Münchener Biotech-Erfindung rettet Leukämie-Kinder
Bei der häufigsten Krebserkrankung von Kindern, der akuten lymphoblastischen B-Zell-Leukämie, gibt es nun viel bessere Behandlungschancen. Ein vor rund 20 Jahren in München entwickeltes spezielles Antikörperkonstrukt hat in einer Studie in einem Beobachtungszeitraum von drei Jahren bei 96 Prozent der kleinen Patienten für ein Leben ohne Krankheitszeichen gesorgt, wie eine neue Studie ergeben hat.
Sumit Gupta (Hämatologie und Onkologie/Universität Toronto) und seine Co-Autoren haben ihre wissenschaftliche Untersuchung vergangene Woche beim für die internationale Hämatologie wichtigsten Kongress, dem Meeting der American Society of Hematology (ASH) in San Diego (Kalifornien), präsentiert. Gleichzeitig hat sie die weltweit angesehenste medizinische Fachzeitschrift, das New England Journal of Medicine publiziert. "Die akute lymphoblastische B-Zell-Leukämie ist die häufigste Krebserkrankung von Kindern. Trotz hoher Heilungsraten ist eine lymphoblastische B-Zell-Leukämie mit einem Rückfall eine der häufigsten Krebs-Todesursachen bei Kindern geblieben", schrieben die Experten (DOI: 10.1056/NEJMoa2411680).
30 Prozent der Krebserkrankungen im Kindesalter
Die akute lymphoblastische Leukämie tritt als Erkrankung der Vorläufer von B- oder T-Immunzellen mit einer Häufigkeit von 3,3 Fällen pro 100.000 Menschen unter 15 Jahren pro Jahr auf. Das macht 30 Prozent der Krebserkrankungen im Kindesalter aus. Auf Kinder entfallen auch 60 Prozent aller akuten lymphastischen Leukämien. Am häufigsten sind Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren betroffen.
Seit Jahren gibt es mit einer modernen Chemotherapie an sich gute Behandlungsmöglichkeiten. Doch ebenfalls seit Jahren bemüht sich die Medizin um eine weitere Verbesserung der Heilungschancen, weil bei einem allfälligem Rückfall die Chancen für die Betroffenen nur noch schlecht sind. "Noch immer kommt es bei manchen Kindern nach der Standard-Chemotherapie zu einem Rückfall. Sie haben dann viel schlechtere Chancen", sagte Cynthia Dunbar vom Nationalen Institut für Herz-, Lungen- und hämatologische Erkrankungen der USA bei einem Pressegespräch in San Diego.
Bispezifischer Antikörper
Einen wesentlichen Unterschied dürfte in Zukunft eine zusätzliche Behandlung der Kinder mit neu diagnostizierter akuter lymphoblastischer B-Zell-Leukämie mit dem aus München stammenden bispezifischen Antikörperkonstrukt Blinatumomab ausmachen. Es handelt sich um einen sogenannten BiTE-Antikörper. Das im Vergleich zu monoklonalen Antikörpern verkürzte Konstrukt hat zwei verschiedene Bindungsstellen: Mit einer dockt er an das für B-Lymphozyten charakteristische CD19-Oberflächemolekül an, mit seiner zweiten Bindunsstelle koppelt er an den CD3-Rezeptor der T-Lymphozyten. Damit bringt Blinatumomab die bösartigen B-Zellen mit den T-Zellen zusammen, was zur Zerstörung der B-Zellen führt.
Das Prinzip wurde ursprünglich vom Münchener Immunologen Peter Kufer uns seinen Mitarbeitern entwickelt. 2008 gab es dazu die erste wissenschaftliche Veröffentlichung in "Science". Schließlich übernahm der US-Biotechnologiekonzern Amgen die weitere Entwicklung, indem er die Expertise samt den Entwicklern mit ihrem Forschungszentrum übernahm.
Studie wegen Erfolges abgekürzt
Die jetzt publizierte klinische Studie gibt allen Anstrengungen schlicht und einfach recht. Die Untersuchung wurde im Jahr 2019 gestartet. Aufgenommen werden sollten insgesamt 2.245 Kinder im Alter zwischen einem und zehn Jahren mit neu diagnostizierter akuter lymphoblastischer B-Zell-Leukämie. Die Hälfte sollte eine Chemotherapie bekommen, die andere Hälfte diese Behandlung plus Blinatumomab.
Dann lief alle so gut, dass die Studie abgekürzt werden konnte. "Das Daten- und Sicherheitskomitee sah sich die ersten Zwischenresultate von 1.440 Patienten (722 mit Chemotherapie allein, 718 zusätzlich Blinatumomab) an und empfahl ein früheres Ende der Aufnahme von Patienten", schrieben die Wissenschafter. Die Probanden wurden danach im Mittel 2,5 Jahre lang beobachtet.
96 Prozent ohne Krankheitszeichen
Die Ergebnisse waren ausgesprochen positiv: Auf drei Jahre berechnet, zeigte sich insgesamt ein Anteil von Kindern ohne jegliche Krankheitszeichen nach der Behandlung mit Chemotherapie plus dem bispezifischen Antikörperkonstrukt von 96 Prozent. In der Gruppe mit Chemotherapie allein waren es 87,9 Prozent. In einer Untergruppe mit durchschnittlichem Rückfallrisiko blieben 97,5 Prozent ohne alle Krankheitszeichen (Chemotherapie allein: 90,2 Prozent). In einer Hochrisiko-Untergruppe lagen diese Anteile bei 94,1 bzw. bei 84,8 Prozent.
Rachel Rau vom Kinderspital der Universität des US-Bundesstaates Washington (Seattle) und Co-Autorin der Untersuchung erklärte dazu: "Unsere Ergebnisse ergeben mit Blinatumomab zusätzlich zu einer Chemotherapie einen neuen Behandlungsstandard für die meisten Patienten mit akuter lymphoblastischer B-Zell-Leukämie." Die neue Behandlung verbesserte die Häufigkeit eines Überlebens ohne Krankheitszeichen auf drei Jahre berechnet um 61 Prozent.