"Keine Klarheit": Wissenschafter beurteilen Klima-Programme vor NR-Wahl
Von "auf dem richtigen Weg" bis "sogar ein 'Nicht genügend' wäre eine zu positive Bewertung": So unterschiedlich wie die Klima-Kapitel der Wahlprogramme der Parteien fällt auch das Zeugnis aus, das Wissenschafter diesen ausstellen. Setze die ÖVP vor allem auf neue Technologien, lieferten SPÖ und NEOS gute Ansätze für Energie- und Verkehrswende. Während die Grünen die Klimaziele am ehesten erreichen könnten, leugne die FPÖ die Klimakrise ganz, hieß es bei einer APA-Rundfrage.
"Wir müssen unsere Alltagsroutinen nicht ändern, wir machen alles mit neuen Technologien und profitieren von diesen auch im Export." So lautet für den Wirtschaftswissenschafter Karl Steininger das Narrativ der ÖVP. Der Professor am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz hat für die APA versucht, die einzelnen Programme auf ihre Kernbotschaften herunterzubrechen. Für die SPÖ laute diese: "Wo erforderlich als Staat die Rahmenbedingungen bzw. auch Förderungen so setzen, dass Unternehmen und Privaten die klimafreundliche Transformation gelingt, zum Vorteil der Bevölkerung und unserer Wirtschaft."
Ökonom sieht Themenverweigerung bei der FPÖ
Während die NEOS laut Steiningers Kürzest-Zusammenfassung auf sanfte Reformen ("Rahmenbedingungen und Institutionen klug anpassen, damit effektiver und wirksamer Klimaschutz sowohl individuell als auch volkswirtschaftlich sinnvoll erfolgt.") und die Grünen auf positive Botschaften ("Kluger Klimaschutz geht Hand in Hand mit gerechtem und erhöhtem Wohlstand für alle und Sicherung des Wirtschaftsstandorts.") setzten, sieht der Ökonom bei der FPÖ nicht Themenverfehlung, sondern Themenverweigerung. Deren Grunderzählung laute: "Die Klimakrise existiert nicht, und falls doch, sind es jedenfalls nicht wir, die sie lösen sollten, sondern zuerst alle anderen."
"Die von der FPÖ vorgeschlagenen Maßnahmen sind bis ins kleinste Detail kontraproduktiv und würden sicherstellen, dass Österreich die Klimaziele nicht erreicht", ist auch der Energiewissenschafter Keywan Riahi vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg sicher. Riahi, der zu den am meisten zitierten Forschern der Welt zählt, hält sogar einen glatten Fünfer für zu gut im klimapolitischen Zeugnis der FPÖ, die sich für die beiden an der Universität Wien tätigen Politikwissenschafter Alina Brad und Etienne Schneider "der klassischen Instrumente aus dem Werkzeugkasten der Klimaskepsis" bedient: "Neben der gefährlichen Verharmlosung der zunehmend offensichtlichen Auswirkungen des Klimawandels ("Klimahysterie") zählt hierzu insbesondere die starke Betonung der vermeintlichen Nachteile von Klimapolitik ("Wohlstandsgefährdung", "Deindustrialisierung") sowie das Framing fossiler Energieträger als Teil der Lösung (statt als Kern des Problems). Während sich die Klimaforschung einig ist, dass klimaschädliche Subventionen so schnell wie möglich auslaufen und das Steuersystem weiter ökologisiert werden sollten, fordert die FPÖ das Gegenteil."
Kritik an Technologie-Glauben der ÖVP
Bei ihrer Analyse der ÖVP-Position, die "nicht ausreichend" sei, "um in der nächsten Legislaturperiode die erforderlichen Schritte für die Erreichung der Klimaneutralität 2040 zu setzen", fühlen sich Brad und Schneider an den Spruch "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" erinnert. "Suggeriert wird, dass Innovation und technologischer Fortschritt ausreichen, um den Klimawandel einzudämmen. Dies entspricht jedoch nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand. So hat der Weltklimarat in seinem jüngsten Bericht deutlich gemacht, dass Technologieentwicklung und Innovation allein nicht ausreichend, sondern auch Veränderungen in gesellschaftlichen Systemen der Produktion und des Konsums sowie Verhaltensänderungen erforderlich sind."
Die beiden Wissenschafter sehen eine Überbetonung von Eigenverantwortung im Gegensatz zu notwendigen Strukturänderungen und vermissen "ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern sowie zu gesellschaftlichen Veränderungen, die über optimistischen Annahmen technologischen Wandels hinausgehen": "Der starke Widerstand der ÖVP gegen Verbote verkennt, dass gezielte Verbote klimaschädlicher Technologien wie das Verbrenner-Aus wichtige politische Signale senden können, die dazu beitragen, Investitionen in klimafreundlichen Technologien zu lenken. Sollen die Klimaziele noch erreicht werden, muss auch die Nutzung fossiler Brennstoffe umgehend reduziert und letztendlich gänzlich eingestellt - und verboten - werden."
Unklarheit schadet Wettbewerbsfähigkeit
"Was Unternehmen brauchen ist Technologieklarheit. (...) Wenn diese Klarheit nicht kommt, verlieren wir nicht nur im Klimaschutz, sondern auch in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit", sieht Steininger das ÖVP-Programm nicht als das, was die Wirtschaft für die Zukunft brauchen würde. Noch deutlicher formuliert es Riahi: "Die Notwendigkeit eines tiefgreifenden strukturellen Wandels zur Lösung der Klimakrise scheint bei der ÖVP noch nicht angekommen zu sein. Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen am Kern des Problems vorbei." Die "inkonsistenten Signale" der Politik würden auch der Autoindustrie schaden.
"Mit dem ÖVP-Programm würde Österreich die Klimaziele klar verfehlen", macht Riahi klar und kritisiert, dass "einige Schlüsselsektoren" wie Landwirtschaft bei der ÖVP im Klimazusammenhang nicht oder kaum Erwähnung finden - eine Kritik, die er auch auf andere Parteien ausdehnt. Immerhin sieht er dort die richtige Richtung eingeschlagen. "Das Programm der NEOS enthält viele wichtige Vorschläge. Positiv zu bewerten ist die Kombination von Technologiezielen, CO2-Bepreisung und die vorgeschlagenen strukturellen Maßnahmen (Raumplanung/kompakte Siedlungsstrukturen)." Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien jedoch "nicht konkret genug, um das Erreichen der Klimaziele zu garantieren".
Als "wichtige Bausteine auf dem Weg zur Netto-Null Emissionen in Österreich" sieht Riahi von der SPÖ vorgeschlagene Maßnahmen wie einen Transformationsfonds, Investitionen in den öffentlichen Verkehr und Technologieförderung, während das Programm der Grünen "viele wichtige Aspekte, die Österreich der Klimaneutralität ein Stück näherbringen würden", enthalte. "Im Vergleich zu den Programmen anderer Parteien spielt die Erneuerbare Energie eine größere Rolle, was positiv zu bewerten ist."
Viele Vorschläge bleiben unkonkret
Weniger mit den Grünen, "die den Klimaschutz ohnehin ins Zentrum stellen", als mit den Ansätzen und Kompromissen von NEOS und SPÖ haben sich Alina Brad und Etienne Schneider auseinandergesetzt. "Das zentrale Narrativ der NEOS besteht darin, Deregulierung und die Stärkung von Marktmechanismen als wirksamste Klimaschutzinstrumente und Gebot der Stunde zu framen." Die Bodenversiegelung aufgrund bestehender Raumplanungskompetenzen oder die Blockade des Ausbaus erneuerbarer Energieträger durch föderale Strukturen würden als Probleme adressiert, lobt das Duo. "Ansonsten bleiben viele Vorschläge jedoch unkonkret - etwa, wo ein 'vernünftiger' CO2-Preis anzusiedeln wäre." Während die von den NEOS bevorzugten "marktbasierten Instrumente" des Klimaschutzes "viele sichtbare Verlierer und wenig unmittelbare Gewinner" hervorbrächten, wird das "klare Bekenntnis zum Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs und zur Abschaffung klimaschädlicher Subventionen" positiv hervorgehoben.
Die SPÖ entwickle in ihrem Programm "das Narrativ, dass Energiewende und sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft mit aktiver strategischer Industriepolitik gemeistert werden können", analysieren Brad und Schneider und loben "das klare Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern": "Die SPÖ erkennt an, dass zur Lösung der Klimakrise nicht nur Technologien und Innovation, sondern ein grundlegender sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft und eine Verkehrswende erfolgen müssen." Der vorgeschlagene Transformationsfonds, "in den Einnahmen und Erträge zurückfließen und dessen Förderung an soziale Kriterien verbunden sind", entspreche neuen Forschungsergebnissen. "Unklar bleibt allerdings, auf welche Technologien und Branchen der Transformationsfond setzen sollte." Auch Karl Steininger kann aus Klima-Perspektive den SP-Vorschlägen einiges abgewinnen: "Konsequent durchgezogen und weiter ausgebaut" würden diese zu einer "weiteren merkbaren Absenkung der Emissionen" führen.