Die Vermessung des Bodensees: Naturgefahren und "mysteriöse Hügeli"
Von der Kartierung des Bodensees, eines "Hotspots der Interaktion zwischen Mensch, Umwelt und Klima", berichtete der Geologe Flavio Anselmetti am Dienstagabend bei einem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Moderne Messmethoden helfen den Forschenden etwa Naturgefahren wie Tsunamis vorherzusagen oder Einblicke in die Entstehung einer mysteriösen, zehn kilometerlangen Unterwasser-Kette von 170 Steinhügeln aus der Jungsteinzeit zu gewinnen.
"Die Geschichte des heutigen Bodensees beginnt, als sich der große Rheingletscher vor rund 19.000 Jahren zurückzieht", sagte Anselmetti. Unter anderem um die geologische Geschichte des trinationalen Sees besser zu verstehen, haben die Forschenden um ihn - auch unter Beteiligung österreichischer Partner wie dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) - mit einem sogenannten Fächerecholot den Seegrund vermessen. Bei dieser Methode wird nicht wie bei der einzelnen Echolot-Messung eine Schallwelle ausgeschickt und die Zeit gemessen, bis sie vom Boden reflektiert wieder zurückkommt, sondern ein nach unten hin breiter werdender Fächer an Signalen ausgesendet, der schnell sehr viele Messpunkte generieren kann.
Lasermessungen aus dem Flugzeug
Das Problem beim Fächerecholot: Im Flachwasser des Sees kann nicht so effizient gemessen werden, da der Fächer vom Schiff aus keinen Platz hat, nach unten hin größer zu werden. Zusammen mit einer Innsbrucker Firma wurden deswegen Lasermessungen aus dem Flugzeug vorgenommen. Bevor die von der Internationalen Gewässerschutzkommission beauftragte Karte im Jahr 2015 öffentlich zur Verfügung gestellt wurde, mussten noch die großen Datensätze der zwei Messmethoden kombiniert sowie Trinkwasserfassungen wegen der Gefahr von Giftanschlägen und archäologisch wertvolle Schiffswracks kaschiert werden. "Nun kann man aber den See zum ersten Mal so sehen, als gäbe es kein Wasser", erklärte der Geologe.
Der praktische Nutzen der Vermessung liege jetzt etwa darin, durch die exakte Darstellung des Seegrundes und anhand weiterer Analysen potenzielle Naturgefahren besser vorhersehen zu können. "Zum Beispiel könnten sich bei einem Erdbeben oder im Bereich des Rheindeltas im Falle eines Hochwassers spontan die Sedimentmassen an den Hängen bewegen", sagte Anselmetti im APA-Gespräch. Dies habe das Potenzial, einen Tsunami auszulösen.
Für so einen Fall gebe es historische Beispiele: Nach einem Hangrutsch am Rhone-Ufer des Genfer Sees im 6. Jahrhundert wurden die Brücken von Genf durch eine zehn Meter hohe Welle zerstört und die Stadt überflutet. "Wenn sich solche Massen bewegen, kann es zu extremen Wellenbewegungen kommen, aber auch bei kleineren Wellen sind Schäden an den Uferverbauungen möglich", so Anselmetti. "Wir modellieren diese Tsunamis und wollen uns die Gefahr ganz nüchtern ansehen."
170 "mysteriöse Hügeli" in drei bis fünf Metern Tiefe entdeckt
Am Südufer des Bodensees sind außerdem bei der Kartierung 170 "mysteriöse Hügeli" in drei bis fünf Metern Tiefe entdeckt worden, erzählte der Forscher. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht hat die Kette eine Länge von rund zehn Kilometern. "Das hat bei der Pressekonferenz damals einen regelrechten Hügeli-Hype ausgelöst - wir wussten dazu noch recht wenig, weswegen in vielen Medien wilde Spekulationen kursierten", so der Geologe.
Viele Fragen sind seit der Entdeckung im Jahr 2015 geklärt: Die Hügel mit Durchmessern von 15 bis 30 Metern sind sehr wahrscheinlich menschengemacht, da sie sich unter anderem deutlich von der Struktur des darunterliegenden Schlammes unterscheiden. Mithilfe von Proben konnte die Erbauung auf einen Zeitraum vor rund 5.500 Jahren, also in der Jungsteinzeit, datiert werden. "Das ist ungefähr zeitgleich mit Ötzi, der da über die Alpen gegangen ist", erklärte Anselmetti. Sie wären damit das größte bekannte neolithische Bauwerk.
Etliche Unklarheiten bleiben aber bis heute, allen voran der Zweck der Hügel. Bei der Untersuchung von "Hügeli 5", des bis jetzt einzigen mühsam unter Wasser schnittweise aufgebaggerten Hügel seien zumindest keine Siedlungsreste gefunden worden, sondern nur Steine und einzelne Holzstücke. Darüber hinaus liegen beispielsweise ein möglicher Nutzen für den Fischfang, als Begräbnisplattformen oder Kalenderanlagen bis hin zum Uferschutz als Wellenbrecher oder Lesesteinhaufen für den Ackerbau im Rahmen der Möglichkeiten. "Aber wir wissen es schlicht nicht. Spekulieren ist also erlaubt", sagte Anselmetti.
Service - Die Karte ist unter https://map.geo.admin.ch mit dem Suchbegriff "swissBATHY3D" zu finden.
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