In aller Ruhe experimentieren: Der reflexionsarme Raum am IWK
Verschiedene Geräusche schwirren durch die Luft und machen den Anton-von-Webern-Platz 1 zu keinem sehr ruhigen Ort. Hier schwingen an mehreren umliegenden Baustellen Arbeiter ihre Presslufthämmer, ein Kran entlädt seine Fuhre, ein paar Straßen weiter fährt die Straßenbahn mit lautem Getöse vorbei. Beim Überqueren des Innenhofs der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) erklingen aus mehreren Räumen Musikinstrumente. Ein paar Meter weiter unten, im Keller des Instituts für musikalische Akustik - Wiener Klangstil (IWK), ist alles anders. Denn hier liegt der reflexionsarme Raum. Ein sehr ruhiger Ort mitten in der Großstadt Wien.
Eine dicke Türe trennt ihn von der Außenwelt. Gelbliche Schaumstoff-Keile bedecken seine Wände. Sie fungieren als Dämpfungselemente. Dahinter befinden sich Hohlräume mit unterschiedlichen Volumen und Dämmmaterialien, um Tiefenfrequenzen zu "schlucken". "Das sind Absorptionselemente, die bei Frequenzen wirksam sind, bei denen die Keile nicht mehr effizient genug absorbieren", erklärt Wilfried Kausel, Leiter des Instituts. Damit die Schalldämpfung des Raums ausschließlich mit Keilen funktionieren kann, müssten diese mehrere Meter lang sein. "Das ist nicht praktikabel, deshalb haben wir nur ein Meter lange Keile und die Tiefenfrequenzen filtern wir mit den Hohlräumen hinter den Keilen heraus."
Schallarmer Zustand
Ziel dieses speziellen Raumes ist es, akustische Eigenschaften zu schaffen, wie sie im freien Feld existieren - nicht umsonst wird er auch "Freifeldprüfraum" genannt. Ähnlich wie in einer Wüste zum Beispiel, wo es weit und breit keine Häuser oder Gegenstände gibt, die den Schall reflektieren. Diese Situation hat man hier versucht nachzubilden. "Der Unterschied zur Wüste ist, dass der Boden der Wüste Schall reflektieren kann. Wir haben die Keile auch unter dem Boden, das heißt, unser Raum entspricht eher der Situation im Heißluftballon in tausend Meter Höhe", so Kausel. Schall breitet sich kugelförmig in alle Richtungen aus und kommt nicht mehr zurück.
Gerne wird er als "stillster Raum Wiens" bezeichnet - ein Begriff, den Kausel ablehnt. Denn um Isolation ging es beim Bau in erster Linie nicht. Viel mehr darum, die Raumakustik auszuschalten, die es in jedem normalen Raum gibt, und die den Klang von Musikinstrumenten sehr stark verändert. "Wir wollen eine Umgebung haben, wo man die Musikinstrumente so hören kann, wie sie wirklich klingen, und nicht in einer bestimmten Umgebung und Atmosphäre. Das war das Ziel. Dass es dort relativ ruhig ist, ist ein Nebeneffekt, aber das haben wir überhaupt nicht angestrebt."
Bemerkenswerte Stille
Dennoch ist diese unglaubliche Stille bemerkenswert. Das eigene Blut plötzlich rauschen zu hören, den Herzschlag. Den Atem. Das Zusammenstoßen der Zähne. Und jeden einzelnen Schritt so viel lauter. Als wären die Ohren mit Watte ausgestopft. In Zahlen ließe sich diese Stille nicht ausdrücken. "Wir haben kein Schallpegelmessgerät, das nach unten so einen großen Messbereich hat. Wir können nicht exakt messen, welchen Umgebungspegel, welchen Hintergrundpegel der Raum noch hat, wenn sich keiner darin befindet", so Kausel.
Beinahe noch irritierender ist das fehlende Echo. Ein gesprochenes Wort erstickt in Sekundenschnelle in der Luft. Reflexionen von den Wänden sorgen mitunter für die körperliche Orientierung. Viele blinde Menschen setzen im Alltag die aktive bildgebende Echoortung, auch Klicksonar-Technik genannt, ein und orientieren sich am Schall, der von der Umgebung reflektiert wird. Wenn dieser aber nicht zurückkommt, wirkt sich das auf die räumliche Wahrnehmung aus.
Erforschen von Akustik und Klang
Doch so still ist es in diesem Raum selten, wird doch meist an Instrumenten experimentiert und deren Klang analysiert. Das Institut für Wiener Klangstil ist eines von 24 Instituten der Universität für Musik und darstellende Kunst. Angestellte Mitarbeiter sowie Studierende forschen an Spieltechnik, am Zusammenhang von Klang und Technik oder vermessen und optimieren Streich- oder Blechblasinstrumente.
Wann immer Klangaufnahmen von Instrumenten benötigt werden, wird das im schalltoten Raum gemacht. Hierfür wird der Schall von Musikinstrumenten aufgezeichnet, die entweder von Musikerinnen oder Musikern angespielt oder künstlich in Schwingung versetzt werden. Bei der Analyse von mechanischen Vibrationen wurde zum Beispiel ein Horn an wassergefüllten Gummischläuchen gespielt, die als Lippen des Bläsers fungieren. Durch Druckluft konnte ohne Änderung des Ansatzes stundenlang derselbe Ton gehalten werden. Währenddessen wurde das Horn außen mit Sand bedeckt und somit die Schwingung des Blechs gedämpft. Eruiert wurde dabei, welchen Einfluss die Wandschwingungen auf den abgestrahlten Klang des Instruments haben.
Verschiedene akustische Untersuchungen
Projekte wie diese werden laufend umgesetzt und machen das Gebäude auch auf internationaler Ebene zu einer renommierten Forschungsinstitution für musikalische Akustik. So wird im Rahmen des vierjährigen EU-Projekts "VRACE" an Computermodellen für Musikinstrumente und zum Schall-Klang-Bereich der Virtuellen Realität (VR) geforscht. Während auf visueller Ebene dabei schon viel passiert, stecke man auf der akustischen noch in den Kinderschuhen. 15 Forscher in ganz Europa haben es sich nun zum Ziel gemacht, auch den Akustikbereich und das Sounddesign in der Virtuellen Realität einen großen Schritt weiter zu bringen.
Doch es gehe nicht nur um technologische Möglichkeiten und Innovationen, betont Kausel. Oft will man einfach nur einzelne Abläufe verstehen. Wie gelingt genau ein guter Ansatz? Was passiert beim Artikulieren auf einem Saxophon oder einer Klarinette? Welche Rolle spielen Zunge oder Lippen, was machen die Zähne? "Das sind alles Fragen, die natürlich auch im Unterricht wichtig sind, wenn man jemandem sagen kann, deine Zunge hat die und die Aufgabe beim Spielen. Das ist dann das Bewusstmachen von Dingen, die jetzt halt unbewusst stattfinden oder zufällig erlernt oder bemerkt werden."
Bemerkt wird nach einer Weile im reflexionsarmen Raum beim Verlassen des Gebäudes etwas noch stärker: Ist der Baustellenlärm mittlerweile noch lauter geworden?
Von Barbara Schechtner / APA-Science
Service: Diese Meldung ist Teil der Reportage-Reihe "APA-Science zu Besuch ...": http://science.apa.at/zubesuch