Klima-Glossar: Fernkälte
Fernkälte kühlt Verbraucherinnen und Verbraucher, wie der Name schon sagt, aus der Ferne. In einem geschlossenen Kreislauf wird kaltes Wasser über ein Netz aus isolierten Rohren transportiert. Vor Ort nimmt das Wasser Wärme auf und kühlt dadurch die Raumtemperatur. Anschließend fließt es zurück und wird erneut zentral gekühlt. In Wien werden so derzeit vor allem öffentliche Gebäude, Büros und Hotels klimatisiert, aber auch in Neubau-Wohnungen kommt Fernkälte zum Einsatz.
Für die Kühlung aus der Ferne spricht vor allem der niedrigere CO2-Ausstoß im Vergleich zu konventionellen Hausklimaanlagen. Laut Wien Energie verbraucht eine Fernkältezentrale bei gleicher Menge erzeugter Kälteenergie um rund 70 Prozent weniger Primärenergie als dezentrale Klimageräte und verursacht um rund 50 Prozent weniger CO2-Emissionen. Nur eine Fernkältezentrale spart somit 878.000 kg CO2 pro Jahr. Ein weiterer Vorteil ist, dass Fernkälte im Gegensatz zu dezentralen Kühlungssystemen keine Abwärme vor Ort produziert und so weniger zur ohnehin starken Erhitzung im innerstädtischen Raum beiträgt.
"Kältelieferung ist Lieferung von kaltem Wasser", sagte der Fernkälte-Experte der Wien Energie, Burkhard Hölzl, im Gespräch mit der APA. Konkret hat das Wasser eine Temperatur von plus sieben Grad Celsius. "Durch die Nutzung erwärmt der Kunde das Wasser, es wird zurück zu unseren Kältezentralen gepumpt und wieder abgekühlt", erklärte Hölzl. Zur Rückkühlung wird beispielsweise Flusswasser aus dem Donaukanal genutzt.
Vor Ort wird das kalte Wasser über eigene Kühlsysteme, etwa über Rohre in den Wänden oder Gebläsekonvektoren, im Gebäude verteilt und so die Raumtemperatur gesenkt. Gebläse sind dabei wirkungsvoller als Flächenkühlungen, weil sie die Luft nicht nur kühlen, sondern auch gleich entfeuchten. Fußbodenheizungen wären begrenzt einsetzbar, da kalte Luft absinkt, ist der Kühlungseffekt im Gegensatz zur Deckenkühlung aber viel kleiner. Eine Raumkühlung über herkömmliche Heizkörper ist hingegen nicht möglich. "Wenn ich mit sieben Grad kaltem Wasser in den Heizkörper fahren würde, würde die Luft dort kondensieren, das Kondenswasser würde permanent auf den Boden tropfen. Dann ist die Wohnung auf einmal eine Tropfsteinhöhle", erklärte Hölzl. Auch die Fläche der Heizkörper wäre zu klein für einen spürbaren Kühlungseffekt.
Aktuell sieben Fernkältezentralen in Wien
Fernkälte eignet sich daher vor allem für Gebäude, die neu gebaut werden. Eine Nachrüstung in bestehenden Gebäuden ist oft nur schwierig möglich, etwa, weil das Einverständnis aller Parteien notwendig ist, und macht nur dann Sinn, wenn das gesamte Haus renoviert wird.
Die Wien Energie betreibt aktuell sieben Fernkältezentralen in Wien, eine achte beim MedUni Campus befindet sich im Bau. Das Fernkältenetz umfasst in Wien derzeit 28 Kilometer Rohrleitungen, in ganz Österreich sind es laut dem Fachverband der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen 36 Kilometer (Stand Dezember 2022). Zusätzlich gibt es dezentrale Kältemaschinen, die nicht ans Fernkältenetz angeschlossen sind. Zur Erzeugung der Kälte kommen zwei Arten von Maschinen zum Einsatz: "Einerseits die elektrische Kältemaschine, das ist wie ein klassischer Kühlschrank und ich habe als treibende Kraft elektrische Energie. Andererseits setzen wir auch eine andere Technologie ein, sogenannte Absorptionskältemaschinen. Diese arbeiten mit thermischer Energie", so der Experte.
In Wien kommen dabei Absorptionskältemaschinen zur Abdeckung der Grundlast zum Einsatz, auch weil sie eine gewisse Zeit brauchen, um anzulaufen. Spitzen werden mit elektrischen Kältemaschinen ausgeglichen. Die thermische Energie zur Kälteerzeugung in Absorptionskältemaschinen kommt etwa aus der Müllverbrennung. Die Wärme wird im Winter zum Heizen über Fernwärme genutzt, im Sommer ist der Bedarf an Fernwärme geringer. "Wärme steht aus der Müllverbrennung zur Verfügung, diese zu nutzen, macht natürlich Sinn", sagte Hölzl.
Industrielle Abwärme ebenfalls geeignet
Auch industrielle Abwärme eignet sich gut zur Erzeugung von Fernkälte, weil auch sie ganzjährig zur Verfügung steht. Eine weitere Option bietet die Kühlung durch Sonnenwärme (Solarkühlung), die etwa bereits bei Projekten in Graz und Güssing zum Einsatz kommt.
Wien hat österreichweit das mit Abstand größte Netz, aber auch die anderen Bundesländer ziehen nach. Ab 2024 werden laut dem Fachverband auch in Klagenfurt Gebäude mit Fernkälte versorgt. In Linz und St. Pölten gibt es schon jetzt kleinere Fernkältenetze. In Niederösterreich werden außerdem die Landeskrankenhäuser Baden, Mödling und Mistelbach aus der Ferne klimatisiert. In Graz wird Fernkälte in ein Industriekundennetz eingespeist. Europaweit gehört Österreich bei der Fernkälte zu den Vorreitern: Größere Netze gibt es laut Wien Energie nur in Stockholm, Paris und Helsinki.
In Europa wird es aufgrund der Klimakrise immer heißer. Im vergangenen Jahr lag die Durchschnittstemperatur um rund 2,3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau, wie zuletzt aus dem Jahresbericht des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hervorgeht. Damit werden auch Kühlsysteme immer gefragter. Expertinnen und Experten rechnen damit, dass Europa in Zukunft etwa gleich viel Kühlenergie im Sommer wie Heizenergie im Winter brauchen wird. Wichtig ist allerdings auch hier, auf möglichst umweltfreundliche Technologien zu setzen.