Physiker: Vom ultimativen Quantencomputer "meilenweit entfernt"
Von einem ultimativen Quantencomputer ist man derzeit noch "meilenweit entfernt", meint der Physiker Peter Zoller von der Uni Innsbruck. Viele von den Grundlagenforschungsfragen seien noch ungelöst. Um diese schneller zu beantworten, sprechen sich Wissenschafter, darunter die Innsbrucker Physikerin Tracy Northup, nun in einem Übersichtsartikel im Fachjournal "Science" für eine Kooperation mit der Materialwissenschaft aus, "die Zeit ist reif dafür", heißt es darin.
Quantencomputer sollen einmal bestimmte Rechenaufgaben schneller lösen können als klassische Computer. Dabei macht man sich in "Qubits", den Informationseinheiten des Quantencomputers, verschiedene quantenphysikalische Phänomene zunutze. Solche Qubits können auf verschiedene Weise realisiert werden, etwa mit Ionen, Atomen, Photonen oder supraleitenden Schaltkreisen.
Zoller hat 1995 mit Ignacio Cirac das erste Konzept veröffentlicht, wie man tatsächlich einen Quantencomputer baut. Vor 15 Jahren habe man dann die ersten kleinen Bauelemente von Quantencomputern im Labor demonstrieren können, sagte der theoretische Physiker diese Woche bei einem Press Briefing des deutschen Science Media Center zum Thema "Steht der Quantenrechner vor der Tür?". Nun sei man in einer neuen Phase, die wahrscheinlich die nächsten zehn bis 15 Jahre anhalten werde.
Zunächst fehlerhaft mit wenigen Qubits
Dabei werde man Quantencomputer in der Größenordnung von einigen zehn bis mehreren hundert Quantenbits bauen, die noch nicht fehlerkorrigiert sind, aber auf denen man doch schon Quantenrechnungen machen kann. Die Quantenphysiker bezeichnen diese als "noisy intermediate-scale quantum devices" (NISQ). Von einem "skalierbaren, ultimativen, fehlertoleranten, programmierbaren Quantenrechner" sei man aber noch "meilenweit entfernt", so Zoller.
Wenn jemand heute behaupte, man müsse nur die Ingenieure rufen, um so einen Quantencomputer zu bauen, sieht das Zoller absolut nicht so. "Ich glaube, dass viele von den Grundlagenforschungsfragen eigentlich ungelöst sind", erklärte der Physiker, für den auch offen ist, "welche Plattform der richtige Weg für diese ganzen Dinge ist".
Materialtechnische Herausforderungen von Hardware-Lösungen analysiert
Auf dem langen Weg zum ultimativen Quantencomputer wird nun der Ruf nach Einbeziehung der Materialwissenschaft laut. Eine internationale Forschergruppe, darunter Tracy Northup vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck, hat in "Science" die materialtechnischen Herausforderungen von fünf Hardware-Plattformen für Quantencomputern analysiert. Dabei handelt es sich um supraleitende Schaltkreise, Quantenpunkte, Fehlstellen-Zentren in Kristallen, Ionenfallen und Majorana Quasiteilchen in Supraleitern.
Für Northup zählen diese fünf Plattformen zu den aus heutiger Sicht sieben bis acht vielversprechendsten Hardware-Lösungen für einen Quantencomputer. Mit ihnen habe man in dem Fachartikel die gesamte Bandbreite der Materialfragen beleuchten können, betonte sie gegenüber der APA.
Um auf Basis dieser Technologien Quantencomputer mit deutlich mehr Qubits zu realisieren müssten viel niedrigere Fehlerraten erreicht werden als derzeit oder eine völlig neue Plattform entwickelt werden. Dies erfordere "große Fortschritte in der Materialwissenschaft und -technik, neue Herstellungs- und Synthesetechniken sowie neue Mess- und Materialanalysetechniken", schreiben die Wissenschafter.
Drei große Hauptprobleme
Trotz großer Unterschiede zwischen den verschiedenen Hardware-Lösungen identifizierten sie drei Hauptbereiche der Materialforschung, die gelöst werden müssten. So sei das Verständnis der Mechanismen auf mikroskopischer Ebene, die zu Rauschen und Verlust führen, entscheidend. Dazu zählen etwa Verunreinigungen und Defekte in den verfügbaren Materialien sowie unzureichend kontrollierte und charakterisierte Oberflächen. Rauschen gilt als ein Hauptproblem, weil die quantenphysikalischen Zustände so sensibel gegenüber störenden Umwelteinflüssen sind und die in einem Qubit gespeicherte Information rasch verloren geht.
Bisher seien auch nur relativ wenige Materialplattformen für Quanteninformationsverarbeitung in Festkörpern erforscht worden, die Entdeckung einer neuen Technologie sei oft ein Glücksfall. Die Wissenschafter sprechen sich daher für eine gezielte Materialsuche für potenzielle Plattformen aus. Schließlich gebe es mehrere Materialprobleme, die sich nicht auf die derzeit üblichen Operationen mit einzelnen Qubits auswirken, sondern erst bei einer Hochskalierung auf größere Systeme auftreten.
Viele Probleme, mit denen man derzeit konfrontiert sei, würden an jene erinnern, die in den vergangenen fünf Jahrzehnten in der Halbleiterelektronik und -industrie aufgetreten sind, betonen die Wissenschafter. Deren Ansätze und Lösungen könnten auch für die Quantencomputer-Plattformen interessant sein.
"Materialfragen werden in den kommenden Jahren von entscheidender Bedeutung sein, wenn wir von verrauschten Systemen im mittleren Maßstab zu großen, fehlertoleranten Systemen übergehen", schreiben die Forscher in der Arbeit. Am Weg zum Quantencomputer gebe es in der Informatik und der Quantenphysik noch viele interessante Fragen zu lösen, "mit Hilfe der Materialwissenschafter können wir sie viel schneller lösen", so Northup. Habe man die Arbeit an Quantencomputern als grundlegend interdisziplinäres Unterfangen begonnen, an dem Informatik, Informationswissenschaft und Quantenphysik beteiligt waren, sei jetzt ist die Zeit reif, das Feld durch neue Kooperationen und Partnerschaften mit der Materialwissenschaft zu erweitern.
Service: Science-Artikel: http://dx.doi.org/10.1126/science.abb2823; Press-Briefing des Science Media Center: http://go.apa.at/XN2dQ7JE)