Wissenschaft und Politik - ÖAW und Leopoldina liefern "Wiener Thesen"
Dass Wissenschafter bei der Verlautbarung neuer Covid-19-Maßnahmen in live übertragenen Pressekonferenzen neben Politikern stehen, war hierzulande ein relativ neues Phänomen. Um die wahrgenommene Nähe zwischen Politik und Wissenschaft gab es seither viele Diskussionen. Die Wissenschaftsakademien aus Österreich und Deutschland stellen daher am Mittwoch in der Bundeshauptstadt ihre "Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft" vor.
Im Kern wird in den "Wiener Thesen", die als Diskussionsgrundlage in der Sache dienen sollen, darauf hingewiesen, dass es die Aufgabe der Wissenschaft ist, unterschiedliche Optionen zum Handeln auf Basis von wissenschaftlich möglichst abgesicherten Informationen nachvollziehbar aufzuzeigen. Dabei soll dargestellt werden, über welche Punkte in einem Gebiet in der Forschung Übereinstimmung herrscht, und wo dem nicht so ist. Die Wissenschaft soll demnach vor allem als "ehrlicher Makler" auftreten, der Handlungsoptionen aufzeigt.
Unter den verschiedenen Möglichkeiten auswählen müsste in jedem Fall die Politik. "Während sich die Wissenschaft darauf konzentriert, neues, ihren strengen methodischen Standards genügendes Wissen zu produzieren, organisiert die Politik kollektiv bindende Entscheidungen", heißt es in dem Papier: "Grenzüberschreitungen werden zurecht als Politisierung von Expertise bzw. Expertokratie kritisiert."
Wissenschaftlichen Erkenntnisprozess transparent machen
Dargestellt werden sollte seitens der Politik, welche Expertisen und Stellungnahmen zu ihrer Entscheidung beigetragen haben. Die Wissenschaft wiederum sollte sich Probleme nicht nur aus ihrer jeweiligen "Fächerlogik" ansehen, sondern fachübergreifende Beratungsgremien bilden. Für die Öffentlichkeit müsse zudem nachvollziehbar sein, "wie in Beratungsgremien Evidenz in Empfehlungen übersetzt wird. Das Transparentmachen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, seiner Bedingungen, Notwendigkeiten und Grenzen stärkt das Vertrauen in eine unabhängige Wissenschaft".
Bei der Einrichtung und Besetzung solcher Gremien bieten sich die Wissenschaftsakademien an: "Aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihres fachlichen Überblicks können Akademien rasch und zuverlässig erklären, wer die maßgeblichen Personen mit entsprechender Kompetenz in einem bestimmten Themenfeld sind." Damit beuge man auch parteipolitischem und medialem Einfluss vor.
"In Krisenzeiten wie während der Corona-Pandemie waren die Grenzen manchmal verschwommen: Wissenschafter agierten wie Politiker und die Politik versteckte sich hinter der Wissenschaft", räumt der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Ex-Bildungsminister, Heinz Faßmann, in einer Aussendung ein. Mit den Abläufen in diesem äußerst kontroversen Spannungsfeld befasst man sich am Mittwochnachmittag an der ÖAW im Tandem mit der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina im Rahmen eines "Joint Academy Day". Dort wird u.a. Leopoldina-Präsident Gerald Haug einen Vortrag mit dem Titel "Schneller, höher, weiter? Wissenschaftskommunikation in Zeiten der multiplen Krise" halten.
Service: Die "Wiener Thesen" online: http://go.apa.at/PSiDEREK; "Joint Academy Day": http://go.apa.at/9refqg9x