Nobelpreis - Krausz-Wegbegleiter: Mit Schichtarbeit zur Attosekunde
Eigentlich hatte der heute an der Technischen Universität (TU) München tätige Reinhard Kienberger nur vor, einen Monat lang am Attosekunden-Experiment von Physik-Nobelpreisträger Ferenc Krausz auszuhelfen. "Das 'Monat' hat aber nie aufgehört", so Kienberger zur APA im Vorfeld der Preisverleihung in Stockholm. Mit "Schichtarbeit im Labor" und wochenlangen Messungen habe man schließlich eine Leistung erbracht, "die mit uns verbunden ist", und noch viel Zukunftspotenzial berge.
Dass es einmal eine "Attosekundenphysik" geben wird, mit der es möglich ist, Vorgänge abzubilden, die im Milliardstel einer Milliardstel Sekunden ablaufen, war in den 1990er Jahren alles andere als ausgemacht. Es gab ein "Rennen um die kürzesten Femtosekunden-Laserpulse", so Kienberger - aber dabei ging es um Zeitabschnitte von Millionstel einer Milliardstel-Sekunde. Ist auch sehr kurz, zwischen den beiden Einheiten liegen allerdings Welten. Aus der Quantenmechanik war bekannt, dass man auf die Attosekunden-Skala muss, um elektronische Prozesse im Detail zu analysieren.
Krausz war in dieses Rennen mit seiner Arbeit an der TU Wien bereits stark involviert. Dass man mit Lasern quasi über Umwege bis fast in den Röntgen-Frequenzbereich kommen kann, den es braucht, um in die Attosekunden-Welt zu gelangen, verstand Paul Corkum von der Universität Ottawa (Kanada). Krausz verfolgte diese Idee auch in Kooperation mit Corkum experimentell weiter.
Kienberger erklärte sich auf Anfrage des heute am Austrian Institute of Technology (AIT) tätigen Physikers Michael Hentschel bereit, für einen Monat bei den aufwendigen Messungen mitzuarbeiten. Das Team um Krausz machte dann aber derart schnell entscheidende Fortschritte, dass Kienberger sein ursprüngliches Thema fallen ließ und in der Attosekunden-Physik blieb.
Durchbruch im September 2001
Vielfach habe sich die Arbeit wie das Betreten eines dunklen Raumes angefühlt, "wo schön langsam das Licht zunimmt", sagte Kienberger: "Das war dann auch mit einer wirklichen Bastlerei verbunden." So habe man optische und mechanische Komponenten in einer Vakuumkammer unter fragilen Bedingungen aufgebaut, man habe Spiegel motorisiert und schier unendliche Messreihen mit ständigen kleinen Anpassungen durchgeführt. Zentrum dieser Arbeit war das Untergeschoß des Laborgebäudes der TU Wien in der Gußhausstraße in Wien-Wieden.
In der Nacht des 8. September 2001 gelang dann der entscheidende Durchbruch: "Diese Messung hat neun Stunden - von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr in der Früh - gedauert", erinnerte sich Kienberger. Dem gingen wochenlange Versuche voraus, in denen er und Hentschel Schichtdienste geschoben haben. Während einer nach den nächtlichen Messungen ausschlief, justierte der andere untertags die Laser. Erst abends waren die Bedingungen dann so, dass wieder gemessen werden konnte. Denn es brauchte relative Ruhe im Gebäude sowie in dessen Umgebung und stabile Temperaturen im Labor. An ein Öffnen der Tür war nicht zu denken, "dann kam kalte Luft herein und die Messung war kaputt".
Alle drei Minuten musste eine Spiegelposition verstellt, neue Werte aufgezeichnet und ausgewertet werden, um die ersten Attosekunden-Pulse am Institut für Photonik der TU nachzuweisen. Kienberger: "Wir haben gewusst, dass wir dort hin kommen können. Wir wollten das!" Nach besagter Nacht war dann rasch klar: "Jetzt haben wir es. Wir haben ganz genau gewusst, was es ist und was wir gemacht haben." Dass das einmal zu einem Nobelpreis führen könnte, stand bald im Raum. Die Publikation mit Krausz als Letztautor wurde in der Folge in "Rekordzeit" veröffentlicht - ein seltenes Erlebnis im Leben eines Wissenschafters.
"Für mich persönlich war das natürlich ein Karriere-Booster", so Kienberger, der bald danach eine wichtige Weiterentwicklung der Messtechnik prominent publizieren, und 2002 an der TU Wien promovieren konnte. Mit einem Stipendium der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ging er dann 2004 an das Stanford Linear Accelerator Laboratory (USA). Ab 2006 leitete er eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching.
Messung braucht heute nur zehn Minuten
Die bahnbrechende Entdeckung sei sicher auch einer der zentralen Gründe für Krausz' Engagement als Direktor ebenda im Jahr 2003 gewesen. Kienberger, der seit 2013 den Lehrstuhl für Laser- und Röntgenphysik an der TU München leitet: "Er hat mich dann quasi nachgeholt." Am Tag vor der Preisverleihung in Stockholm werden Krausz, Kienberger und Hentschel in der deutschen Botschaft in Schweden noch einmal an die Geburtsstunden der Attosekundenphysik zurückdenken.
Seither hat sich in dem Gebiet viel getan: Heute brauche man für jene Messung, die einst im Wiener Labor in neun Stunden mühsam umgesetzt wurde, lediglich zehn Minuten - und das "mit einer deutlich besseren Qualität", so Kienberger. In der Auswertung der vielen, vielen Daten setzt man auch auf Künstliche Intelligenz (KI). Stand zuerst das Verständnis der neuen Methode und deren Verbesserung selbst im Zentrum der Forschung, konnte man bald in Richtung des großen Ziels - nämlich die Messung der Dynamik elektronischer Prozesse - gehen.
Kienberger befasst sich heute stark mit genau solchen Abläufen: "Man schießt mit einem Attosekundenpuls auf einen Festkörper, und schaut, wie lange das Elektron braucht, bis es herauskommt." Hier werden mehrschichtige Materialien oder Moleküle immer leicht verändert und das grundlegende Verhalten der Elektronen in Wechselwirkung mit den Atomen darin analysiert.
Im Bereich der Anwendungen der Attosekunden-Methode stehen für den Forscher die "elektronischen Prozesse" weiter im Vordergrund. So geht es in einer Solarzelle im Grunde darum, Elektronen mit dem von der Sonne kommenden Licht dazu zu bringen, sich von A nach B zu bewegen. "Je effizienter diese Bewegung abläuft, desto effizienter arbeitet die Solarzelle", so Kienberger. Die Attosekundenphysik kann das auflösen und den Entwicklern wertvolle Informationen geben, auf welche Materialien man setzen sollte, um die Solarenergie-Ausbeute zu erhöhen.
Große und langfristige Investitionen nötig
Ein weiteres Anwendungsgebiet sind "photokatalytische Prozesse": Will man etwa mit Lichtteilchen (Photonen) der Sonne an einem speziellen Halbleiter in einer Flüssigkeit die Aufspaltung von Wasser anstoßen, braucht es verfügbare Elektronen an der Oberfläche des Halbleiters. Je besser das funktioniert, desto effizienter kann etwa der Energiespeicher Wasserstoff erzeugt werden. Zur Lösung dieser zentralen Frage im Zusammenhang mit der Energiewende brauche man die Informationen, die die Attosekunden-Methode liefern kann. Aber auch der Ladungstransport in biologischen Systemen sei bisher alles andere als vollständig aufgeklärt, erklärte Kienberger: "Das zu verstehen, ist eines unserer Ziele."
Eines sei klar: Um auf diesem Gebiet voranzukommen, braucht es große und langfristige Investitionen in die Grundlagenforschung. Hier sei die deutsche Max-Planck-Gesellschaft eine internationale Vorzeigeinstitution. Auch was die finanzielle Ausstattung betrifft, habe hier Österreich kaum mithalten können, als es etwa darum gegangen ist, Krausz und seine Gruppe an der TU Wien zu halten.
Bis heute sei das Betreiben der Attosekundenphysik vergleichbar teuer, betonte Kienberger, der mit hochdotierten Förderpreisen wie einem "Starting Grant" und einem "Consolidator Grant" des Europäischen Forschungsrates (ERC) auch notwendige Apparaturen anschaffen konnte. Zudem brauche man relativ große Teams mit den möglichst besten Köpfen, denen man auch eine längerfristige Perspektive bieten sollte. Damit sei auch zu erklären, warum international bei weitem nicht jede größere Technische Universität auch im Attosekundenbereich tätig ist. Insgesamt sei Österreich hier aber auch heute "nicht unattraktiv", findet Kienberger.