Bericht: Kein Beleg für Demokratiegefährdung durch Desinformation
Auch wenn es anhand von einzelnen Phänomenen so scheint: Es gibt keine empirischen Belege, dass Desinformation die Demokratie gefährdet. Das geht aus einem globalen Bericht zu den Wechselwirkungen zwischen Informationsökosystemen und Demokratie hervor, an dem mehr als 60 Forschende - darunter Matthias Kettemann von der Universität Innsbruck - gearbeitet haben.
"Wir konnten nicht nachweisen, dass Desinformation einen Effekt auf die Demokratie hat", erklärte Kettemann vom Institut für Theorie und Zukunft des Rechts gegenüber der APA. Es gebe keine stichhaltigen Belege, jenseits von Anekdoten, dass hier ein Einfluss auf Meinungsbildungsprozesse bestehe. Vielmehr habe sich gezeigt, dass der Diskurs über Desinformation Menschen zu dem Eindruck verleite, dass es überall Desinformation gebe, wodurch das Misstrauen gegenüber etablierten Medien angefacht werde.
"Das ist ja auch das Interesse der Desinformationsakteure. Es geht primär darum, ein diffuses Gefühl der Unsicherheit zu produzieren, der Zukunftsangst, des Misstrauens gegenüber den Medien", so Kettemann. Letztlich habe der Diskurs über Desinformation negativere Wirkungen als die Desinformation als solche. Hier brauche es mehr Bildung und kritische Medienkompetenz. "Die Gesellschaft muss Rückgrat zeigen und sicherstellen, dass wir uns nicht von diesen Akteuren ins Boxhorn jagen lassen", forderte der Experte.
Keine unmittelbare Auswirkung auf Wahlverhalten
Laut dem Bericht gibt es Untersuchungen, die keine unmittelbaren Auswirkungen von Fehl- oder Desinformation beispielsweise auf politische Polarisierung oder das Wahlverhalten feststellen. Auch bei den verschiedenen Arten von Informationen, also Verschwörungstheorien oder Lügen, die von Politikern verbreitet werden, seien viele Fragen offen. Echokammern scheinen wiederum nicht ausschließlich auf Systeme, die den Nutzern personalisierte Informationen zuspielen, zurückzuführen zu sein und könnten auch einen sicheren Raum für marginalisierte Gruppen darstellen.
Dass von manchen Plattformen künftig weniger stark gegen Desinformation vorgegangen wird, sei ein Rückschritt, der insgesamt zu mehr Hass führen werde, so Kettemann. Hier komme es zu einer Verschiebung des Selbstverständnisses. Der Ersatz von Faktencheck-Programmen bei den Diensten Facebook und Instagram in den USA durch ein System der "Community-Notes" diene dazu, sich als Retter der Meinungsäußerungsfreiheit zu gerieren. Dieser einordnende Kontext durch die Nutzer würde aber regelmäßig zu spät kommen, bevor polarisierende Informationen oder rechtsverletzende Posts die Runde machen.
Forschungsfokus auf globalen Norden und Konzerne
Die Forschung zu Themen wie Desinformation und Risikominderung sei stark eurozentrisch mit Fokus auf den globalen Norden, besonders die USA, geht aus dem Bericht des "International Observatory on Information and Democracy" weiter hervor. Studien zu diskriminierenden Datenpraktiken würden sich außerdem auf wenige große Unternehmen konzentrieren, während globale Perspektiven oft fehlen. Es mangle an weltweiten Regulierungsmaßnahmen, wie sie in der EU durch den Digital Services Act gelten.
Ein unerfreulicher Teufelskreis an Faktoren würde dazu führen, dass die Anfälligkeit für Desinformation im globalen Süden größer sei als im globalen Norden, so Kettemann. Ursachen sieht er in einer sehr dünnen Studienlage kombiniert mit einem eher geringen Maß an formaler Schulbildung und mangelnder Medienkompetenz. "Außerdem schieben die Plattformen den Hauptteil ihrer Moderationsressourcen in den globalen Norden und in die Mainstream-Sprachen", sagte der Experte. Das erhöhe das Risiko der Desinformation.
Service- https://observatory.informationdemocracy.org