40 Prozent der Österreicher ohne Diphtherie-Schutz
In der jüngeren Vergangenheit ist mit der Diphtherie eine "alte" und als weitestgehend zurückgedrängt geltende Erkrankung zurückgekehrt. Vergangenes Jahr gab es sogar ein Todesopfer. "Laut einer wissenschaftlichen Untersuchung von uns sind rund 40 Prozent der Österreicher 'seronegativ'. Das heißt, dass sie keinen wirksamen Schutz durch Antikörper aufweisen", warnte jetzt die Wiener Expertin Ursula Wiedermann-Schmidt.
In Österreich sind die Diphtherie-Erkrankungsfälle seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mit der damals erfolgten Einführung der wirksamen Impfung von ehemals rund 16.000 im Jahr 1946 auf seit Ende der 1960er-Jahre extrem niedrige Zahlen gesunken. Die Kurve ging seither entlang der Nulllinie.
Doch das hat sich zuletzt stark geändert. Die Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien und der Referenzzentrale für Diphtherie- Seroprävalenz: "Diese in Österreich und in der EU meldepflichtige Erkrankung hat wieder deutlich zugenommen. Von Beginn 2022 bis zum 10. Jänner 2023 gab es in Europa 331 Diphtheriefälle. In Deutschland wurden 116 Erkrankungen registriert, in Österreich waren es 63." An sich sollte auch dafür die Faustregel des Verhältnisses von Deutschland zu Österreich von zehn zu eins gelten.
Ärzte nur noch gering sensibilisiert
Immerhin 16 der in Österreich bekannt gewordenen Diphtherie-Erkrankungen entfielen auf Infektionen der Atemwege. Unter diesen Betroffenen gab es auch einen Todesfall. Weil die Erkrankung über Jahrzehnte hinweg kaum mehr auftrat, sind auch die Ärzte nur noch gering sensibilisiert bei potenziell verdächtigen Symptomen. Diphtherie kann durch eine Antitoxingabe und schnelle Antibiotikatherapie ausgeheilt werden. Dazu muss aber auch im Fall des Falles Verdacht geschöpft und entsprechend rasch gehandelt werden.
Die Wiener Expertin verwies in diesem Zusammenhang auf bedenkliche Fakten, die auch die Österreicher treffen: "Die Erkrankungsfälle gab vor allem unter männlichen Flüchtlingen, zum Beispiel aus Syrien, Afghanistan oder Jemen, die auf der sogenannten Balkan-Route nach Österreich kamen. Sie konnten aufgrund der Situation in ihren Heimatländern keine Diphtherieimpfung bekommen. Ihnen wird in Österreich die Immunisierung im Rahmen der medizinischen Betreuung angeboten." Doch im Grunde zeigte sich, dass sie in Österreich auf Menschen mit unzureichendem Impfschutz gegen die potenziell lebensgefährliche Erkrankung stießen. Dies könnte nämlich die Weiterverbreitung ermöglichen.
Ursula Wiedermann-Schmidt: "Wir haben in Österreich die Antikörper-Titer bei mehr als 15.000 Blutproben zwischen 2011 und 2022 untersucht. Durchschnittlich rund 40 Prozent der Menschen waren seronegativ. Das gilt für alle Altersgruppen." Die entsprechende Statistik zeigt keine wesentlichen Unterschiede zwischen den unter 15-Jährigen, den 15- bis 64-Jährigen und der Altersgruppe über 65 Jahre.
Problem bei Auffrischungsimpfungen
Das Problem liegt offenbar bei den Auffrischungsimpfungen ab dem Kindesalter. Die Expertin: "Die Babys und Kleinkinder werden mit der Sechsfach-Impfung des kostenlosen Kinderimpfprogramms zu einem hohen Prozentsatz geschützt. 85 bis 88 Prozent der Kinder erhalten hier auch einen Schutz gegen die Diphtherie. Doch dann gibt es die Auffrischung alle zehn Jahre zumindest mit dem Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Impfstoff (oder Vierfach-Impfstoff mit Polio; Anm.) bis zum 60. Lebensjahr, danach alle fünf bis sechs Jahre." Hier fehle es offenbar an notwendiger Beteiligung. Erschwerend beim Schließen von Impflücken komme derzeit noch hinzu, dass es derzeit keine monovalenten Vakzine zum Schutz gegen Diphtherie oder Keuchhusten gebe.
"Noch vor einigen Jahren haben wir in Österreich besonders vor Keuchhusten bei Erwachsenen wegen mangelnden Impfschutzes warnen müssen. Jetzt kam die Diphtherie hinzu", sagte die Wiener Expertin.