Forum Alpbach: Tech-Jahrbuch zeigt "mystifizierte" KI als Werkzeug
Große Umwälzungen versprachen sich vor wenigen Jahren Forscher, Politiker und Technologieunternehmer von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI). Mittlerweile ist die KI etwa im Smartphone mannigfach präsent. Der oft "mystifizierte" Ansatz sei zum Werkzeug geworden, über dessen Einsatz das am Mittwoch präsentierte Jahrbuch zu den Alpbacher Technologiegesprächen (25. bis 27.8.) informieren soll. Die Bedeutung des Themas würde hierzulande trotzdem zu wenig gewürdigt.
Wer sein Handy mittels Fingerabdruck entsperrt, die automatischen Vorschläge beim Eintippen einer Nachricht nutzt oder auf Sprachsteuerungssysteme zurückgreift, nutzt auch KI. Die Technologie "ist mitten im Alltag angekommen", so der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Martin Kugler. Während noch vor wenigen Jahren viele dystopische Erwartungen und Befürchtungen kursierten, dass es durch den breiten Einsatz von maschinellem Lernen und Co zur baldigen Entwicklung einer Art "generellen Intelligenz" kommen wird, die den Menschen in seinen Fähigkeiten überflügelt, gebe es nun mehr Realismus in der Szene.
Sorge erst bei Siphonreinigung
So lasse der an der Technischen Universität (TU) Wien und am Austrian Institute of Technology (AIT) tätige Automatisierungstechniker Andreas Kugi im Buch unter dem Titel "KI in der Praxis" wissen, dass er sich erst Sorgen mache, wenn er einem autonomen Roboter gegenübersteht, der dazu fähig ist, den Siphon eines Waschbeckens zu reinigen. Diese für Menschen mitunter recht gut zu bewältigende Aufgabe werde für solche Systeme nämlich noch lange ein Mirakel bleiben, erklärte Kugler, der für die Veröffentlichung eine Vielzahl an Interviews geführt hat. Unter den Gesprächspartnern finden sich u.a. die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, die Mobilitätsforscherin Katja Schechtner oder auch Experten mit Verbindungen zum AIT, das gemeinsam mit Ö1 die Alpbacher Technologiegespräche veranstaltet.
Um das KI-Thema kommt man auch heuer in Alpbach nicht herum - wenn auch ein Stück weit "desillusionierter" im durchaus positiven Sinne, wie der wissenschaftliche Geschäftsführer des AIT und Ko-Herausgeber der Publikation, Wolfgang Knoll, sagte. Weiter im Vordergrund stünden die Geopolitik, beispielsweise in Form der Verwerfungen von Lieferketten im Gefolge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, die Zukunft der aktuell unsicheren Energieversorgung, die Covid-19-Pandemie oder die Klimakrise. Angesichts all der großen Themen wolle man im Bereich der KI den Fokus auf konkrete Anwendungsbeispiele legen.
Androsch ortet "riesigen Nach- und Aufholbedarf"
Gerade hier tue sich momentan ein "weites Feld" auf, das auch in der Wissenschaft neue Erkenntnisse in der Molekularbiologie, der Neurowissenschaften, der Nanotechnologie oder der Medizin verheißt, wie der frühere Chef des Forschungsrates und ehemalige AIT-Aufsichtsratschef, Hannes Androsch, betonte. Dass Österreich hier am Ball bleiben kann, bezweifelte er: "Wir haben einen riesigen Nach- und Aufholbedarf." Wenig nachvollziehbar sei, dass man hier auf eine erst langwierig einzurichtende neue "Universität für Digitalisierung" in Linz setzt, während sich an der Uni Linz bestehende, namhafte Institute, wie jenes des KI-Pioniers Sepp Hochreiter mit der Finanzierung schwer täten.
Hier "geschieht nicht genug", so Androsch, der mit der deutschen Helmholtz-Gemeinschaft ein einschlägiges Ausbildungszentrum nach Wien bringen möchte. Zum Start einer solchen "Data Science School" nach deutschem Vorbild bräuchte es rund zehn Millionen Euro.
Service: Jahrbuch zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2022: "Discussing Technology: KI in der Praxis/Applying AI", Hannes Androsch, Wolfgang Knoll, Anton Plimon (Hg.), Holzhausen Verlag, 192 Seiten. Weitere Informationen: www.ait.ac.at/efatec und www.alpbach.org