Familiensoziologin: "Pandemie war sozial nicht gerecht"
Vielen Familien, die mit Kindern und Jugendlichen durch die Covid-19-Lockdowns und ausladende Schulschließungsperioden steuerten, sitzt die Pandemie mitunter noch gehörig im Nacken. Für die Familiensoziologin Ulrike Zartler hat diese Zeit vielen jungen Menschen zwar gezeigt, dass "Krisen gemeinsam bewältigt werden können und solidarisches Handeln wichtig und sinnvoll ist". Jedoch lebten viele Familien auch im "permanenten Provisorium", in Unsicherheit und Angst.
Bevor vor rund fünf Jahren die ersten Covid-19-Fälle hierzulande nachgewiesen wurden, waren Begriffe wie "Homeschooling", Fernlehre oder auch der Austausch mit Großeltern über Videokonferenz-Plattformen weit weg von der Alltagsroutine einer durchschnittlichen österreichischen Familie. Das änderte sich allerdings rasch im Gefolge der ersten Lockdowns und in diversen Phasen mit geschlossenen Schulen. Je nach finanziell-räumlicher Ausstattung und verfügbaren zeitlichen Ressourcen konnten diese neuen Anforderungen von Familien auch höchst unterschiedlich bewältigt werden - und wirken entsprechend unterschiedlich lange und tiefgreifend nach, so die Wissenschafterin von der Universität Wien gegenüber der APA: "Deutlich zeigt sich: Die Pandemie war sozial nicht gerecht, die negativen Auswirkungen betreffen einkommensschwächere Familien stärker."
Fehlende Konstanz als Konstante, unbezahlte Arbeit weiter im Abseits
Eine der wenigen Konstanten für viele war schlichtweg das Fehlen von Konstanz. So hatten Familien mit "ständig wechselnden Rahmenbedingungen" zu tun. Zartler: "Das war für Eltern oft nicht einfach, und ihre Belastungen wirkten sehr lange nach. Kinder und Jugendliche waren besonders verletzlich: Viele hatten verstärkt mit psychischen und sozialen Problemen zu kämpfen, die teilweise bis heute anhalten." Natürlich wurden in den bewegten Zeiten im Zeichen des vordergründigen Stillstandes zumindest des öffentlich sichtbaren Lebens etwa digitale Kompetenzen gestärkt und vielen Kindern und Jugendlichen klar, wie man gemeinschaftlich eine Krise bewältigen kann. Es traten aber auch viele soziale Bruchlinien deutlicher zutage.
So offenbarte sich zumindest kurzfristig "die enorme Bedeutung der unbezahlten Arbeit, die Familien - und vor allem Frauen - für die Gesellschaft leisten". Allerdings: "Nachhaltige Veränderungen gab es in diesem Bereich nicht", hält Zartler fest.
Viel Luft nach oben bei Unterstützung und Aufarbeitung
Insgesamt plädiert die Wissenschafterin dafür, in etwaigen künftigen Pandemien die Lebensumstände und alltäglichen Herausforderungen von Familien, die unbezahlte Arbeit, die in diesem Rahmen geleistet wird, und die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen verstärkt mit zu bedenken. Es brauche kostenlose und niederschwellige psychosoziale Unterstützung, ein Achten auf möglichst gleich verteilte Bildungschancen im Krisenmodus, einen Ausbau der Schulsozialarbeit sowie Möglichkeiten, um weiter Bewegung und Sport auszuüben. Gerade für sozioökonomisch schwächere Familien müsse man rasche und gezielte Unterstützung bereitstellen.
Blickt man zurück auf die Pandemie, sehe man, dass seitens der Wissenschaft "in unglaublicher Geschwindigkeit eine solide Datengrundlage zur Verfügung gestellt" wurde. Allerdings müsse die Forschungsförderung nun stärker darauf achten, dass diese Errungenschaften auch weitergeführt und vertieft werden können, so Zartler: "An vielen Stellen wäre eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Abläufen während der Pandemie und mit ihren Folgen sinnvoll, zum Beispiel in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Ressourcen dafür fehlen aber." Luft nach oben beim Lernen aus den Abläufen seit dem Frühjahr 2020 gebe es demzufolge also noch viel.