Peter Klimek: Kontaktreduktion unter Geimpften bringt wenig
Österreich steht "am Anfangspunkt" einer saisonalen Welle, die "früher anrollt, als im letzten Jahr", sagte der Komplexitätsforscher Peter Klimek zur APA. Um der zu erwartenden "Pandemie unter den Nicht-Geimpften" entgegenzuwirken, brauche es möglichst bald klar ersichtliche Daten zu Covid-19-Infektionszahlen unter Geimpften und Nicht-Geimpften. Klar sei, Kontaktreduktionen in ersterer Gruppe bringen epidemiologisch deutlich weniger.
Das Bild sei momentan ähnlich wie im vergangenen Sommer - mit einer im Tempo variierenden Beschleunigung, die auch noch stark von Einzelereignissen getrieben ist. Allerdings zeige sich nun, dass die Belastung des Gesundheitssystems schon auf einem höheren Level ist, als zum selben Zeitpunkt im vergangenen Jahr.
Insgesamt gelte weiter, dass man mit der aktuellen Durchimpfungsrate und ohne Eindämmungsmaßnahmen alleine nicht durchkommen werde: "Davon ist auszugehen", gab sich Klimek überzeugt. Würde man jetzt aber Geimpfte, "die vermutlich nur ein Fünftel bis ein Zehntel zum epidemiologischen Risiko beitragen", mit Maßnahmen belegen, bringe das dementsprechend wenig. Vor diesem Hintergrund seien Kontaktreduktionen für Geimpfte natürlich ungleich schwerer zu argumentieren.
Reichen "softe" Maßnahmen aus?
Wolle man aber innerhalb der vorhandenen Intensivkapazitäten bleiben und eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden, "werden wir die Kurve abflachen müssen". Die große Frage in Richtung Winter sei, ob sich die Situation mit "nicht sehr einschneidenden Maßnahmen, wie Masketragen, Abstandhalten etc." kontrollieren lässt. Wie hier die politischen Weichen gestellt werden, werde spannend. Trotz allem erwartet der Wissenschafter vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien nicht, dass die Situation so herausfordernd wird, wie im vergangenen Herbst und Winter.
Ein Blick auf die Inzidenzzahlen mache weiter Sinn, auch wenn sich durch die vor allem vor einem schweren Verlauf sehr gut schützenden Impfungen manche Vorzeichen geändert haben. Denn rein epidemiologisch betrachtet hat man es mittlerweile mit "zwei verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu tun". Die Gruppe der Vollimmunisierten mache hier natürlich weniger Sorgen. Viel genauer müsse man betrachten, wie es um die Fallzahlen unter den Ungeimpften in Abhängigkeit vom Alter bestellt ist, "um die Inzidenzzahlen besser lesbar zu machen", so Klimek.
Kommt jetzt nicht noch ein größerer Sprung nach oben bei der Durchimpfungsrate, werden die ungünstigen Effekte der kühleren Jahreszeit stärker zum Tragen kommen. "Wir müssen sehen, dass wir selbst jetzt bei den günstigsten saisonalen Bedingungen, nicht den Deckel auf das Fallwachstum draufhalten können", sagte der Forscher, der mit Kollegen in einer aktuellen Studie u.a. den Einfluss des Wetters und anderer Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen in Österreich analysiert hat.
Blick in die USA zeigt: Es wird eng
Sehe man jetzt in die USA, gehe es dort vielfach schon wieder eng zu, was die Spitalskapazitäten betrifft. "Das sind plausible Szenarien, wenn - großes Wenn - man das komplett unkontrolliert laufen lässt." Es brauche daher eine echte Debatte darüber, was man in der Pandemiebekämpfung noch erreichen möchte.
Klimek: "Durch den Impffortschritt würden schon wesentlich mildere Kontaktreduktionsmaßnahmen ausreichen." An ein Comeback von Lockdowns glaubt der Wissenschafter weiter nicht. Egal welche politischen Entscheidungen getroffen werden, vorbereiten sollte man diese jetzt in Ruhe. Dazu gehören laut Klimek vor allem belastbare Daten zu den Inzidenzen unter Geimpften und Nicht-Geimpften. Dann werde man sehen, wie erhöht die Fallzahlen im Vergleich sind, was die Diskussion über Maßnahmen für welche Bevölkerungsgruppen auf eine andere Basis stellen würde. Man brauche diesen "Kompass, um durch die vierte Welle zu kommen."