Bakterielle Abwehrsysteme neugestalten
Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Technologie CRISPR-Cas9 ist einer von mehreren biotechnologischen Durchbrüchen in der Genomchirurgie, der auf umgebauten Enzymen des bakteriellen Immunsystems beruht. Solche neuen Werkzeuge könnten jedoch noch im Heuhaufen unerforschter mikrobieller Abwehrmechanismen versteckt sein. Im Juli kam Assistenzprofessor Jack Bravo, der die Zukunft der Biotechnologie mitgestalten will, zum Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg. Seine Arbeit könnte auch dabei helfen, dass antibiotika-resistente Bakterien wieder behandelbar werden. Mehr dazu im Interview.
Sie begannen Ihr Doktorat im Jahr 2015, kurz nach der Entwicklung von CRISPR-Cas9, einer Genschere, die bis dahin ihresgleichen suchte. Diese Technologie ermöglichte es, spezifische Gene in lebenden Zellen herauszuschneiden und in sie einzufügen. Hat Sie das motiviert, in diesem Bereich tätig zu werden?
Ich wusste zwar von den spannenden Entwicklungen um CRISPR-Cas9, aber ich habe erst nach meinem Doktorat 2019 begonnen, mich mit diesem Thema und der Optimierung mikrobieller Abwehrmechanismen auseinanderzusetzen. Bis dahin untersuchte ich - mit Hilfe von strukturbiologischen und biophysikalischen Techniken - die Architektur von Viren.
Die Lockdowns während der COVID-19-Pandemie habe ich dann zum Anlass genommen, mich in die überwältigende Literatur zu CRISPR-Cas9 zu vertiefen. Außerdem wollte ich mich auf die Kryo-Elektronenmikroskopie spezialisieren, eine sich rasant entwickelnde molekulare Bildgebungstechnik. Mit ihr können biologische Proben in ihrem natürlichen Zustand und in nahezu atomarem Maßstab beobachtet werden. So kam es, dass ich als Postdoc in die Forschungsgruppe von David Taylor an der University of Texas at Austin ging. Diese Karrierechance ermöglichte es mir, mich mit beiden Themen - bakterielle Immunsysteme und Kryo-EM - zu beschäftigen.
Nachdem Sie selbst drei umgebaute und optimierte CRISPR-Cas9-verwandte Enzyme patentiert haben: Wie stellen Sie sich den nächsten biotechnologischen Durchbruch im Genome Engineering vor?
In den letzten sechs Jahren wurden über 150 bakterielle Immunsysteme beschrieben, und es gibt noch viel ungenutztes Potenzial in diesem Bereich. Wir beginnen zu begreifen, dass Bakterien eine Fülle von rätselhaften Abwehrmechanismen besitzen, die eine exquisite Treffsicherheit erfordern. Diese Abwehrmechanismen sind fantastische Werkzeuge der Molekularbiologie, und ich bin sehr daran interessiert, verschiedene Systeme zu erforschen, ihre Funktionsweise zu analysieren und herauszufinden, wie man sie für die Genomchirurgie optimieren kann.
Wenn Sie ein Bakterium wären, wie sähe Ihr ideales Immunabwehrsystem aus?
Ein weniger erforschter Mechanismus ist die Art und Weise, wie sich Bakterien vor Plasmiden schützen. Plasmide sind kleine ringförmige DNA-Moleküle, die sich zwischen verschiedenen Bakterien und Bakterienstämmen bewegen können. Plasmide funktionieren wie Parasiten, da sie die Reproduktionsrate des Wirtsbakteriums verringern. Außerdem ist ihr evolutionäres Schicksal nicht an einen bestimmten Bakterienstamm gebunden. Sie bringen zwar neue Gene ein, die den Bakterien zugutekommen könnten, wie zum Beispiel Antibiotikaresistenz-Gene, aber ihr Vorhandensein stellt eine Belastung für die Zellen dar. Daher versuchen die Bakterien in der Regel, die Plasmide loszuwerden, während sie gleichzeitig anstreben, die nützlichen Gene zu behalten.
Apropos Antibiotikaresistenz: Die Kehrseite des bakteriellen Immunsystems ist die Infektion von Patienten mit so genannten Superbugs. Dies wurde als die 'stille Pandemie' bezeichnet. Sind Sie auf der Suche nach einem 'Superantibiotikum' der nächsten Generation?
Eine neue Behandlungsmethode gegen antibiotikaresistente Bakterien ist die sogenannte Phagentherapie. Diese Therapie verwendet spezielle Viren, die 'Bakteriophagen' genannt werden, was mit 'bakterienfressend' übersetzt werden kann. Mehrere starke Antibiotika haben ein sehr breites Spektrum, das heißt sie können auf verschiedene Bakterienstämme abzielen, aber auch das Mikrobiom des Patienten - etwa die Darmflora - auslöschen. Bakteriophagen hingegen sind sehr selektiv in Bezug auf die Bakterienstämme, gegen die sie wirksam sind. Daher kann die Phagentherapie gezielt zur Bekämpfung eines bestimmten Spektrums pathogener Bakterien eingesetzt werden, entweder allein oder in Verbindung mit Antibiotika. Allerdings können pathogene Bakterien auch eine Resistenz gegen Phagen entwickeln. Es ist ein Balanceakt. Meine Arbeit könnte dazu beitragen, Wege zu finden, um Bakterien wieder für die Phagentherapie zu sensibilisieren.
Treibt es Sie an neue Therapien gegen bestimmte Krankheiten zu finden?
Ich interessiere mich hauptsächlich dafür, die molekularen Mechanismen, die den bakteriellen Immunsystemen zugrunde liegen, zu verstehen, sowie die Frage, wie sie optimiert werden können, zu beantworten. Ich versuche, die molekularen Baupläne der bakteriellen Abwehrsysteme zu überarbeiten, um sie effizienter und treffsicherer zu machen.
Ihr Werdegang führte Sie von der University of Leeds über die University of Texas at Austin zum Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Wie würden Sie Ihren Weg beschreiben?
Als angehender Strukturbiologe wollte ich mich in einem Labor weiterentwickeln, das erfahrener mit der Kryo-EM ist, einer Technik, die in den letzten Jahren bei der Untersuchung von Proteinkomplexen einen Aufschwung erlebt hat. Deshalb wechselte ich zunächst an die University of Texas at Austin.
Ich habe mich dann für das ISTA entschieden wegen seiner anerkannten Stärke in der Kryo-EM, aber auch, weil das Institut so vielfältig und interdisziplinär ist. Im Gegensatz zu anderen akademischen Forschungseinrichtungen, in denen die Abteilungen voneinander getrennt sind, ist es am ISTA sehr einfach, Ideen auszutauschen und mit Wissenschafter:innen aus verschiedenen Fachgebieten zusammenzuarbeiten. Ich bin froh, dass ich bereits zwei Gruppenmitglieder, eine Labormanagerin und eine Postdoktorandin, habe, die mich seit meinem ersten Monat am ISTA unterstützen. Ich bin gespannt, wie sich mein Team entwickeln wird, und freue mich auf die Zusammenarbeit mit anderen Forscher:innen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fachgebieten.
Medienkontakt: Andreas Rothe andreas.rothe@ista.ac.at +43 664 8832 6510