Neue Publikation: Ziviltechnikerkammer arbeitet NS-Zeit auf
Die Bundeskammer der Ziviltechniker:innen hat ihre Vergangenheit im Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. Am Dienstag wurde ein Buch über "Die Geschichte der österreichischen Ingenieurkammern und Ziviltechniker:innen 1860-1957" vorgestellt. Die Präsentation nahmen Kammerpräsident Daniel Fügenschuh und sein Vize Klaus Thürriedl zum Anlass, sich namens der Kammer offiziell zu entschuldigen - für das, was damals passiert ist, aber auch für die späte Aufarbeitung.
Man übernehme damit spät, aber doch "Verantwortung für die dunkle Zeit", sagte Fügenschuh und verwies darauf, dass sich auch andere Institutionen erst in den vergangenen Jahren dieser Aufgabe gestellt hätten. Der Tiroler Architekt, der 2022 an die Spitze der Standesvertretung von 9.500 Ziviltechnikern und -technikerinnen in Österreich gewählt wurde, erinnerte aber auch an die Tatsache, dass der Holocaust-Leugner Walter Lüftl, der im sogenannten "Lüftl-Report" die technische Machbarkeit von Massentötungen mit Giftgas in den NS-Konzentrationslagern bestritt, ab 1990 einer seiner Vorgänger war, ehe er 1992 zurücktreten musste. Dieser Umstand findet in dem von der Kunst- und Architekturhistorikerin Ingrid Holzschuh und der Historikerin Alexandra Wachter vorgelegten, über 300-seitigen Buch "Behördlich autorisiert. Staatlich beeidet. Im Nationalsozialismus verfolgt.", das auch als Open Access frei verfügbar ist, nur in Einleitung und Vorwort kurz Erwähnung.
Zu Kaisers Zeiten
Die Studie beginnt bei der Rekonstruktion der Organisationsgeschichte mit der "Grundsteinlegung" durch Kaiser Franz Joseph I. 1860 und reicht bis zum Ziviltechnikergesetz 1957. "Unser Ziel war es, die Geschichte im Nationalsozialismus nicht isoliert darzustellen", sagte Holzschuh. Der Fokus liegt jedoch auf der Aufarbeitung der Rolle der Kammer in der NS-Zeit und dem Schicksal jener Kammermitglieder, die verfolgt wurden und dem Regime zum Opfer fielen. 150 Mitglieder galten nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch, 103 ist es gelungen, das deutsche Reich zu verlassen, 21 wurden deportiert und ermordet. "Wir habe für jeden von ihnen eine Biografie geschrieben", sagte Alexandra Wachter. Auch die NS-Karrieren von Kammermitgliedern werden kursorisch behandelt. Und natürlich wird die kurze Lebensgeschichte von Architekt Herbert Eichholzer, der als einziges Kammermitglied in den aktiven Widerstand ging und 1943 hingerichtet wurde, besonders gewürdigt.
Eine Besonderheit enthüllt die Studie, die auch ein eigenes Kapitel den Ziviltechnikerinnen widmet: Anders als in anderen Bereichen üblich wurden die österreichischen Ingenieurkammern nicht einfach in die Reichskulturkammer eingegliedert, da die gesetzliche Berufsvertretung keine Entsprechung im Deutschen Reich hatte. "Die Österreicher waren sehr selbstbewusst, sahen ihres als das bessere System und wollten betreiben, dass Deutschland das österreichische Vorbild übernimmt und nicht umgekehrt", so Wachter. Man einigte sich auf eine Zwischenlösung.
"Es gab damals von uns kaum Widerstand, sondern breite Unterstützung des Naziregimes", fasste Kammer-Vizepräsident Klaus Thürriedl zusammen und hob die "ganz besondere Verantwortung gegenüber der gesamten zivilen Gesellschaft" hervor, die man heute etwa in Fragen der Gleichberechtigung, des Bodenverbrauchs oder der Nachhaltigkeit unter Beweis zu stellen suche. "Diese Studie ist uns ein Mahnmal. Sie wird uns täglich begleiten."
Service: Ingrid Holzschuh und Alexandra Wachter: "Behördlich autorisiert. Staatlich beeidet. Im Nationalsozialismus verfolgt. Die Geschichte der österreichischen Ingenieurkammern und Ziviltechniker:innen 1860-1957", Birkhäuser Verlag, 304 Seiten, 49 Euro. Als e-book frei downloadbar.