Historiker erforschen Lager in sowjetischer Besatzungszone nach 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich an die 1,6 Millionen Kriegsgefangene, ehemalige KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Vertriebene und "Ausgebombte" in Österreich. Sie wurden provisorisch in Lagern und lagerähnlichen Einrichtungen untergebracht. Jene der sowjetischen Zone (Niederösterreich, Burgenland, Mühlviertel und Teile Wiens) sind noch weitgehend unerforscht. Ein Projekt will diese Wissenslücke schließen, hieß es am Donnerstag beim Zeitgeschichtetag in Graz.
Mit der Kapitulation des Deutschen Reichs im Mai 1945 sahen sich die Alliierten mit Millionen Menschen konfrontiert, die sich außerhalb ihrer Herkunftsländer befanden. In den westlichen Besatzungszonen nannte man diese sehr unterschiedliche Gruppe "Displaced Persons" (DPs). Sie mussten zumindest kurzfristig eine Dach über dem Kopf bekommen, bevor entschieden wurde, wie es mit ihnen weitergeht - manchmal auch in der aus dem Krieg stammenden Lagerinfrastruktur.
Kaum noch Spuren von den Lagern
Wenn überhaupt, dann ist heute in den meisten Fällen von den Lagern in der westlichen Besatzungszone die Rede: "Die Lager in der sowjetischen Besatzungszone wurden bisher wissenschaftlich kaum untersucht", hielt Katharina Bergmann-Pfleger vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK) am Donnerstag in Graz fest. Sie stellte ein vom FWF gefördertes Forschungsprojekt vor, dass sich auf die Spurensuche nach den weitgehend unbekannten Lagern begibt. Denn von den Lagerorten gibt es heute nur noch wenige materielle Spuren, oder teils auch gar keine mehr.
Bereits in der Erklärung von Jalta hatten sich die Alliierten die Repatriierung der durch den Krieg entwurzelten Menschen zum Ziel gesetzt. Die Unterbringung und Versorgung einer derartig großen Anzahl von Menschen war eine herausfordernde Aufgabe: In den drei westlichen Besatzungszonen betrauten die Militärverwaltungen schon bald die Hilfsorganisation UNRRA der Vereinten Nationen und die International Refugee Organization mit der Betreuung der Lager in ehemaligen Kasernen, Krankenhäusern, Schulen, oder auch bereits vorhandenen ehemaligen Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlagern.
Die Sowjetunion hatte am Kriegsende die Repatriierung ihrer Staatsangehörigen in hohem Tempo betrieben, erklärte Dieter Bacher gegenüber der APA. "Die Rückführungspolitik sah vor, dass die Betroffenen nach kurzer Versorgung in Sammelquartieren so rasch als möglich in ihre Heimat zurückgebracht werden, eine Wahlmöglichkeit zur Weiterreise in andere Länder ließ man ihnen vorerst nicht. Da hat es auch Zwangsmaßnahmen und zunehmend Kritik vonseiten der Alliierten gegeben", schilderte Bacher weiter. Um "Spione" unter ihnen zu identifizieren, wurden sie in sogenannten Filtrationslagern einer nachrichtendienstlichen Untersuchung unterzogen.
15 unterschiedliche Lagertypen
Das Projekt versucht in einem ersten Schritt die Lager und vielen unterschiedlichen Lagertypen systematisch zu erfassen: "Die vielen Sonderformen, die wir erhoben haben, zeigen, wie viele unterschiedliche Personengruppen betroffen waren", sagte die Zeithistorikerin Bergmann-Pfleger. Sie sprach von 15 unterschiedlichen Lagern: Für ehemalige westalliierte Kriegsgefangene, heimkehrende Kriegsgefangene der Wehrmacht, Heimkehrer von der Front, sowjetische Besatzungssoldaten bis zu solchen für nationalsozialistisch Belastete, Flüchtlinge, Vertriebene und Umsiedler, ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Insassen, zurückkehrende Österreicher und solche für Menschen, die aufgrund von Bombentreffern kein Dach mehr über dem Kopf hatten.
"Mittlerweile halten wir bei rund 250 Lager unterschiedlicher Größe - für 30 bis zu 30.000 Menschen", wie Bergmann-Pfleger weiter ausführte. Manche, wie etwa im burgenländischen Kaisersteinbruch, stammen aus der NS-Zeit und wurden weiter genutzt. In dem von den Sowjets/Rote Armee betriebenen Lager waren von April 1945 bis 1955 ehemalige Kriegsgefangene, Flüchtlinge, Vertriebene, Umsiedler und sowjetische Besatzungssoldaten untergebracht.
Im Burgenland wurden insgesamt 35 Lager identifiziert - vor allem durch das Studium von Orts- und Gemeindechroniken, teils auch mithilfe von Zeitzeugen - wie Bergmann-Pfleger ausführte. Rund ein Drittel davon waren für Besatzungs- und ehemalige Frontsoldaten gedacht, fünf für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene. "Und dann gab es sieben Entnazifizierungslager also Arbeits- und Anhaltelager für ehemalige hochrangige Nationalsozialisten", wie Bergmann-Pfleger erhoben hat.
Das vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützte Forschungsprojekt läuft noch bis zum Ende des Jahres. Am Ende will man eine Website mit georeferenzierter Karte und hinterlegter Datenbank präsentieren. Mehrere ausgewählte Lagerstandorte will man tiefgehender untersuchen.
Service: https://bik.lbg.ac.at/news/fwf-projekt-encampment-in-der-sowjetischen-besatzungszone/