Plädoyer für Kassenmedizin auf den Praevenire Gesundheitstagen
Bei allen Bemühungen in Österreich, die extramurale medizinische Versorgung zu verbessern, kommt man an vielen Grundproblemen in der Kassenmedizin nicht vorbei. Die Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer, Naghme Kamaleyan-Schmied, hielt dazu im Rahmen der Praevenire Gesundheitstage ein Plädoyer für bessere Rahmenbedingungen.
"Es gibt eine ganz schlimme Abwärtsspirale im System. Die Zuwendungsmedizin wird immer weniger. Was steigt, das sind die Wartezeiten auf Arzttermine", erklärte die Kammerfunktionärin. Erst vor kurzem hätte eine Umfrage in Wien ergeben, dass man auf einen Termin beim Kinder- und Jugendpsychiater derzeit 90 Tage warten müsse, auf einen Kontakt mit einem Neurologen 45 Tage, auf einen Termin bei einem Lungenfacharzt im Durchschnitt 36 Tage.
Naghme Kamaleyan-Schmied: "Jeder zweite Kinderfacharzt in Wien nimmt keine neuen Patienten. Die Patienten wollen aber mehr Kassenärzte und kurze Wartezeiten." Das hänge auch an der Finanzierung. Die Ärztin, die derzeit in Vorbereitung einer Primärversorgungsseinheit ist: "Wir brauchen faire Honorierungen. Fragt man Patienten, dann ist ihnen ein persönlicher Arztkontakt rund 150 Euro wert. Das ist das, was er beim Wahlarzt zahlt. Der Politik ist eine Hausarzt-Konsultation hingegen sieben Euro wert."
Kassenmedizin oft unflexibel
Viele Regelungen und Abläufe seien in der Kassenmedizin extrem langsam und unflexibel. Die Kammerfunktionärin: "Ich wollte eine Anstellung für eine junge Kollegin, die bei mir die Lehrpraxis gemacht hat. Ich habe bei der Krankenkasse den Antrag gestellt. Erst nach vier Monaten bekam ich die Bewilligung." Da hätte sich ihre Kollegin schon nach einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit umgesehen.
Auch flexible Arbeitszeiten seien in der Kassenmedizin, beispielsweise für Ärztinnen, die Kinder zu versorgen haben, kaum möglich. Naghme Kamaleyan-Schmied: "Die Rahmenbedingungen im Kassenvertrag sind so strikt, dass man darin erstickt." Auch innovative und moderne Leistungen würden in der Hausarztmedizin noch immer nicht bezahlt. Die Ärztevertreterin nannte hier die D-Dimer-Bluttests, die rund fünf Euro kosten, aber zur Abklärung von Thrombosen wichtig wären. "Da muss ich den Patienten ins Spital schicken", erklärte die Wiener Ärztin.
Auch die von der österreichischen Gesundheitspolitik derzeit stark geförderten Primärversorgungseinheiten könnten die Probleme allein nicht lösen, zeigte sich Naghme Kamaleyan-Schmied überzeugt: "Die Primärversorgungszentren können nur zehn Prozent der Bevölkerung versorgen. Was ist mit den anderen 90 Prozent. Vertrauen besteht zwischen Menschen, nicht zwischen Immobilien. Je größer diese Zentren sind, desto unpersönlicher sind sie." Als Hausärztin mache sie die Erfahrung, dass 30 Prozent der ankommenden Patienten sofort umdrehten und nach Hause gingen, wenn sie als persönliche Vertrauensärztin einmal nicht in der Ordination sei.