"Ambivalentes historisches Erbe" prägt Haltung gegenüber Wissenschaft
Die nationale "Neigung zu Kritik und Skepsis" gegenüber Wissenschaft und Demokratie, wie sie die am Montag präsentierte Ursachenstudie des Instituts für Höhere Studien (IHS) aufzeigt, liegt auch in der eigenen Geschichte begründet. Diese weise Ereignisse auf, die für die Entwicklung von Wissenschaft und Demokratie "nicht förderlich" sind: Es gebe ein "ambivalentes historisches Erbe", so Studienleiter Johannes Starkbaum, dem man sich auch bewusst sein solle.
Eine zentrale Conclusio der historischen Analyse sei, dass sich in Österreich eine Kultur bzw. ein "nationaler Habitus" herausgebildet habe, der nicht immer förderlich für die Entwicklung der beiden Bereiche war. Er habe sich aus historischen Entwicklungen und Erfahrungen der Unterdrückungen, "wo auch Diskurs und Kritik oft eine geringere Rolle gespielt haben", gebildet, sagte der IHS-Wissenschafter vor Journalisten am Rande des Europäischen Forums Alpbach. Es sei wichtig, "sich das Erbe bewusst zu machen" und in der Gegenwart auch zu versuchen, mit Maßnahmen darauf Bezug zu nehmen.
Für ihn sei es sehr spannend gewesen zu erfahren, "dass es hier eine starke Verbindung zwischen Wissenschafts- und Demokratieskepsis bzw. -feindlichkeit gibt, also dass die Dinge sehr stark verwoben sind", meinte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP). "Es sollte beides mittlerweile nach über 100 Jahren in einem demokratischen Gemeinwesen, seit 1918, auch wirklich in unserer DNA sein, dass wir Demokraten und Demokratinnen sind und wir Wissenschaft in ihrer Bedeutung erkennen und wertschätzen."
Mehr für Demokratiebildung tun
Dass es hier historisch "eine gewisse Tradition" gebe, sei für ihn aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen "irgendwo naheliegend", so Rechtshistoriker Polaschek. Für ihn zeigen die Studienbefunde aber in einer für ihn "überraschenden Tragweite", "dass wir bei der Demokratiebildung mehr tun müssen". Man habe etwa mit den neuen Lehrplänen bereits begonnen, aber er sehe - unabhängig von den Ursachen - noch mehr Handlungsbedarf in Bezug auf Wissenschaftskommunikation als auch Demokratiebewusstsein.
Die von Erich Griessler, Thomas König und Klaus Taschwer verantwortete historische Analyse deckt rund 500 Jahre ab. Im Rahmen der Studie untersuchten sie, wie seit der Gegenreformation Wissenschaft und Gesellschaft zusammengewirkt haben. Gegenreformation, Absolutismus, Restauration, gescheiterte Revolutionen, Bürgerkrieg, Ständestaat und Nationalsozialismus und darauffolgende Konkordanzdemokratie, Proporz und Nichtaufarbeitung der Geschichte von Bürgerkrieg und Nationalsozialismus nach 1945 hätten hier Entwicklungen ungünstig beeinflusst.
"Bildung ist in der österreichischen Geschichte über lange Strecken entweder nicht erwünscht oder fordert Anpassung, Ausbildung und Nützlichkeit", heißt es in der Studie. Bildung sei etwa den Herrschenden in der Gegenreformation und im Absolutismus gefährlich gewesen, da sie vom rechten Glauben wegführen und Herrschaft in Frage stellen könnte.
Starke Tradition der Technologiekritik
Zudem bestehe in Österreich "eine starke Tradition der Technologiekritik", inklusive Reformbewegungen um 1900, auch wenn diese nicht mit Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftskritik gleichgesetzt werden dürfe. Dabei verlaufe eine "Traditionslinie" vom Atomkraftwerk Zwentendorf über Wasserkraftwerke (z.B. Hainburg), grüne Gentechnik oder Konflikte um Digitalisierung, Datenschutz/Automatisierung. Auch die Tatsache, dass Frauen erst sehr spät an österreichischen Universitäten studieren konnten und bis heute "in Österreich in den Naturwissenschaften - auch im internationalen Vergleich - unterrepräsentiert" seien, wirkte prägend, lautet ein weiterer Teilbefund.
"Die politische Kultur Österreichs ist jedoch nicht eindimensional." Als starke gegenläufige "Traditionslinien" weisen die Autoren Einflüsse aus, die "in Richtung Emanzipation breiterer gesellschaftlicher Gruppen gerichtet sind". Als Beispiele nennen sie Aufklärung, Aspekte des Josephinismus, die Revolution von 1848, Liberalismus, Ausweitung des Wahlrechts, Gründung der Republik, Widerstand gegen Nationalsozialismus und neue soziale Bewegungen.
Für die Studienautoren ist es wichtig, "an jene Handlungsmuster anzuknüpfen, die in Epochen von Demokratisierung und Förderung von Wissenschaft gebildet wurden". Als Beispiele werden Volkshochschulen als Orte der Wissenschaftskommunikation und das Mäzenatentum genannt. Handlungsmuster in Richtung Autokratie und Diktatur wie mangelnde Diskussionsbereitschaft und -fähigkeit, Abwertung der jeweils Andersdenkenden seien zu vermeiden.
Die Ableitung konkreter Maßnahmen aus der IHS-Studie zu Ursachen von Wissenschafts- und Demokratieskepsis in Österreich soll als nächster Schritt erfolgen. Im Herbst plant Polaschek zudem einen Besuch in Portugal, das als Vorreiter für gelungene Wissenschaftskommunikation gilt, um sich auch hier über "Lessons Learned" auszutauschen.
Service: Studie zum Download: https://go.apa.at/uRCgL8y5
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