#CoronaAlltag: Polarforschung auf Eis gelegt
Als Anthropologin beschäftige ich mich damit, wie die Menschen Umweltveränderungen wahrnehmen und wie sie damit in ihrem Alltag umgehen, auch in Hinblick auf Zukunftsperspektiven. Dabei spielt das Eis eine wichtige Rolle, bedeutet es für GrönländerInnen vor allem auch Verbindung und Mobilität. Mit dem passenden Fortbewegungsmittel sind über das Eis hinweg Orte zu erreichen, von denen die Menschen den Rest des Jahres isoliert sind. "Auf Eis gelegt" bedeutet für meine Forschung nicht nur Aspekte ruhen zu lassen, sondern alternative Möglichkeiten wahrzunehmen.
Das Austrian Polar Research Institute (APRI) fördert Polarforschung in den Bereichen Polarökologie, Kryosphäre und Klima sowie soziale und kulturelle Systeme. Dank dem regen Austausch im Netzwerk über die verschiedenen Herausforderungen in den Disziplinen, entstand dieser Beitrag meiner persönlichen Perspektive über anthropologische Forschung in Grönland während dieser globalen Gesundheitskrise.
Forschung der sozialen Interaktion in Zeiten von sozialer Isolation
Alles neu - Stadt, Land, Job - und das inmitten einer Pandemie. Es sind nicht nur meine ersten Schritte als Nachwuchswissenschafterin in der Polarforschung, sondern bedeutet für mich ebenfalls, ein neues "Zuhause" im virtuellen Raum zu finden. Denn seitdem spielt sich mein Leben online ab, privat und beruflich. Im Home-Office verharre ich viele Stunden vor meinem Computerbildschirm. Plötzlich ist alles online erreichbar und so wechsle ich von Zoom-Meeting zu Seminar weiter zur Konferenz-Plattform. Bei den vielen interessanten Angeboten muss ich Prioritäten setzen, um meine eigene Forschung dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Zum Ausgleich freue ich mich, wenn ich mein Notebook zuklappe und ein Buch zur Hand nehmen kann. Was fehlt, ist das Kennenlernen der KollegInnen bei einem Kaffee im Büro, der unkomplizierte und informelle Austausch. Denn hierbei entstehen oft die besten Ideen oder Möglichkeiten für Zusammenarbeit.
Veränderung und Kontinuität
Voller Enthusiasmus begann ich mit meiner wissenschaftlichen Arbeit. Doch verständlicherweise hieß es zunächst, dass meine anthropologische Feldforschung in Grönland auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt ist. Meine Stimmung schwankte zwischen einer abwartenden Haltung und einem optimistisch vorausschauenden Blick. Seitdem kreisen meine Gedanken um Möglichkeiten, die Zeit nicht einfach nur verstreichen zu lassen, sondern diese effektiv zu nutzen. Mein Alltag ist geprägt von einer intensiven Recherchephase. Doch es sind die kleinen Gesten und unverhofften Kontaktaufnahmen, die mir neue Chancen eröffnen. So gibt es trotz aller Barrieren interessierte Menschen in Grönland, die mir erste Gelegenheiten zum Austausch anbieten. Auf diesem Weg versuche ich, Beziehungen als Basis für meinen Forschungsaufenthalt aufzubauen.
Nähe über Distanz hinweg schaffen
Während andere ForscherInnen auf digitale Methoden umsteigen oder sich auf Datenauswertungen konzentrieren, stehe ich mit meiner Forschung noch am Anfang. Sollte es doch das erste Mal sein, dass ich die Ostküste Grönlands besuche. Empirische Daten entstehen bei mir nicht nur durch Interviews, sondern indem ich mit den Menschen in Ostgrönland Zeit verbringe und ein Verständnis für Kontextualität und ihre Perspektiven gewinne. Als Anthropologin ist es mir ein Anliegen, partizipative und kollaborative Forschungsmethoden anzuwenden. Das heißt, die Menschen vor Ort an meiner Forschung zu beteiligen und ebenfalls einen Mehrwert für Sie zu generieren. All das lässt sich nicht so leicht durch digitale Methoden ersetzen. Denn Erkenntnisse resultieren aus zwischenmenschlichen Beziehungen, Interaktion und gemeinsamem Handeln, die digital nur schwer nachempfunden werden können, wenn nicht bereits eine Vertrauensbasis etabliert worden ist. Auch meiner Verantwortung als Wissenschafterin gegenüber den BewohnerInnen in Grönland bin ich mir bewusst und möchte niemand einem vermeidbaren Risiko aussetzen. So braucht es sicher noch etwas Geduld, bis ich wieder Fuß ins "ewige Eis" setzen kann.
Zur Person: Anna Burdenski ist Doktorandin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und Forscherin im interdisziplinären Projekt Snow2Rain.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.