Städte haben Einfluss auf implizite Vorurteile ihrer Einwohner
Städte haben Einfluss darauf, ob und in welchem Ausmaß ihre Einwohner implizite rassistische Vorurteile haben. Das zeigt eine im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichte Studie von Komplexitätsforschern u.a. des Complexity Science Hub Vienna (CSH) anhand von Daten aus den USA. Demnach ist die Voreingenommenheit der Bevölkerung umso geringer, je größer und vielfältiger eine Stadt ist.
Es sei bekannt, dass die Segregation in Städten, also die ungleichmäßige Verteilung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichen Stadtgebieten, "negative Auswirkungen auf die Bevölkerung hat und zu impliziten Vorurteilen führt, die wir nicht bewusst wahrnehmen und die nur schwer zu überwinden sind", erklärte die Professorin für Social Data Science an der Technischen Universität (TU) Graz, Fariba Karimi, vom CSH in einer Aussendung. Sie hat die Studie u.a. gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA und der Central European University (CEU) durchgeführt.
Für den Co-Autor Andrew Stier vom Santa Fe Institute (USA) ist es interessant, "dass es offenbar einen Teil des systemischen Rassismus gibt, der damit zu tun hat, wie Menschen lernen und wie Städte organisiert sind". In den Städten müssten sich Menschen aufgrund der dichten Netze sozialer Interaktion zwischen den Bewohnern ständig an neue Situationen anpassen und lernen.
Um ein besseres Verständnis dieses Effekts zu bekommen, haben die Wissenschafter Daten des "Implicit Association Test" (IAT) aus den USA genutzt, mit dem sich implizite Stereotypen von Testpersonen erkennen lassen. Beispielsweise werden Teilnehmern dieses Onlinetests Gesichter von weißen und schwarzen Menschen sowie positive und negative Wörter vorgelegt, die diese dann kategorisieren sollen. "Menschen glauben vielleicht, dass sie keine Vorurteile haben, aber sie können unbewusst eine Präferenz für die eine oder andere Gruppe haben, und das wird durch diese Tests aufgedeckt", so Stier.
Drei Faktoren entscheidend
Die Wissenschafter nutzten die Werte des IAT für rassistische Voreingenommenheit von rund 2,7 Mio. Personen im Zeitraum 2010 bis 2020. Diese Daten verknüpften sie u.a. mit demografischen Informationen und Angaben der US-Volkszählung und entwickelten ein mathematisches Modell, das berücksichtigt, wie Individuen durch ihre sozialen Netzwerke Vorurteile erlernen.
So konnten sie zeigen, dass implizite rassistische Vorurteile abnehmen, wenn die sozialen Netzwerke in Städten größer, vielfältiger und weniger segregiert sind. "Es ist zwar etwas überraschend, dass nur drei Faktoren - Stadtbevölkerung, Diversität und Segregation - für so große Unterschiede zwischen den Städten verantwortlich sind, doch steht dies im Einklang mit neueren Erkenntnissen, wonach implizite rassistische Vorurteile eher durch soziale Kontexte als durch individuelle Unterschiede in den Einstellungen bedingt sind", schreiben die Wissenschafter in ihrer Arbeit.
Offensichtlich gibt es also strukturelle Gründe für den Beitrag von Städten zum Ausmaß der Voreingenommenheit ihrer Einwohner. Als "vielleicht deutlichsten Grund" nennen die Wissenschafter in einer Aussendung des CSH "die Segregation verschiedener ethnischer Gruppen in verschiedenen Stadtvierteln", verbunden mit einem Mangel an "kosmopolitischeren öffentlichen Räumen, in denen unterschiedliche Menschen positive Erlebnisse miteinander teilen können".
Die Wissenschafter sehen zahlreiche Möglichkeiten, um hier Verbesserungen zu erwirken. Stadtplaner könnten mit diesem Wissen beispielsweise Straßen und Brücken bauen, um die Interaktion zwischen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu erleichtern, etwa wenn zwei Stadtteile durch Gleise voneinander getrennt sind.
Service: http://dx.doi.org/10.1038/s41467-024-45013-8