Klima, Demokratie, Wissen: Europa als Modellunion
Gastbeitrag --- Meine drei Wünsche im Wahljahr - von der Wissenschaft an die Politik - sind:
Wunsch & Appell Nr. 1: Die einhelligen Warnungen der Wissenschaft vor den katastrophalen Folgen des Klimawandels sind schleunigst ernst zu nehmen. Klimaschutzmaßnahmen sind teuer, aber mit Abstand am allerteuersten sind zu wenig Klimaschutzmaßnahmen (too little, too late). Wir haben gegenwärtig noch die Möglichkeit, entschlossen gegenzusteuern, die "Triple Transition" (digital, ökologisch, sozial) konstruktiv zu bewältigen, die Energiewende in ein dekarbonisiertes System zu schaffen und die Zukunft unserer Zivilisation und Wohlstandsgesellschaft zu sichern. Ein wirksamer "Green Deal" der EU ist unumgänglich - trotz aller föderalistischen Blockadeversuche von Hinsichtl und Rücksichtl. Bei aller forscherischen Liebe zu den Marsmissionen von NASA und ESA: There is no Planet B.
Wunsch & Appell Nr. 2: Die digitalen und "sozialen" Medien gefährden die Grundfesten unserer liberalen Demokratie. Desinformation, alternative Fakten, Zersetzung und Verhetzung nehmen überhand; selbstverstärkende Blasen dominieren. Auch die Qualitätsmedien sehen sich einem aufmerksamkeitsökonomischen Konkurrenzdruck ausgesetzt, der "Clickbait", Aufregung, Kontroverse und Sensationismus fordert, wobei mehr denn je die Regel "Only bad news are good news" wirkt. Das klassische Diktum Thomas Jeffersons (1816), "Where the press is free, and every man able to read, all is safe", gilt heute nicht mehr. Zugleich ist die Allgegenwart digitaler Kommunikation, das dauernde "angepingt" werden und sich im vernetzten Reputationswettbewerb beweisen müssen, ein Attentat auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen - mit stark steigender Prävalenz von Angststörungen. Die europäische Politik ist gefordert, wirksame Maßnahmen gegen Hass und Hetze im Netz, Desinformation und den Ruin des Qualitätsjournalismus zu setzen.
Wunsch Nr. 3: Europa soll der attraktivste Forschungs-, Wissenschafts- und Wissensraum der Welt werden. Die diesbezüglichen Anstrengungen der Europäischen Union, insbesondere des European Research Council (ERC), sind zu verdoppeln. Die EU soll das Potential entwickeln, die besten Köpfe weltweit anzuziehen und den brightest minds die besten Arbeits- und Forschungsbedingungen einzuräumen. Das ist eine hochrentable Investition in die Zukunft. Zugleich ist es ein Gebot des demographischen Wandels, oder weniger blumig ausgedrückt, der Überalterung der Gesellschaft. Die "First Mission" der Universitäten, das Hervorbringen einer hinreichenden Zahl an hochqualifizierten Absolventinnen und Absolventen, wird zu deren wichtigster Aufgabe werden: nicht allein im MINT-Bereich, sondern im gesamten Spektrum akademischer Berufe, vom Recht bis zur Medizin. Europa ist dann konkurrenz- und zukunftsfähig, wenn es sich als nicht nur quantitativ, sondern qualitativ attraktiv erweist.
Zur Person:
Oliver Vitouch, geb. 1971, ist Rektor der Universität Klagenfurt und Präsident der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko). Er forschte und lehrte an der Universität Wien, dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin (Center for Adaptive Behavior & Cognition, ABC), der FU Berlin und der Universität St. Gallen. Seit 2003 ist er Professor für Allgemeine Psychologie in Klagenfurt. Nach Tätigkeiten als Präsident der Österr. Gesellschaft für Psychologie und als Senatsvorsitzender (2006-2012) ist er seit 2012 Rektor.
Von 2015 bis 2016 war Vitouch Präsident der Alpen-Adria-Rektorenkonferenz, einer Vereinigung von 50 Universitäten aus neun europäischen Ländern. Seit 2016 ist er alternierend Vizepräsident und Präsident der uniko.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.