30 Jahre Risikoforschungs-Institut: Atom-Einstieg "nicht anzuraten"
Das Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien begeht dieser Tage sein 30-jähriges Bestehen. Seit der Gründung hat sich die Einrichtung von der Kernkraftsicherheit ausgehend u.a. in Richtung Nano- und Gentechnologie oder Energiesystem-Forschung weiterentwickelt, wie Risikoforscher Nikolaus Müllner der APA erklärte. Selbst angesichts einer Kernkraft-Renaissance andernorts würde er Österreich weiter nicht zum Einstieg raten.
Am Mittwoch (5. Juni) blickt man im Rahmen eines Symposiums unter dem Titel "Gestalten von Technologien in komplexen Systemen" zurück und nach vorne, so der Institutsleiter im Vorfeld der Veranstaltung. Ausgangspunkt für die einstige Gründung des heute "kleinen, feinen Instituts" mit rund 15 Mitarbeitern waren auch die Auseinandersetzungen rund um die grenznahen Atomkraftwerke (AKW) Bohunice, Temelin oder Krško. "Es gab Bedarf an unabhängiger Expertise im Bereich nuklearer Sicherheit - das hat damals gefehlt", sagte Müllner.
Seither habe man einerseits eine beratende Funktion vor allem für die Politik und andererseits viel einschlägige Forschung betrieben. Darüber werden u.a. die Ex-Institutsleiter Wolfgang Kromp und Emmerich Seidelberger beim Symposium berichten. Der Fokus hat sich dann laut Müllner "etwas geweitet" - eben in Richtung anderer Risikofelder in den Energietechnologien und später auch hin zur Technikfolgenabschätzung, vor allem unter Kromps und Seidelbergers Nachfolgern, Wolfgang Liebert und Wolfgang Renneberg.
Letzterer war davor lange Zeit Chef der deutschen Atomaufsichtsbehörde, wie Müllner betonte. Renneberg hat etwa auch die Themen Risikowahrnehmung und -kommunikation vorangetrieben. Wenn es "brannte", wie bei der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011, waren Vertreter des Instituts immer sehr gefragte Kommunikatoren. So bestritt etwa Kromp damals viele Stunden live im ORF-"Zeit im Bild"-Studio. Müllner rückte mit seiner Expertise zuletzt auch im Zuge der russischen Angriffe auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja mehrfach ins mediale Interesse: "Wenn das Institut gefragt wird, geben wir auch sehr gerne Antwort. Ein gewisses Interesse an diesen Themen sollte man auch haben, wenn man selbst keine Kernkraftwerke betreibt", ist Müllner überzeugt.
Bevölkerung durchgehend "stark ablehnend"
Auch wenn im Zuge der Klimakrise die Kernkraft als im Vergleich zu fossilen Energieträgern "saubere" Energieform in vielen Ländern wieder in den Vordergrund rückt, nimmt der Experte zur Zeit kaum Risse in der traditionellen österreichischen Ablehnung wahr. Österreich zeigt sich in einschlägigen Befragungen hier durchgehend "stark ablehnend".
Dass das Land in die Kernenergie einsteigen könnte, sei auch angesichts der drängender werdenden Klimakrise "nicht anzuraten". Zudem: Bis hypothetisch Meiler ans Netz gehen könnten, würde es mindestens 20 bis 30 Jahre dauern. "Man handelt sich auch mit der Endlagerung unglaublich viele Probleme ein", so Müllner. Außerdem: Wenn mit Klimaschutz-Argumenten für neue AKW-Projekte geworben wird, müsse man auch deren oft explodierende Kosten und Zeiträume bis zur Fertigstellung einrechnen.
Stellt man also Kerntechnologie in die Mitte der Energiewende, sollte auch abgeschätzt werden, was passiert, wenn die hochtrabenden Hoffnungen platzen. Das gelte übrigens auch für erneuerbare Energietechnologien, in die "eventuell Erwartungen gesetzt werden, die nicht erfüllt werden". Ein Beispiel seien seit vielen Jahren in den Raum gestellte Anlagen zur Wasserstoffherstellung mit Solarstrom in Wüstengebieten, die sich bisher nicht materialisiert haben. Trotzdem würden manche Länder solche Ideen ins Zentrum ihrer Klimaschutzpläne stellen.
Im Kernkraftbereich seien momentan viele Fragen zu "Small Modular Reactors" (SMRs) offen, die von manchen ebenfalls als potenzielle Helfer beim Klimaschutz angesehen werden und für die es zahlreiche neue Designs gibt. Wie diese einzuschätzen sind, könne man noch nicht sagen. Auch für die Genehmigungsverfahren ist das "eine ziemliche Herausforderung", so der Risikoforscher, der hier gleichzeitig einen starken politischen Wunsch zur raschen Umsetzung wahrnimmt. Dass tatsächlich AKWs in Kriegen zwischen die Fronten geraten können, sei ein weiteres wichtiges, leider hochaktuelles Thema in dem Forschungsfeld. Solche Szenarien wurden in der Vergangenheit "nicht wirklich konsequent durchgedacht". Ebenso gelte es, die neue politische Relevanz von Kernwaffen zu analysieren. Bei diesen und anderen Themen, wie etwa der Neuen Gentechnik, Nanomaterialien und Mikroplastik, möchte man in Wien jedenfalls "dranbleiben", betonte Müllner, der das Institut inhaltlich "konsolidiert" sieht.
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