Zwei Jahre Pandemie: Universitätsprofessor*innen ziehen Bilanz
Die COVID-19-Pandemie hatte aus Sicht der österreichischen Universitätsprofessor*innen sowohl negative als auch positive Effekte. Es kam zu einer Verringerung der Forschungskooperationen mit anderen Universitäten und der Wirtschaft, zu viel Online-Lehre mit einem sehr hohen Aufwand für die Unterrichtsvorbereitung, einem überbordenden Verwaltungsaufwand und psychischer Belastung. Als positiv wahrgenommen wurde ein allgemein gestiegenes öffentliches Interesse an Forschung, die technische Aufrüstung der Hörsäle, ein hoher Kompetenzzuwachs in der Online-Lehre und der zeitsparende Zugang zu Online-Meetings und Online-Konferenzen.
Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des unabhängigen und gemeinnützigen Forschungsinstituts WPZ Research1 in Kooperation mit dem Verband der Professorinnen und Professoren der österreichischen Universitäten (UPV)2 an der über 100 Universitätsprofessor*innen im April/Mai 2022 teilnahmen. Ziel dieser Befragung war es, die Situation an den Universitäten nach zwei Jahren Pandemie sowie künftige Entwicklungen mit Fokus auf Forschung, Lehre und Verwaltung aus Sicht der Universitätsprofessor*innen zu erfassen.
Auswirkungen auf Forschung, Forschungskooperation und Wissenschaftskommunikation
Eine global vernetzte Wissenschaft sowie Forschungskooperationen der Universitäten mit öffentlichen Einrichtungen und der Wirtschaft sind eine treibende Kraft für neue Entwicklungen und damit unentbehrliche Säulen zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Agenda 2030). Die COVID-19-Pandemie zeigte die Bedeutung dieses weltweiten Austauschs von Forschungsergebnissen und der Kooperationen der Universitäten mit den Pharmakonzernen auf und ermöglichte so die Bekämpfung der Pandemie
Über zwei Jahre Pandemie hatten aus Sicht der Universitätsprofessor*innen mehrheitlich negative Auswirkungen auf die Forschungskooperation mit anderen Universitäten und mit der Wirtschaft (siehe Abbildung 1). Die Möglichkeiten zur Forschungskooperation mit anderen Universitäten beurteilten nach zwei Jahren Pandemie fast zwei Drittel der Professor*innen als etwas bis viel niedriger.
Die Möglichkeiten zur Forschungskooperation mit der Wirtschaft wurden von 48 % als etwas bis viel niedriger beurteilt und für 46 % blieb die Situation unverändert, aber positive Effekte gab es kaum. Eine weitgehend unveränderte Situation berichteten die Professor*innen in Bezug auf den Transfer von Forschungsergebnissen in die Gesellschaft (Third Mission), auf den eigenen Forschungsoutput oder auf die Möglichkeiten zur Einwerbung kompetitiver Forschungsförderungen.
Die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb des eigenen Arbeitsbereichs beurteilten 40 % der Professor*innen als etwas niedriger und 20 % als viel niedriger. Aus Sicht einiger Professor*innen sei dies ein Problem, denn Forschung braucht den persönlichen und informellen Diskurs in Präsenz, weil Online-Meetings hierfür zu wenig effektiv seien. Zum Zeitpunkt der Befragung, nachdem sich der Betrieb an den Universitäten wieder weitgehend normalisierte, waren noch 76 % der Professor*innen und 81 % der wissenschaftliche Mitarbeiter*innen zumindest teilweise im Home-Office (17 % der Professor*innen und 9 % der wissenschaftliche Mitarbeiter*innen waren zu mindestens 50 % im Home-Office).
Positive Auswirkungen auf die Forschung sahen die Universitätsprofessor*innen in einem allgemein gestiegenen öffentlichen Interesse an Forschung. Speziell die Naturwissenschaften hätten hierbei an Stellenwert in der Gesellschaft gewonnen. Die Pandemie habe den Stellenwert einer guten Wissenschaftskommunikation herausgestrichen, aber auch gezeigt, wie wenig wir als Gesellschaft mit Wahrscheinlichkeiten und noch nicht vollständig gesichertem Wissen umgehen können. Ebenfalls positiv wurde von den Professor*innen hervorgehoben, dass die Online-Konferenzen eine höhere Einbindung internationaler Forscher*innen ermöglicht hätten. Für die Zukunft erwarten sich die Professor*innen, dass der internationale Austausch weiter anekurbelt wird und dass wieder mehr Zeit für Forschung zur Verfügung stehen wird (durch weniger Verwaltungstätigkeiten, mehr Budget und Personalstellen, Reduktion der realen Lehrverpflichtung und mehr Kinderbetreuungszeiten). Befürchtet wird hingegen, dass die Reisetätigkeit niedrig bleibt und es dadurch zu einem Rückgang der internationalen Mobilität kommt, die Krisen sich negativ auf die Finanzierung der Forschung (zumindest in bestimmten Feldern) und der Universitäten auswirken könnten oder durch die Teuerung Projekte vorzeitig beendet werden müssen. Andererseits würden die Krisen auch Chancen auf lösungsorientierte Forschungen in den unterschiedlichsten Anwendungsfeldern ermöglichen.
Auswirkungen auf die universitäre Lehre
Im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie mussten die Universitäten ihren Studienbetrieb in sehr kurzer Zeit weitgehend auf Distance Learning umstellen.
Die Universitäten waren dabei gefordert, die dafür notwendige technische Infrastruktur inklusive technischer Serviceleistungen kurzfristig bereit zu stellen. Für Lehrende bedeutete dies in vielen Fällen, dass sie sich die didaktischen Vorteile neuer Medien aneignen mussten. Durch das hohe Engagement der Lehrenden wurde jedoch die Online-Lehre in wenigen Monaten zur gängigen Praxis.
Diese Änderungen im Studienbetrieb führten, nach Ergebnissen dieser Befragung, sowohl zu negativen als auch positiven Auswirkungen (siehe Abbildung 2). Die Universitätsprofessor*innen berichteten, dass die Intensität der Zusammenarbeit mit ihren Studierenden deutlich geringer war (43 % viel geringer und 34 % etwas geringer) und auch die Möglichkeiten internationale Doktorand*innen an die Uni zu holen waren zum Zeitpunkt der Befragung für 39 % noch immer etwas und für 23 % viel geringer.
Der Aufwand für die Unterrichtsvorbereitung der Online-Lehre hatte sich im Vergleich zur Präsenz-Lehre im Hörsaal wesentlich erhöht (für 77 % war der Aufwand etwas bis viel höher), jedoch konnte die Mehrheit der Professor*innen (93 %) ihre Kompetenzen bezüglich Online-Lehre deutlich verbessern. Nach über zwei Jahren Distance Learning sank allerdings die Freude Lehrveranstaltungen online abzuhalten und war für mehr als die Hälfte (52 %) der Professor*innen etwas bis viel niedriger. Gesondert gefragt nach ihrer Freude, Lehrveranstaltungen wieder im Hörsaal abzuhalten, gaben drei Viertel der Professor*innen an, dass diese etwas bis viel höher sei.
Das Angebot des Equipments in den Hörsälen sowie Möglichkeiten, technische Unterstützung zu erhalten, wurden von zwei Drittel der Antwortenden als etwas bis viel höher beschrieben. Für die Zukunft erwarten sich die Professor*innen, dass wieder mehr direkte Kontakte mit den Studierenden möglich sind, eine gute Balance zwischen Online und Präsenz gefunden werden kann, bestehende Mängel mit der Technik behoben und Möglichkeiten gefunden werden, dass alle Studierenden von der Online-Lehre profitieren. Befürchtet wird, dass sich die Universitäten zu Fernuniversitäten entwickeln und universitäre Lehre von Studierenden zukünftig wie ein "Fernsehprogramm konsumiert wird".
Auswirkungen auf Verwaltungs- und Organisationstätigkeiten
Nach zwei Jahren Pandemie berichteten die Universitätsprofessor*innen großteils negative Auswirkungen auf ihre Verwaltungs- und Organisationstätigkeiten. 97 % der Professor*innen berichteten, dass das Ausmaß, wie sehr die Online-Kommunikation Arbeitszeit bindet, etwas bis viel umfangreicher wurde. Das Ausmaß an schriftlicher Kommunikation (z.B. E-Mail oder Messenger-Dienste) wurde für 85 % etwas bis viel umfangreicher. Auch wurden Schwierigkeiten bei Aushandlungsprozessen in online-Formaten im Vergleich zu Face-to-Face-Settings von 51 % als etwas und von 35 % als viel umfangreicher wahrgenommen.
Darüber hinaus stiegen durch die Pandemie die Schwierigkeiten bei der Neubesetzung von Stellen sowie der Aufwand für die Qualitätssicherung in der Lehre (siehe Abbildung 3). Weitgehend unverändert blieb aus Sicht der Professor*innen das Auskommen mit dem zur Verfügung stehenden Jahresbudget, doch wurde eine deutliche Verschiebung der Ausgaben berichtet: Beispielsweise waren die Ausgaben für Reisekosten geringer (kaum Dienstreisen und primär Online-Vorträge auf Konferenzen, weniger Kosten für Gastvortragende), jedoch fielen höhere Kosten für Software und IT an (z.B. Kosten für die Anschaffung von Laptops und weitere technische Ausstattungen). Als weitere Gründe für die gestiegenen Mehrkosten in einigen Bereichen wurden primär Universitäts-externe Gründe genannt, wie der Anstieg der Preise von Verbrauchsmaterialien, die primär auf Lieferengpässe zurückgeführt wurden. Aber auch höhere Ausgaben aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie wie bspw. Masken, Desinfektionsmittel und Handschuhe.
Für die Zukunft erwarten sich die Professor*innen, dass die positive Errungenschaften in der Verwaltung, wie beispielsweise der elektronische Austausch von Dokumenten und elektronische Unterschriften, weiterhin möglich sein werden. Befürchtet wird allerdings, dass die Universitäten dies nicht weiterverfolgen könnten und in alte Strukturen zurückfallen würden (z.B. Rückkehr zu Dokumenten in Papierform und traditionelle Unterschriften per Hand).
Auswirkungen auf die Universitätsprofessor*innen selbst
Mehr als zwei Jahre Pandemie hatten auch direkte Auswirkungen auf die Professor*innen. 15 % der Professor*innen gaben an, durch die vergangenen Ereignisse und durch die zum Zeitpunkt der Erhebung vorherrschende Situation, psychisch sehr und 40 % eher belastet zu sein. Weniger als die Hälfte (45 %) fühlten sich eher nicht bis gar nicht psychisch belastet. Ihre Leistungsmotivation sahen 16 % als deutlich und 37 % als etwas vermindert an, während 40 % keine Veränderung an sich wahrnahmen.
Die Einstellung der Universitätsprofessor*innen zu ihrem Beruf verschlechtere sich bei 26 % eher und bei 10 % sogar deutlich. Für 55 % blieb die Einstellung zum Beruf gleich, 9 % der Professor*innen erlebten eine Verbesserung.
Veränderungen in ihrer Einstellung zum Beruf wurden von den Professor*innen sowohl negativ als auch positiv begründet. Einerseits nannten die
Professor*innen fehlende direkte Kontakte, Unzufriedenheit mit der Covid-Politik der Universität (sowohl zu wenige als auch überschießende Maßnahmen), zu hohe Arbeitsbelastung bei einer wahrgenommenen geringen Unterstützung durch die Universität in Bezug auf Personal und Kosten, schwierigere Situation zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis zum Infragestellen des Nutzens der Lehre und Relevanz der eigenen Forschung.
Andererseits wurde positiv hervorgehoben, dass Online-Meetings und bestimmte Online-Prüfungstypen mehr Zeit für Forschung frei machten und halfen, Kosten zu sparen. Zukünftig braucht es laut Universitätsprofessor*innen mehr personelle und finanzielle Unterstützung durch die Universitäten, einen Rückbau des bürokratischen Apparats sowie mehr Autonomie der Arbeitsbereiche bezüglich Home-Office-Regelungen und Covid-Maßnahmen.
Link zur Studie: https://www.wpz-research.com/wp-content/uploads/2022/10/Zwei-Jahre-Pandemie-an-Oesterreichs-Universitaeten_05102022_final.pdf
Kontakt für die Studie: Dr. Andreas Pfaffel WPZ Research (Wien) Mariahilfer Straße 115 1060 Wien Andreas.pfaffel@wpz-research.com