Klima-Glossar: Nachhaltige Flusslandschaften
Eine nachhaltige Flusslandschaft strebt danach, ein Gleichgewicht zwischen menschlichen Bedürfnissen und dem Schutz der natürlichen Umwelt zu finden. Solche Flüsse bergen viele Vorteile, von Biodiversität über Hochwasserschutz bis hin zur Speicherung von CO2. Renaturierungsmaßnahmen versuchen veränderte bzw. geschädigte Fließgewässer zu sanieren, erklärte Gewässerökologe Georg Niedrist im APA-Gespräch.
Eine ursprüngliche Flusslandschaft würde anders aussehen, als man das heutzutage oft gewohnt sei. Der Tagliamento in Italien, der vom Alpenrand in die Adria fließt, sei ein mittlerweile selten gewordenes Beispiel dafür. Das Flussbett habe abschnittsweise eine Breite von mehreren Hundert Metern. Das Wasser des Flusses selbst decke dabei nur einen kleinen Teil davon.
Fließgewässer sind keine reinen Abflusskanäle
Der Mensch habe in der Vergangenheit, vor allem aber im vergangenen Jahrhundert, Fließgewässer durch Regulierung zu Abflusskanälen "degradiert". Etwa zur Energiegewinnung - erst Mühlen, dann Kraftwerke -, zur Nutzung des Raumes beispielsweise für Siedlungen, oder zwecks Hochwasserschutzes. Die Gewässer wurden eingeengt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, gleichzeitig seien dabei viele für Menschen positive Effekte von Flüssen nicht mitbedacht und so zerstört worden, so Niedrist. Bei größeren Wassermengen fehle den Flüssen nun etwa der Raum, um das Wasser zurückzuhalten.
Erst in den vergangenen Jahrzehnten sei diese Einengung von Flüssen als Problem begriffen worden. Europas Flüsse sind einer Studie aus dem Jahr 2020 zufolge laut Niedrist mit über einer Million Gewässersperren verbaut - dort sei der Flussverlauf also durch bauliche Maßnahmen unterbrochen. "Im Schnitt sind Europas Fließgewässer alle 1,4 Kilometer von einer Querverbauung unterbrochen, in Mitteleuropa sind die freien Fließstrecken sogar kürzer als ein Kilometer", informierte der Wissenschafter der Universität Innsbruck. Dabei hätten eingeengte Flüsse zahlreiche Probleme zur Folge, gerade in Zeiten der Klimakrise. Die Gefahr von Überschwemmungen steige, es gebe mehr Trockenheit und funktionierende Lebensräume sowie die davon abhängige Biodiversität würden geschwächt.
Nachhaltige Flusslandschaften ermöglichen
Statt nun wiederum einzelnen Problemen mit einzelnen technischen Lösungen zu begegnen, verfolgt naturbasierte Flussrenaturierung das Ziel, durch naturnahe Lösungen wieder nachhaltige Flusslandschaften zu schaffen und dadurch gleichzeitig die ökologische Integrität, soziale Bedürfnisse und wirtschaftliche Aktivitäten in Einklang zu bringen. Als Beispiel nannte Niedrist den Hochwasserschutz. Statt Dämme zu errichten, um Flüsse nicht über die Ufer treten zu lassen, weite man Flussbecken auf oder schaffe zumindest Überflutungsflächen. Dadurch hätte das Wasser mehr Raum, um sich auszubreiten. Nicht nur könnten so Abflussspitzen gedämpft und die Habitat-Vielfalt erhöht, sondern auch die Wasserqualität verbessert und Erholungsräume geschaffen werden. Die dadurch entstehenden Feuchtgebiete und Flussauen seien zusätzlich ein wichtiger Speicher für CO2.
Als zweites Beispiel nannte der Forscher Verschmutzungen von Fließgewässern durch in der Landwirtschaft eingesetzte Dünger oder Pestizide. Diese würden einerseits ins Grundwasser einsickern, andererseits durch Regen in Flüsse gespült werden und stellen eine Belastung für das Gewässerleben dar. Eine technische Maßnahme, um dem entgegenzuwirken, wären Kläranlagen, um das Wasser zu reinigen. Eine naturnahe und nachhaltige Lösung für Flusslandschaften wiederum wäre die durchgängige Wiederherstellung von ausreichend Ufervegetation als Pufferstreifen. Durch das Grün entlang der Flussufer könne verhindert werden, dass die Schadstoffe ungebremst in den Fluss gespült werden. Gleichzeitig würden durch eine solche Maßnahme auch neue Habitate bzw. Lebensräume für Pflanzen und Tiere geschaffen werden.
Feuchtgebiete als Beitrag zum Kampf gegen die Klimaerwärmung
In der Klimakrise seien in diesem Zusammenhang vor allem Feuchtgebiete entscheidend, auch im Nahbereich von Flüssen. Diese würden Unmengen an CO2 speichern und so zur Bekämpfung der Klimaerwärmung beitragen. Bei nur drei Prozent Landbedeckung binden Moore rund ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs, etwa das Doppelte aller Wälder weltweit, so Niedrist. Dem würde beispielsweise das EU-LIFE-Moorschutzprojekt "AMooRe" Rechnung tragen. Hier werde - auch abseits größerer Flüsse - versucht, Wasser in den bestehenden Feuchtgebieten zu halten und trockengelegte Moore zu revitalisieren, um dadurch auch das dort gespeicherte CO2 zu binden.
Als Paradebeispiel für die Schaffung einer nachhaltigen Flusslandschaft in Tirol, wo auch Stakeholder etwa aus dem Tourismus oder dem Zivilschutz einbezogen worden seien, gelte der Tiroler Lech. Dort sei dem Fluss abschnittsweise Raum gegeben worden, um sich eigendynamisch entwickeln zu können. Zur Erholung wurde der Lechweg geschaffen, der nun auch dem Tourismus zugutekomme. Landnutzer hätten dort erst überzeugt werden müssen, anfangs vorherrschende Ängste - etwa, dass dann nichts mehr gebaut werden dürfe - hätten sich nun aber nicht bestätigt. Vielmehr stehe der gesamtgesellschaftliche Nutzen im Vordergrund.
Zuletzt brachte Niedrist zwei neue Planungsansätze ins Spiel. So sollte künftig bei Aufweitungen von Flussbetten nicht nur die horizontale, sondern besonders auch die vertikale Dimension berücksichtigt werden. Neu geschaffene Tiefen hätten auch den Vorteil, dass sie sich langsamer erwärmen und wären dann ein Refugium für kälteliebende Wassertiere bei Extremtemperaturen. Gleiches gelte für der Beschattung von Fließgewässern. An breiteren Stellen habe diese Maßnahme erwiesenermaßen wenig Effekt. Beschatte man jedoch die schmaleren Oberläufe von Flüssen, seien die Effekte stärker. So würden nachhaltige Flusslandschaften einen zusätzlichen Nutzen schaffen, um einige Folgen der Klimaerwärmung für Gewässerlebensräume zu entschärfen, schloss der Gewässerökologe.