert. Nach zehn Jahren Reform zeigt sich aber, dass sich an der Leistung der Schüler und dem Abschneiden Bremens bei Rankings kaum etwas geändert hat. "Sie haben diese riesige Reform gefahren und festgestellt, dass die Bildung sich dadurch nicht verbessert hat", resümierte Reymann. "Rausgekommen ist, dass die Struktur verändert wurde, sich aber am Unterricht an sich nichts geändert hat."
Zur Gründung von Framework Education haben Lehr und Reymann ihre Erfahrungen als sogenannte "Fellows" von Teach For Austria bewogen. Die Bildungsinitiative schickt Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen an Neue Mittelschulen und Polytechnische Schulen in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich, wo die Fellows zur Unterstützung von sozioökonomisch benachteiligten Schülern für rund zwei Jahre als vollwertige Lehrkräfte angestellt werden. "Wir haben gesehen, dass viele Lehrkräfte frustriert sind - weil immer wieder Reformen kommen, weil man nicht weiß, was die nächste Reform eigentlich bringen soll oder wo das nächste Jahr hinführt", beschrieb Reymann seine Erfahrungen. "Wir haben gesehen, dass viele Gruppierungen auf Mikroebene versuchen, Best-Practice-Beispiele untereinander auszutauschen oder engagierte, junge Menschen in den Unterricht zu bringen. Aber wir haben niemanden gesehen, der auf systemischer Ebene versucht hat, etwas zu verändern, Lehrkräfte, Direktoren, Vertreter der Regierung und Ministerien zusammenzubringen. Wir haben uns gesagt, es braucht diesen Link."
Bildungsakteure zusammenbringen
Die Verbindung dieser Schlüsselakteure soll beispielsweise durch die Policy Academy hergestellt werden. Ab Sommer 2019 will Framework Education Entscheidungsträger des Bildungssystems zusammenbringen. Schüler, Direktoren, junge Politiker von morgen, etc. sollen im Rahmen der Academy ein Jahr lang jedes Monat über Bildungsthemen diskutieren. "Das Ziel ist eine Professionalisierung des Dialogs und vor allem eine Verbreiterung des Blickwinkels", erläuterte Reymann. Wir haben alle unterschiedliche Vorstellungen davon, was Bildung ist. Wir sollten uns alle zunächst auf eine Definition einigen, bevor wir aneinander vorbeireden." Zu Beginn noch ein österreichisches Projekt, wollen Reymann und Lehr die Academy in den nächsten Jahren auf Europa ausweiten. "Der europäische Fokus ist unser Ansatzpunkt", erklärte Reymann. "Es braucht den Blick über den Tellerrand."
Von Anna Riedler / APA-Science