Schulstart und Psyche: Unterstützung für Kinder und Umfeld gefordert
"Taten statt Warten", hat Barbara Haid, Präsidentin des Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP), am Mittwoch bei einer Online-Pressekonferenz zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen eingemahnt. Die Zahl der Mädchen, die innerhalb von zwei Wochen vor einer wiederholten Umfrage Suizidgedanken hatten, erhöhte sich im Frühjahr auf 47 Prozent (von 20 Prozent im Herbst 2021). Der Schulstart bedeutet für viele Druck und Stress, aber auch akute psychische Probleme.
Von den rund 1,7 Millionen Menschen unter 20 Jahren in Österreich besuchen 1,1 Millionen eine Schule. Derzeit stehen ihnen nur 181 Schulpsychologen zur Verfügung. Jeder fünfte Schüler (24 Prozent) hat bereits vor Ausbruch der Pandemie mit psychischen Problemen gekämpft. Teilweise mussten und müssen sie monatelang auf Behandlungsplätze warten, vor allem für Kassenpatienten gibt es monatelange Wartelisten.
Gemeinsam mit der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga) und der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) äußerte Haid Sorge um die psychische Gesundheit der Jugend in Österreich. Oft sei eine zeitnahe Intervention entscheidend, die lange Wartelisten bzw. Wartezeiten würden das Problem zusätzlich verschärfen.
Zu wenig niederschwellige Angebote
Viel zu wenig niederschwellige Angebote an Ort und Stelle in der Schule zählen zu den großen Herausforderungen für die psychosoziale Betreuung zu Beginn des neuen Schuljahres. Auch wenn der Präsenz-Unterricht oft Vorteile für benachteilige Kinder bringe, seien viele Probleme bereits abzusehen.
Eine gemeinsame Forderung ist es, die psychosoziale Versorgung für Schüler, Eltern und auch das Lehrpersonal auszubauen - und langfristig sicherzustellen. Da und dort gebe es vielversprechende Pilot-Projekte, nachhaltig müsse aber konstant investiert werden. Auch in die Bewusstseinsbildung rund um das Thema psychische Gesundheit.
"Schüler müssen gehört, gesehen und wahrgenommen werden", sagte Haid. Schon vor der Coronakrise hatten Befragungen gezeigt, dass der Nachwuchs aufsuchenden und unterstützenden psychosozialen Angeboten gegenüber offen und positiv eingestellt ist. Aktuell haben die psychischen Belastungen noch deutlich zugenommen, belegen mehreren Studien aus der EU und Österreich.
Depressive Symptome am Vormarsch
Mittlerweile leide jeder zweite junge Mensch in Österreich an depressiven Symptomen. Suizidgedanken, Angstsymptome, Schlafstörungen und ein problematisches Konsumverhalten haben stark zugenommen. 47 Prozent aller befragten Jugendlichen gaben bei der Erhebung im Frühjahr an, dass sie professionelle Unterstützung brauchen, wobei besonders starke Verschlechterungen in Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, mit Migrationshintergrund und denjenigen, die in beengten Wohnverhältnissen leben, zu bemerken ist.
Grundsätzlich sei die psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung in Österreich unzureichend und vor allem niederschwellige, kassenfinanzierte Angebote Mangelware. "Im Sinne der Chancengerechtigkeit muss der Zugang zu bestmöglicher Gesundheitsversorgung allen Kindern und Jugendlichen gleichberechtigt möglich sein. Finanzielle Ressourcen dürfen nicht den Unterschied zwischen Behandlung oder keine Behandlung machen", sagte Caroline Culen, klinische Psychologin und Geschäftsführerin der Österreichischen Kinderliga.
Mehr Aufmerksamkeit für "Mental Health"
Mira Lobnig, Mitinitiatorin der Jugend-Mental-Health-Initiative "Gut und selbst", forderte eine Aufstockung des psychosozialen Schulsupportpersonals. Neben Schulärzten und Schulpsychologen sollten an jeder Schule Schulpsychotherapeuten, Sozialarbeiter und mehr Vertrauenslehrer tätig sein, so die Experten unisono. Das Thema "Mental Health" solle darüber hinaus in den Mittelpunkt rücken.
Durch die Pandemie sind Belastbarkeit und Stressakzeptanz gesunken, es brauche niederschwellige Unterstützung und Präventionsangebote wie etwa das erfolgreiche Pilotprojekt "fit4SCHOOL-psychotherapeutische Beratung in der Schule". Auch müssten Präventions- und Weiterbildungsangebote für Schüler, Lehrer und Eltern im psychosozialen Bereich dringend ausgebaut und das Thema "Mentale Gesundheit" als eigenes Schulfach in den Lehrplan aufgenommen und auch in die Lehrer-Ausbildung integriert werden.
Service: Details unter www.oebvp.at; www.kinderjugendgesundheit.at; www.gutundselbst.at -
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter www.bittelebe.at