Tüfteln im DigiLab - Von der Theorie in die industrielle Praxis
Autonome Transportfahrzeuge, mit Künstlicher Intelligenz aufgepimpte Produktionszellen und eine Beleuchtung, die anzeigt, ob man in Zeiten der Coronakrise auch genug Abstand einhält: Im vor kurzem in Wien eröffneten DigiLab des Technologiekonzerns Siemens gibt es viel zu sehen. Gerade das steht aber nicht im Vordergrund, vielmehr geht es hier um gemeinsames Forschen, Entwickeln und Kreieren, will Projektverantwortlicher Lukas Gerhold das in monatelanger Arbeit konzipierte Lab nicht als "Showroom" missverstanden wissen.
Etwas herzeigen zu können, das schon funktioniert und zum Teil schon im nur einen Steinwurf entfernten Elektronikwerk eingesetzt wird, dürfte aber nicht der schlechteste Einstieg ins Gespräch mit den Kunden sein. Etwa wenn sich die Beleuchtung verändert, weil sich zwei mit entsprechenden Tags versehene Personen zu nahe kommen. Wie bei einer Ampel ist das Licht dann gelb. Halten sich mehr als zwei Personen nicht an das aktuell notwendige Social Distancing, wird der Hintergrund rot. Erst bei einer sicheren Entfernung wechselt er wieder zu grün.
Schweißroboter einbremsen
Eigentlich werden mit solchen Systemen, die man sich wie ein GPS für drinnen vorstellen kann, Container oder Fahrzeuge lokalisiert. Aus gegebenem Anlass wurde das System kurzerhand auf das Abstandhalten umgelegt. Denkbar sind natürlich auch Anwendungen in einer Fabrik: Wenn man sich einem großen Schweißroboter nähert, könnte der seine Geschwindigkeit reduzieren oder sich abschalten, um niemanden zu gefährden. Genau darum geht es Gerhold und dem 15-köpfigen Team: "Das DigiLab soll Inspiration für die Kunden sein. Vielleicht passt das, was man sieht, nicht eins zu eins, aber man bekommt eine Idee, in welche Richtung es gehen könnte."
Der Bedarf sei jedenfalls da. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) oder Edge Computing stoßen inzwischen auf großes Interesse in der, vorsichtig gesagt, eher konservativen Fertigungsbranche. Gleichzeitig haben sich die Entwicklungsprozesse stark verändert, vom Pflichtenheft hin zu – wie es in Neudeutsch heißt – "agilen" Vorgehensweisen, also zusammen etwas erarbeiten, Sprints durchführen und regelmäßig auf Sinnhaftigkeit überprüfen. "Im Endeffekt muss Innovation gemeinsam geboren und entwickelt werden. Dazu braucht man einen Co-Creation-Prozess, um die Ansprüche und Bedürfnisse zu verstehen", verweist Gerhold auf die zweite Funktion des DigiLabs.
Hacken bis zum "Proof of concept"
So werden beispielsweise im angrenzenden Labor Hackathons durchgeführt, bei dem der Kunde mit der im DigiLab vorhandenen Infrastruktur kreativ werden und gleich überprüfen kann, ob seine Ideen funktionieren und wie sie sich umsetzen lassen. Hier wird mit Daten gearbeitet, gehackt und entwickelt – bis zum sogenannten "Proof of concept", also bis zu einem halbwegs lauffähigen Prototypen. Das ist auch der Absprungpunkt des DigiLabs. Zielgruppe sind traditionell Maschinenbauer, aber auch der Endkunde, der die Maschinen dann einsetzt, rückt stärker in den Fokus. "Die Bandbreite reicht vom Zulieferer bis zum Fabrikanten", sagt Gerhold.
Profitieren würde das in der Siemens City angesiedelte DigiLab auch vom Elektronikwerk SIMEA, das nur wenige Minuten Fußmarsch entfernt ist. "Digitalisierung ist das Kernthema, aber nicht gut greifbar. Da kommen wir ins Spiel und zeigen, dass das nicht nur am Papier funktioniert, sondern auch in der Realität. Das sind reale Anwendungsfelder", so Miroslav Vucic, Koordinator für digitale Transformation bei SIMEA, das auf Industriestromversorgung spezialisiert ist. Derzeit wird die Produktion von der Fließbandfertigung hin zu Cyberphysischen Produktionssystemen (CPPS) umgestellt, bei der das Produkt seinen Weg durch die Fertigung selbst findet (siehe " Plug & Produce soll Fabriken smarter machen").
Transportfahrzeuge werden smart
Ein wichtiger Bestandteil, um CPPS zu verwirklichen, sind Automated Guided Vehicles (AGV), die ebenfalls im DigiLab herumkurven. In der Logistik sind die Transportfahrzeuge, die autonom auf einem vorgegebenen Kurs fahren können, seit langem gut eingeführt. Nun sollen sie auch in der Produktion verstärkt zum Einsatz kommen. Wenn in der Automobilbranche künftig nicht mehr das starre Förderband im Fokus steht, auf dem das Fahrgestell entlangfährt, liefert vielleicht das AGV das Chassis zu der Station, wo es gebraucht wird. Derzeit ist geplant, das Fahrzeug mit KI auszustatten. Dann soll es Personen und Stationen selbstständig erkennen und autonom navigieren können. Das muss den Experten zufolge der nächste Schritt sein, wenn man Zellen flexibel und dynamisch anordnen, dabei die Pfade aber nicht laufend neu programmieren will.
Bereits eingebaut ist Künstliche Intelligenz in eine im DigiLab aufgebaute Fertigungszelle. Hier überwacht eine Kamera den Werkstückträger und erkennt, ob die – in diesem Fall – Kondensatoren richtig positioniert sind. Diese Information wird an die Steuerung weitergegeben, damit der Roboter weiß, welche er aufgreifen darf und welche nicht. Solche Anwendungen sind zwar schon öfter im Einsatz, jetzt können komplexe Probleme aber erstmals sehr einfach, rasch und günstig gelöst werden, erklärt Gerhold. Integriert in die Zelle ist auch ein Energiemanagementsystem, um den Stromverbrauch zu analysieren und Anlagenteile entsprechend zu drosseln oder abzuschalten, wenn beispielsweise Fertigungsaufträge pausieren. "Bei Coca-Cola haben wir so die CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2010 um 50 Prozent verringern können", sagt Gerhold.
Trainieren am digitalen Zwilling
Wie die gesamte Fertigungszelle digital geplant, entworfen und programmiert worden ist, lässt sich im DigiLab anhand eines digitalen Zwillings nachvollziehen. Der muss zuerst virtuell erschaffen und um die physikalischen Eigenschaften und Funktionen der Maschine erweitert werden. Was auch immer man hier programmiert, wirkt sich direkt im digitalen Abbild aus. So können Fehler rasch erkannt werden, was Zeit und Kosten spart. Ein großer Vorteil ist den Experten zufolge auch, dass gemeinsam über beliebige Distanzen hinweg am Zwilling gearbeitet und die virtuelle Inbetriebnahme am Simulator trainiert werden kann. Außerdem lassen sich im Echtbetrieb gewonnene Informationen wieder in das virtuelle Modell zurückspielen, um die Maschinen weiter zu optimieren.
Neben diesen anschaulichen Beispielen sind Siemens zufolge noch viele weitere Ideen in der Pipeline. In den kommenden Monaten und Jahren soll das DigiLab jedenfalls ständig in Veränderung sein, schließlich sei man ja kein Museum. "Wir haben verloren, wenn das nur ein Showroom und eine tolle Besprechungszone ist. Wir haben gewonnen, wenn die Technologien für die digitale Zukunft der Produktion greifbar werden und zu neuen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen führen", gibt Gerhold die Richtung vor.
Von Stefan Thaler / APA-Science
Service: Diese Meldung ist Teil der Reportage-Reihe "APA-Science zu Besuch ...": http://science.apa.at/zubesuch