Die "Königin der Nacht" pfeift nicht
Neue Erkenntnisse über die Stimmproduktion bei den höchsten Tönen des Operngesangs
Opernsängerinnen nutzen die extremen Grenzen ihres Stimmumfangs. Viele pädagogische und wissenschaftliche Quellen weisen darauf hin, dass die höchsten Töne des klassischen Gesangs nur mit dem sogenannten "Pfeif"-Stimmregister erzeugt werden können, analog zur Ultraschall-Stimmerzeugung bei Ratten und Mäusen. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Christian T. Herbst von der Universität Wien und Matthias Echternach vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München widerlegte nun diese Annahme. In ihrer neuen Studie konnten sie zeigen, dass die hohe Operngesangsstimme auf demselben Prinzip beruht wie die Stimmproduktion beim Sprechen und dem Gesang bei tieferen Tönen. Die Studie erschien kürzlich in Scientific Reports.
Für die wissenschaftliche Studie traten die Sängerinnen nicht wie sonst vor einem großen Publikum, dafür vor einem kleinen und ganz besonderen auf. Denn um die Tonerzeugung bei besonders hohen Tönen zu untersuchen, machten die Wissenschafter*innen Videoaufnahmen - im Kehlkopf der Sängerinnen. Bei dieser sogenannten transnasalen Endoskopie entstanden Ultrahochgeschwindigkeits-Videoaufnahmen von neun professionellen Opernsängerinnen. Die Analyse der Aufnahmen zeigte: Abhängig von der gesungenen Tonhöhe vibrieren und kollidieren die Stimmlippen im Kehlkopf 1.000 bis 1.600 Mal pro Sekunde, was exakt der Frequenz des erzeugten Tons entspricht. Dies steht in Gegensatz zu dem angeblichen, aber durch diese Studie widerlegten "Pfeif"-Mechanismus, der eine Unbeweglichkeit der Stimmlippen während der Stimmproduktion erfordert hätte.
Die Studie zeigt somit deutlich, dass der "Standard"-Mechanismus der Stimmproduktion beim Menschen und den meisten Säugetieren auch für die obersten Tonlagen des Operngesangs gilt. Simulationen mit einem Computermodell legen nahe, dass die Sängerinnen ihre höchsten Frequenzen unter anderem nur mit einer stark erhöhten Spannung der Stimmlippen, unterstützt durch einen sehr hohen Ausatmungs-Luftdruck, erzeugen können.
Der Senior-Author der Studie, Christian T. Herbst, sagt: "Dies deckt einen seit langem bestehenden Mythos der Stimmpädagogik auf. Es ist bemerkenswert, dass solch extreme Klänge mit einem recht gewöhnlichen Stimmerzeugungs-Mechanismus produziert werden können - dies ist nur mit einer hervorragenden muskulären Feinbeherrschung des Gesangsinstruments durch die Sängerinnen möglich." Erstautor Matthias Echternach fügt hinzu: "Es ist wirklich erstaunlich, wie manche Sängerinnen die erforderlichen extrem hohen Spannungen in ihren Stimmlippen erzeugen können, ohne gesundheitliche Probleme für die Stimme zu erleiden. Warum dies manchen Sängerinnen in diesen hohen Stimmlagen gelingt und anderen nicht, muss vorerst offenbleiben."
Hier finden Sie ein Video aus der Studie: Endoskopische Hochgewindigkeits-Videoaufnahme der Stimmlippenschwingung einer Probandin beim Singen des Tones g''' (dreigestrichenes G). Die Schwingungsfrequenz der Stimmlippen liegt bei ca. 1570 Hz, die Aufnahme wurde mit 20000 Bildern pro Sekunde gemacht. Copyright: Matthias Echternach, Fabian Burk, Marie Köberlein, Michael Döllinger, Michael Burdumy, Bernhard Richter, Ingo R. Titze, Coen P. H. Elemans, Christian T. Herbst (2024)
Originalpublikation:
Echternach, M., Burk, F., Köberlein, M., Christian T. Herbst et al. Biomechanics of sound production in high-pitched classical singing. Scientific Reports 14, 13132 (2024).
DOI: 10.1038/s41598-024-62598-8
Wissenschaftlicher Kontakt Mag. Christian Herbst, PhD Department für Biochemie und Zellbiologie, Universität Wien 1030 Wien, Djerassiplatz 1 christian.herbst@univie.ac.at www.univie.ac.at Pressekontakt Theresa Bittermann Media Relations, Universität Wien 1010 Wien, Universitätsring 1 T +43-1-4277-17541 theresa.bittermann@univie.ac.at www.univie.ac.at