Von Nordafrika nach Wels: Forscher analysieren Migration in Römerzeit
Starke Anzeichen auf rege Migrationsbewegungen, auch über große Distanzen schon vor rund 3.000 Jahren, bringt eine umfassende Analyse alter DNA durch ein Forscherteam mit Beteiligung aus Österreich. Anhand des Erbguts von insgesamt 204 Menschen aus früheren Zeiten rekonstruierte man im Fachblatt "eLife" die einstige Gesellschaft. Im erstmals analysierten Genom eines in Wels (OÖ) begrabenen Mannes aus der Römerzeit fand man etwa Hinweise auf nordafrikanische Abstammung.
In der Vergangenheit konnten Forscher durch die großen Fortschritte bei Methoden zur Analyse von teilweise sehr alten Erbgut-Überresten erstaunliche Rückschlüsse auf die Besiedlungsgeschichte Eurasiens ziehen. Mit involviert in viele dieser Arbeiten waren auch Forscherteams um Ron Pinhasi vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. In den vergangenen Jahren entstand ein recht detailliertes Bild der Abläufe, lange bevor die Geschichtsschreibung einsetzte.
Demnach gelangten vielleicht bereits vor rund 50.000 Jahren erste Jäger-Sammler-Gruppen nach Europa. Die zweite größere Besiedlungswelle setzte dann ungefähr vor 7.500 Jahren ein, als Einwanderer aus dem Nahen Osten die Landwirtschaft in unsere Breiten brachten. Ein weiterer wichtiger Schritt war der Zuzug von Menschen aus Steppengebieten Zentralasiens, die vor rund 3.500 Jahren - also in der Bronzezeit - höchstwahrscheinlich die indoeuropäischen Sprachen mitbrachten. Spuren dieser großen Migrationsbewegungen nach Europa finden sich heute in der DNA der allermeisten Bewohner Europas.
Reger genetischer Austausch
Was dann hingegen ab dem Ende der Bronzezeit vor rund 3.000 Jahren die Gesellschaften Westeurasiens und Nordafrikas genetisch weiter geprägt hat, hat sich ein weitverzweigtes Wissenschafterteam, dem auch Pinhasi, sowie weitere Forscherinnen und Forscher von der Uni Wien, der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Naturhistorischen Museum (NHM) Wien angehörten, in der neuen Untersuchung angesehen. Dass es vor allem im Mittelmeerraum schon recht früh einen regen, auch genetischen Austausch gab, belegten zuletzt mehrere Studien. Das passt gut mit der damaligen Forcierung von Seereisen, der wirtschaftlichen Entwicklung und den Innovationen im militärischen Bereich und im Straßenbau zusammen.
In der neuen Analyse unter der Leitung von Wissenschaftern der Stanford University (USA) und Pinhasi mit Fokus auf die Zeit des Römischen Reiches und der Spätantike zeigte sich nun einerseits, dass es recht beständige angestammte Bevölkerungsteile, aber auch ein erkleckliches Maß an Zuzug aus weiter entfernten Regionen gegeben haben muss. Insgesamt acht Prozent der teilweise zum erstem Mal analysierten Genome stammten ursprünglich nicht aus den Gebieten in Europa, Nordafrika oder Westasiens, in dem sie begraben wurden.
Einer dieser "Ausreißer", wie die Forscher in ihrer Arbeit schreiben, wurde im heutigen Wels gefunden: Es handelt sich hier um den einzigen Hinweis auf nordafrikanische Abstammung im westlichen Europa, der in der Studie aufscheint. Die heutige Stadt Wels lag damals an der Grenze des römischen Reiches. Das Erbgut passt am ehesten zu jenem von einem Menschen von den Kanarischen Inseln aus dem Mittelalter, oder einem Genom eines nahe dem historischen Karthago im heutigen Tunesien gefundenen Individuums aus der Eisenzeit, heißt es in der Publikation.
Von extrem homogen bis zu extrem divers
In den meisten Gebieten, die anhand der Funde aus 53 archäologischen Stätten in 18 Ländern untersucht wurden, fanden sich "Ausreißer" unterschiedlicher Art: Am genetisch homogensten präsentierte sich das von Bergen umgebene armenische Hochland. Sehr divers war offenbar die Bevölkerung auf Sardinien, auf dem Balkan und in verschiedenen Teilen Mittel- und Westeuropas, heißt es in einer Aussendung der Uni Wien an Dienstag.
Die Analysen von möglichen Reisemustern der damaligen Menschen zeigten zum Beispiel, dass Neuankömmlinge in Großbritannien oder Irland am ehesten aus anderen Gebieten Nord- oder Mitteleuropas und eher nicht aus Südwesteuropa oder Nordafrika kamen. Die neuen Erkenntnisse würden zudem offenbaren, dass einige Menschen damals innerhalb ihrer Lebenszeit große Distanzen zurücklegten, und diese Reisen nicht über mehrere Generationen absolviert wurden. "Das waren vermutlich die ersten Menschen in der Geschichte, die jemals einen ganz Kontinent bereist haben", so Pinhasi.
Wäre dieses Ausmaß an Mobilität weiter aufrecht erhalten worden, hätte sich über die folgenden Jahrhunderte hinweg das Erbgut der Menschen in verschiedenen Teilen Europas und beispielsweise Nordafrikas zunehmend angenähert. Da dies nicht der Fall war, vermuten die Wissenschafter, dass es zu einer oft vermuteten starken Abnahme der Reisetätigkeiten nach der Spätantike bzw. dem Ende des Römischen Reiches kam. "Es gibt nicht genügend Daten aus dieser Zeit, um das mit Sicherheit sagen zu können - das wird nun Inhalt nachfolgender Studien sein", erklärte Pinhasi.
Service: https://doi.org/10.7554/eLife.79714