Nationalpark-Erweiterungsstudie muss umgearbeitet werden
Nicht erst seit der EU-Renaturierungsverordnung, auch laut der österreichischen "Biodiversitätsstrategie 2030+" oder des geltenden Regierungsprogramms ist es dringend notwendig, sich um die Vergrößerung heimischer Schutzgebiete zu kümmern. Seit Frühjahr 2023 liegt die Studie "Österreichische Hotspots der Biodiversität zur systematischen Naturschutzplanung", die Erweiterungsflächen zu konkretisieren versucht, vor. Publiziert wurde sie noch nicht. Zur Verwunderung der Autoren.
Die vom Klimaschutzministerium vor über zwei Jahren bestellte Studie, für die das Umweltbundesamt beauftragt wurde, sollte Flächen ausfindig machen, deren Unterschutzstellung die heimische Biodiversität maßgeblich verbessern könnte. Dabei geht es um quantitative wie qualitative Verbesserungen, die zur Erreichung der verschiedenen politischen Ziele im Kampf gegen Artensterben und Klimakrise notwendig sind. In fünf zwischen November 2022 und Februar 2023 abgehaltenen Workshops mit Verantwortlichen der sechs österreichischen Nationalparks hat man etwa versucht, potenzielle Erweiterungsgebiete namhaft zu machen und diese nach naturschutzfachlichen Kriterien zu bewerten.
"Insgesamt ergibt sich für dieses Erweiterungspotenzial eine Flächenbilanz von mehr als 111.000 ha", heißt es in der Studie, die der APA in Teilen vorliegt. Es geht also um eine potenzielle Vergrößerung um die Hälfte der bestehenden Nationalparkfläche. Großflächige Erweiterungsmöglichkeiten sehen die Autoren vor allem in einer Erweiterung des Nationalparks Donau-Auen um die March-Auen und die Erweiterung des Nationalparks Kalkalpen in Richtung Totes Gebirge. Der Clou: Schon das entsprechende oberösterreichische Nationalparkgesetz sah 2019 eine Erweiterung vor. Maßnahmen zur Umsetzung fehlen seither.
"Ökologische Korridore" stützen Artenvielfalt
Vorgeschlagen werden auch kurzfristig zu realisierende Arrondierungen, die naturschutzfachlich negative Randeffekte im Falle intensiver Landnutzung in den angrenzenden Gebieten minimieren sollen, sowie kleinräumige "Trittsteine und Korridorflächen". "Diese wären besonders wichtig, um das Wechseln gefährdeter Arten zwischen den Schutzgebieten zu ermöglichen", erläutert Bernhard Schön, einer der Studien-Co-Autoren, im Gespräch mit der APA. Wie gefährlich eine "genetische Isolierung" sei, sehe man derzeit am Luchs, dessen erneutes Aussterben in den Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse befürchtet wird. "Ökologische Korridore", wie sie etwa durch den Eisernen Vorhang als quer durch Europa führendes "Grünes Band" geschaffen wurden, seien extrem wichtig für die Erhaltung der Artenvielfalt.
Umso weniger versteht Schön, was er seit Frühjahr 2023 als Studien-Mitverfasser erleben musste. "Am Anfang hat man Druck gemacht, und wir haben uns beeilt, die Arbeit abzuschließen. Bis vergangenen Sommer kamen einige Rückfragen und Korrekturbitten, dann war es von uns aus fertig. Seither ist nichts geschehen. Das ist für mich schwer nachvollziehbar, denn wir wollten ja keine Arbeit liefern, die in der Schublade landet, sondern Vorschläge für konkrete Handlungsanleitungen machen." Genau das scheint aber das Problem zu sein.
Unverständnis bei Autoren
Von Bedenken des Ministeriums, im Bericht zu konkret auf einzelne Flächen eingegangen zu sein, erzählt Klaus Peter Zulka, Biologe am Umweltbundesamt und ebenfalls Studien-Mitautor. "Aus meiner Sicht sind diese Bedenken nicht nachvollziehbar", sagt er. Schließlich seien ja direkte Umsetzungsvorschläge genau das Ziel gewesen. Nun sei er jedoch zu einer finalen Umarbeitung "gebeten" worden.
Das ministerielle OK bekamen nämlich nur jene Kapitel der in der Rohfassung rund 400 Seiten dicken Studie, die sich relativ unkonkret mit der Benennung und Analyse von Biodiversitäts-Hotspots befassen. 68 diesbezügliche Ökoregionen listet der Appendix auf, pikanterweise ist auch das dicht besiedelte Wiener Becken und seine Thermenlinie darunter. Ausgerechnet das Nationalpark-Erweiterungskapitel soll aber in der vorliegenden Form nicht publiziert werden. Zulka ist dazu angehalten, eine Kurzfassung zu erstellen. "120 Seiten fallen dadurch weg. Das ist aber für die Statik so, als würde man einem Gebäude den ersten Stock wegnehmen", stöhnt Zulka, der dadurch auch die gesamten Querverweise und Fußnoten überarbeiten muss, und nicht versteht, wieso eine bereits geleistete Detailarbeit zunichte gemacht werden soll.
Ministerium sieht "keine Verzögerung"
Im Klimaschutzministerium will man dagegen "keine Verzögerung" erkennen und meint gar, die APA sei einer Fehlinformation aufgesessen. "Wir halten keine Studien zurück und werden das auch nicht machen", versichert ein Sprecher. Das erbetene offizielle Statement dazu "aus dem Ministerium" ist dann gänzlich wortident mit jenem aus dem Umweltbundesamt: "Die Studie befindet sich derzeit in der Endredaktion und wird voraussichtlich im Herbst finalisiert und veröffentlicht. Erste fachliche Erkenntnisse daraus sind bereits in den derzeit laufenden Call des Biodiversitätsfonds zu Schutzgebieten eingeflossen."
"Erweiterungen von Schutzgebieten und insbesondere von Nationalparks sind ein wichtiges Anliegen und tragen wesentlich zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie bei. Daher ist es auch besonders erfreulich, dass in den letzten beiden Jahren zwei Erweiterungen im Nationalpark Gesäuse und im Nationalpark Neusiedlersee Seewinkel gelungen sind", heißt es aus beiden Institutionen gegenüber der APA weiter. "Selbstverständlich wird die Studie als fachliche Grundlage für die Arbeit der Nationalparks und auch für mögliche weitere Erweiterungen herangezogen werden." Man könnte argwöhnen: Je unkonkreter, desto besser. Oder, wie es Schön formuliert: "Eigentlich müsste man höchst interessiert sein, dass wir erste Schritte vorschlagen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Zeit läuft, und es passiert nichts!"