Ahnenforschung bei Sternen: Viele nahegelegene Sternhaufen stammen von nur drei "Familien"
Ein internationales Team von Astronom*innen unter der Leitung der Universität Wien hat die Entstehungsgeschichte von jungen Sternhaufen entschlüsselt, die wir teilweise am Nachthimmel mit freiem Auge sehen können. Das Team, geleitet von Cameren Swiggum und João Alves von der Universität Wien und Robert Benjamin von der University of Wisconsin-Whitewater berichtet, dass die meisten nahegelegenen jungen Sternhaufen nur drei Familien angehören, die jeweils aus sehr massereichen Sternentstehungsregionen stammen.
Diese Forschung liefert auch neue Erkenntnisse über die Auswirkungen von Supernovae (gewaltige Explosionen am Lebensende von sehr massereichen Sternen) auf die Bildung gigantischer Gasstrukturen in Galaxien wie unserer Milchstraße. Die Ergebnisse dazu wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
"Junge Sternhaufen eignen sich hervorragend, um die Geschichte und den Aufbau der Milchstraße zu ergründen. Wenn wir ihre Bewegungen in der Vergangenheit und damit ihre Herkunft erforschen, erhalten wir auch wichtige Einblicke in die Entstehung und Evolution unserer Galaxie", sagt João Alves von der Universität Wien, Co-Autor der Studie. Mithilfe präziser Daten der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und spektroskopischen Beobachtungen verfolgte das Team die Ursprünge von 155 jungen Sternhaufen in einem Umkreis von etwa 3.500 Lichtjahren um die Sonne. Ihre Analyse zeigt, dass diese Sternhaufen in drei Familien mit jeweils gemeinsamem Ursprung und Entstehungsbedingungen eingeteilt werden können. "Das weist darauf hin, dass die jungen Sternhaufen von nur drei sehr aktiven und massereichen Sternentstehungsregionen abstammen", so Alves. Diese drei Sternenfamilien wurden nach ihren jeweils prominentesten Sternhaufen benannt: Collinder 135 (Cr135), Messier 6 (M6) und Alpha Persei (αPer).
"Diese Erkenntnisse liefern ein klareres Bild davon, wie junge Sternhaufen in unserer galaktischen Nachbarschaft wie Verwandte miteinander verbunden sind", sagt Hauptautor Cameren Swiggum, Doktorand an der Universität Wien. "Indem wir die 3D-Bewegungen und früheren Positionen dieser Sternhaufen untersuchen, können wir ihre gemeinsamen Ursprünge identifizieren und die Orte in unserer Galaxie lokalisieren, in denen vor bis zu 40 Millionen Jahren die ersten Sterne in den dazugehörigen Sternhaufen entstanden sind."
Diese gewaltigen Explosionen schufen vermutlich auch unsere "Lokale Bubble"
Die Studie ergab, dass sich bisher über 200 Supernova-Explosionen innerhalb dieser drei Sternhaufen-Familien ereignet haben müssen, welche enorme Energiemengen in ihre Umgebung freigesetzt haben. Die Autor*innen schlussfolgerten, dass diese Energie vermutlich die Gasverteilung in der lokalen Milchstraße stark beeinflusst hat. "Das wäre eine Erklärung für die Entstehung einer Superbubble, einer riesigen Blase aus Gas und Staub mit einem Durchmesser von 3.000 Lichtjahren um die Cr-135 Familie", erklärt Swiggum. Auch unser Sonnensystem ist in einer solchen Blase eingebettet, die sogenannte Lokale Bubble, die mit sehr dünnem und heißem Gas gefüllt ist. "Die Lokale Bubble ist vermutlich auch mit der Geschichte einer der drei Sternhaufenfamilien verknüpft", ergänzt Swiggum. "Und sie hat wahrscheinlich auch Spuren auf der Erde hinterlassen, worauf Messungen von Eisenisotopen (60Fe) in der Erdkruste hinweisen."
"Wir können den Himmel praktisch in eine Zeitmaschine verwandeln, die es uns ermöglicht, die Geschichte unserer Heimatgalaxie nachzuverfolgen", sagt João Alves. "Indem wir die Genealogie von Sternhaufen entschlüsseln, erfahren wir auch mehr über unsere eigene galaktische Abstammung." In Zukunft plant das Team um João Alves noch genauer zu erforschen, ob und wie unser Sonnensystem mit interstellarer Materie in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, interagiert hat.
Diese Forschung wurde vom ERC Advanced Grant ISM-FLOW (Alves), der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der NASA unterstützt.
Rückfragehinweis: Wissenschaftliche Kontakte Cameren Swiggum, BSc Institut für Astrophysik, Universität Wien 1180 Wien, Türkenschanzstraße 17 cameren.swiggum@univie.ac.at www.univie.ac.at Univ.-Prof. Joao Alves, PhD Institut für Astrophysik, Universität Wien 1180 Wien, Türkenschanzstraße 17 T +43-1-4277-53810 joao.alves@univie.ac.at www.univie.ac.at Theresa Bittermann Media Relations, Universität Wien 1010 Wien, Universitätsring 1 T +43-1-4277-17541 theresa.bittermann@univie.ac.at www.univie.ac.at