ISTA-Diskussion: Diversität als "Bonus" für die Wissenschaft
Geschlechtergerechtigkeit wird auch in der Welt der Wissenschaft immer mehr zum Thema. Nicht nur weil es Quotenregelungen oder Gesetze vorschreiben sollten Frauen stärker in der Forschung vertreten sein als bisher. Diverser aufgestellte Teams würden auch klar bessere Forschungsergebnisse hervorbringen, lautete der Tenor einer Diskussionsveranstaltung am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zum Thema "Men and Women in Science".
"In der Wissenschaft und in der Forschung glauben wir gerne, dass wir unvoreingenommen und hoch objektiv sind - in Experimenten, Forschungsfragen und in unserem sozialen Umfeld. Und doch können wir der Tatsache nicht entkommen, dass Wissenschaft und Forschende auch sozial eingebettet sind", erklärte ISTA-Präsident Thomas Henzinger zu Beginn der Diskussionsrunde.
Eines der Muster, das aus der Gesellschaft in die Wissenschaft übernommen werde, sei die implizite Voreingenommenheit - also die unbewusste Zuschreibung bestimmter Merkmale auf andere Personen. Trotz Versuchen, historische Vorurteile gegenüber Frauen rückgängig zu machen und das Verständnis für Geschlechter und gesellschaftliche Rollen zu verbessern, seien viele gesellschaftliche Gruppierungen auch am ISTA sehr unterrepräsentiert. "Diversität ist entscheidend für unsere Arbeit", so Henzinger.
Polaschek: "Riesiger Einfluss auf Endprodukte"
Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) schlug in einem Videostatement in dieselbe Kerbe: "Geschlechterungleichheit hat nicht nur Auswirkungen auf die schieren statistischen Zahlen der wissenschaftlichen Belegschaft. Es hat auch einen riesigen Einfluss auf die Endprodukte und Technologien, die aus wissenschaftlichen Anstrengungen hervorgehen." Moderatorin Hilde Janssens erinnerte in dem Zusammenhang an die Conclusio einer ähnlich gelagerten Veranstaltung im Vorjahr: "Wenn wir mehr Ideen für Wissenschaft haben, dann kommt auch eine andere Art der Wissenschaft dabei heraus. Wir stellen andere Fragen und haben andere Zugänge."
Ungeachtet des leicht gestiegenen Bewusstseins für Fairness gebe es quantitativ gesehen nicht viele ermutigende Ergebnisse. Laut der EU-Publikation "She figures" sei die Zahl permanenter weiblicher Gruppenleiterinnen in MINT-Disziplinen (MINT=Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) von 1999 bis 2018 immerhin um zehn Prozentpunkte gestiegen. Insgesamt stehen damit aber trotzdem nur 18 Prozent Frauen in diesen Positionen 82 Prozent Männern gegenüber. "Der Fortschritt ist also langsam und es wird klar, dass Geschlechtergerechtigkeit nicht mehr eine reine Frauenangelegenheit ist", tritt Janssens, die am ISTA als "Good Practice Officer" für alle Fragen der Gleichstellung und Gleichbehandlung zuständig ist, für die verstärkte Einbeziehung von Männern in solche Fragen ein. "Wir können nicht nach einer Systemänderung streben, wenn die Mehrheit darin nicht beteiligt ist."
Privilegien für Privilegierte unsichtbar
Entsprechend wies Keynote-Sprecher Nikolaus Benke, Rechtswissenschafter von der Universität Wien, auf die vielen Facetten von Fairness in Geschlechterfragen hin. Das beginne schon dabei, privilegierte Personen - also in der Regel Männer - diesbezüglich zu adressieren. Problem dabei: "Das Hindernis liegt in der Tatsache, dass Privilegien für diejenigen unsichtbar sind, die sie haben."
Europäische und österreichische Gesetze würden zwar grundsätzlich für das Verbot von Diskriminierung und für den Ausgleich diskriminierender Systeme sorgen. Im Detail betrachtet wird so manche ambitionierte gesetzliche Vorgabe aber eher zahnlos, wie Benke ausführte. So gebe es für das ISTA, das als privates Institut unter das Gleichbehandlungsgesetz fällt, keine rechtlich verbindliche Quotenregelung für Frauen, die sich hier für Stellen bewerben. Der ISTA-eigene "Gender Equality Plan" von 2022 bis 2026 sei zwar recht detailliert und reflektiere hohe Standards für Geschlechtergerechtigkeit, doch sei auch dieser eher programmatisch ausgelegt als verpflichtend im strengen Sinne.
Wissenschaftlicher "Diversität-Bonus"
In der Podiumsdiskussion wurde vor allem betont, dass der wissenschaftliche Output letztlich von Vielfalt profitiert. Stehe man vor einer Reihe schwierigee Fragestellungen, habe man mit einem "Diversitäts-Bonus" größere Chancen, diese zu lösen als mit einem überwiegend homogenen Team, führte Carl Goodrich, der sich am ISTA mit dem Thema "Theoretische und computergestützte weiche Materie" auseinandersetzt, ins Treffen.
Nicht ganz einfach war für das Podium die Frage zu lösen, ob etwa Frauenquoten bei Förderanträgen der wissenschaftlichen Qualität zugute kommen würden. Jim Smith, emeritierter Wissenschafter des Francis Crick Instituts (London), war im Vereinigten Königreich für zwei Förderagenturen tätig (Medical Research Council, Wellcome Trust), wo bei knappen Entscheidungen häufig Frauen bevorzugt worden seien: "Im Großen und Ganzen sind die Erfolgsquoten (für Frauen und Männer; Anm.) ähnlich. Wenn aber nur mehr ein Platz zu vergeben war, hieß es sehr oft: Wir müssen das einer Frau geben." Und das, betonte Smith, bedeute keinesfalls, das Niveau für alle zu senken.
Quoten gegen systemimmanenten Sexismus
Bis es zu einer groß angelegten Bewusstseinsänderung im Wissenschaftssystem kommt, könnte es noch ein langer Weg sein, befürchtet Monica Gotta, Professorin an der medizinischen Fakultät der Universität Genf. In der Schweiz habe sie in einem sehr stark männerdominierten Umfeld oft mit sexistischen Äußerungen und Weltanschauungen zu tun gehabt. Schon deshalb seien Quotenregelungen bei Bewerbungen eine sinnvolle Maßnahme, sowohl das Arbeitsklima als auch wissenschaftliche Fragen zu verbessern.
Für Frauen in der Wissenschaft, die mit ihren Sorgen und Ängsten nicht alleine bleiben möchten, hatte Beatriz Vicoso, die am ISTA eine Forschungsgruppe zum Thema Geschlechtschromosomen leitet, einen abschließenden Rat parat: "Gemeinsam sind wir stärker. Wenn dir nicht gefällt, wie die Welt funktioniert, finde andere, die genauso denken - und kämpfe für Veränderung. Jede Veränderung kommt von unten."
(Diese Meldung ist Teil einer Medienkooperation mit dem Institute of Science and Technology Austria)