Sicheres Fahren: Neue Technologien helfen beim Um-die Ecke-Schauen
Wenn Autos und ihre Fahrer automatisch vor Fußgängern gewarnt würden, die plötzlich in unübersichtlichen Verkehrssituationen auftauchen - könnte die Verkehrssicherheit deutlich erhöht werden. Dazu müssten die Fahrzeuge jedoch "um die Ecke schauen" können. Ein internationales Konsortium mit Beteiligung des österreichischen Alp.Lab in Graz hat einen "Proof of Concept" vorgelegt, das zeigt, wie das funktionieren könnte.
Mehr als 60 Prozent der Verkehrsunfälle in Österreich, bei denen Menschen verletzt werden, ereignen sich im Ortsgebiet: Über 22.000 Verletzte und an die 90 Todesopfer wurden 2020 in diesem Bereich gezählt. Oft sind Ablenkung und Unachtsamkeit die Ursache, vielfach auch unübersichtliche Verkehrssituationen, wenn beispielsweise ungeahnt Fußgänger hinter parkenden Autos auf der Straße auftauchen. Ein System, das dem Fahrzeug und seinem Fahrer zusätzliche Informationen über die Umgebung in Echtzeit mitteilt, könnte die Unfälle zwischen Fahrzeugen und Fußgängern verringern, weil mehr Zeit für die Reaktion auf die potenzielle gefährliche Situation bleibt.
"Periscope" soll Sichtfeld von Autofahrer erweitern
Davon sind jedenfalls das im Silicon Valley ansässige Unternehmen Cepton Inc., der Konnektivitätsspezialist TE Connectivity und der Mobilitätstest-Dienstleister Alp.Lab in Graz überzeugt. Die drei Unternehmen haben jüngst belegen können, dass eine entsprechende Echtzeit-Verkehrsanalyse- und Kommunikationslösung prinzipiell möglich ist, wie es vonseiten Alp.Lab gegenüber der APA hieß. Ihr Projekt mit dem Namen "Periscope" erweitert das Sichtfeld der Autolenker, indem es mit Hilfe von Lidar-Sensoren, die an der Straßenkreuzung montiert wurden, um die Ecke blickte und vor Fußgängern warnte - mehrere Sekunden, bevor diese für die Autofahrer selbst sichtbar waren. Die laserbasierte Sensoren (Lidar) gelten als Schlüsseltechnologie für das automatisierte Fahren.
Lidar ist ein Akronym für "Light Detection and Ranging" und arbeitet ähnlich wie ein Radar. Statt Radiowellen werden aber Laserstrahlen im Infrarotbereich ausgeschickt, um im Fernbereich des Fahrzeugs Objekte zu erkennen und ihren Abstand zu bestimmen. Anhand der Laufzeit, die das Licht zu den Objekten und zurück benötigt, werden Abstand, Position und Geschwindigkeit von ruhenden und bewegten Verkehrsteilnehmern und Objekten errechnet.
Daten werden in Echtzeit übermittelt
Bei der nun entwickelten Lösung werden hochpräzise Daten über die Umgebung gesammelt und in Echtzeit an das Fahrzeug übermittelt. Dabei wird das System von sogenannter V2X-Technologie unterstützt. Vehicle to Everything (V2X) ist ein Überbegriff, der die Kommunikation des Fahrzeugs mit seiner Umwelt darstellt. Diese kann etwa aus anderen Straßenteilnehmern wie Autos, Fahrradfahrern oder Fußgängern aber auch der Verkehrsinfrastruktur wie Ampeln bestehen.
"Wir haben ein Szenario getestet, in dem ein Fußgänger hinter einer Kurve die Straße zu überqueren begann und damit in die Fahrspur des herannahenden Testfahrzeuges trat. Durch unsere Lösung konnte der Fahrer bereits fünf Sekunden vorher gewarnt werden, bevor der Fußgänger im Sichtfeld des Testfahrzeugs erschien. Dank der hochauflösenden 3D-Erfassungsfunktionen des Cepton-Lidar konnten wir eine Analyse der Situation erstellen, die mit dem "Vehicle-to-everything, V2X-System von TE Connectivity in Echtzeit an das Fahrzeug übermittelt wurde und dort dem Fahrer als Grundlage für eine rechtzeitige Entscheidung diente", schilderte Christoph Knauder vom Grazer Alp.Lab.
Alp.Lab übernahm die Systemintegration und -prüfung. Die firmeneigene Software übersetzte die vom Lidar-System ausgegebenen Wahrnehmungsdaten in Collaborative Awareness Messages (CAM). Sie liefern Informationen über den Verkehrsfluss, die Fahrzeugposition, -geschwindigkeit, die Fahrtrichtung usw. Der Test-Dienstleister und Spezialist für automatisierte Fahrfunktionen in Graz stellte auch das Testareal und die technische Infrastruktur für "Periscope" zur Verfügung.
Qualitative Tests stehen an
TE Connectivity vervollständigte die Lösung mit V2X-Hardware-Komponenten im Fahrzeug und in der umgebenden Infrastruktur. Sie ermöglichen die Übertragung von CAM an jedes Fahrzeug und liefern die Technologie für eine On-Board-Anzeige des Fahrzeugstandorts und potenzieller Straßengefahren. Die drei Partner wollen weiter zusammenarbeiten und die Lösung in weiteren Anwendungsfällen testen. Das Konsortium plant in den kommenden Monaten quantitative Tests durchzuführen, um die ersten Test zu bestätigen.
Alp.Lab ist als One-Stop-Shop für das Testen automatisierter Fahrfunktionen und ganzer Fahrzeuge konzipiert. Das 2017 gegründete Unternehmen umfasst die österreichische Testregion für automatisiertes Fahren und somit Testmöglichkeiten auf privaten und öffentlichen Teststrecken und operiert von seinem Hauptsitz in Graz aus. Unter dem Namen "Alp.Lab" bündeln Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen zugleich ihre Expertise, um automatisierte Fahrsysteme im großen Stil zu entwickeln und zu erproben.