Experte fordert langfristiges Monitoring von Hangrutschungen
Angesicht weiterer potenzieller Hangrutschungen in Südösterreich, die aufgrund der mit Wasser übersättigten Böden drohen könnten, sieht der Wiener Geomorphologe Thomas Glade derzeit wenige Möglichkeiten für technische Akutmaßnahmen. Um aber Vorwarnsysteme aufbauen zu können, wie sie beispielsweise für Überschwemmungen bereits existieren, brauche es ein längst überfälliges langfristiges Monitoring für Hangrutschungen und Hangmuren, so der Forscher gegenüber der APA.
Derzeit gehe es in den betroffenen Gebieten vor allem um präventive Maßnahmen wie Evakuierungen und Straßensperren. Der Experte für Risikoprävention und Katastrophenschutz der Universität Wien plädiert gegenüber der APA für eine intensive Nachbetrachtung der aktuellen Abgänge. "Wir müssen mit dem Klimawandel unsere Umwelt neu denken." Die Klimakrise mache Muren und Hangrutschungen noch wahrscheinlicher, sagt auch Glade. Konzepte, die in den vergangenen 30 bis 40 Jahren gegolten hätten, würden bisweilen nicht mehr gelten, "weil die Extreme extremer werden". Man müsse die Informationen, die zur Auslösung der aktuellen Hangrutschungen geführt haben, herausarbeiten und gegebenenfalls technische Maßnahmen ergreifen, etwa größere Durchmesser in den Drainagen zur Entwässerung der Hänge einplanen, so Glade.
Gleichzeitig gehe es um einen gut durchmischten Einsatz von "low cost"-Maßnahmen (z.B. kleine Aufschüttungen zum Aufhalten des oberflächigen Abflusswassers) und "high cost"-Maßnahmen wie dem Verlegen neuer Drainagen. Dabei sei immer eine Differenzierung wichtig und die Analyse, ob es darum geht, Oberflächenwasser abzufangen oder Wasser aus dem Boden zu entfernen.
Langzeitbeobachtung andenken
Derzeit werden meistens nur jene Muren im Rahmen des bestehenden Monitorings in Österreich detailliert dokumentiert, die Schaden anrichten. Bei Hangmuren und Hangrutschungen sei eine Langzeitbeobachtung auch neu zu denken: "Diese Prozesse treten nicht immer wieder an derselben Stelle auf, das Material ist nach einer aufgetretenen Rutschung weg. Es gibt hier also wenig Monitoringdaten - im Gegensatz zu vielen Gerinnemuren." Gerinnemuren gehen eher auf viel Niederschlag zurück und folgen den Gerinnen. Hangmuren können auch durch hohe Porenwasserdrucke initiiert werden; das eher gröbere Hangmaterial kann dann den Hang, bisweilen über große Strecke, herunterfließen. Bei Hangrutschungen kommt es häufig nochmals zu breiteren, weniger fließenden, sondern eher rutschenden Abgängen.
"Bei Schneelawinen oder Überschwemmungen haben wir jahrzehntelange Aufzeichnungen und gute Modelle für die Frühwarnung und potenzielle Szenarien. Bei Hangrutschungen haben wir derzeit sehr wenig dauerhafte Monitoringstationen und dadurch sind die Hangrutschungen auch schwer vorhersehbar", so Glade. Man müsse über konsequente räumliche Analysen herausfinden, wo jene Gebiete sind, die sich bisher noch nicht bewegt haben, die aber gleiche oder ähnliche Charakteristika haben wie jene Gebiete, die bereits in der Vergangenheit betroffen waren. "Dann muss man in diese Regionen gehen und die relevanten Faktoren analysieren, auch als Basis für das Monitoring."
Mit technischen Interventionen müsse man grundsätzlich vorsichtig sein: "Man kann ja nicht die Alpen betonieren." In Japan seien betonierte, grün gestrichene Hänge aufgrund der sehr hohen Exposition der Bevölkerung vielleicht üblicher, aber in Österreich sei das undenkbar: "Hier müssen wir einen anderen Weg gehen."
Folien nur unter gewissen Bedingungen sinnvoll
Mit Blick auf die aktuellen Risikogebiete in Südösterreich sagt der Forscher, akute technische Maßnahmen wie etwa das Abdecken von Hängen mit Folien könnten nur unter gewissen Bedingungen, besonders an bereits gestörten Flächen, einen Schutz vor weiteren Abgängen bieten. "Man kann aber die Risikogebiete regelmäßig begehen, da sich Hangrutschungen oftmals durch Risse im Erdboden oder Oberflächendeformationen ankündigen." Allerdings seien spontane Abgänge kaum vorher erkennbar, diese aber wiederum derzeit durch die immense Übersättigung der Böden mit Wasser am wahrscheinlichsten: "Hier heißt es nur abwarten und hoffen, dass die Festigkeit der Hänge ausreicht, dass es nicht zu einem Versagen kommt."
Hangneigung, Substrateigenschaft, Mächtigkeit sind natürliche Faktoren; menschlich beeinflusste Faktoren sind etwa künstliche Hanganschnitte, Aufschüttungen oder auch die Flurbereinigung, die dann stellenweise nicht die natürliche Festigkeit der Materialien zur Folge hat. "Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es sehr wichtig sich anzuschauen, ob die aktuellen Rutschungen gerade dort aufgetreten sind, wo menschliche Einflussfaktoren und Landschaftsveränderung eine Rolle spielen oder eher natürliche vorherrschend waren."
Ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen, gerade in den Hanglagen, sei dräniert. Viele Drainagen könnten, den Starkregenereignissen ausgesetzt, aber letztlich blockieren und sogar gegenteilige Effekte haben: "Das Wasser wird darin gestaut und es entsteht, mitunter sehr lokal, ein großer Porenwasserdruck. Das kann dann zu einem Hangversagen führen", so der Wissenschafter, der in einem Forschungsprojekt gravitative Massenbewegungen untersucht.
Hänge über Drainage zu entwässern, folgt einer alten Tradition: "Man kann davon ausgehen, dass ein Großteil der Hänge in Österreich in irgendeiner Weise dräniert sind, aber wirkliche Karten gibt es nicht. Das wäre unbedingt notwendig - das sagen wir auch schon lange", so Glade. Die heutigen Drainagen seien in Bezug auf die Wassermassen, die im Rahmen von heutigen extremen Starkregenereignissen auftreten, häufig nicht groß genug dimensioniert. Sie spielten eine zentrale Rolle beim Umgang mit Hangrutschungen.
Service: Projekt zu gravitativen Massenbewegungen: https://www.noeslide.at/index.php/de