Borstenwurm lässt mit umprogrammierten Zellen Körperteile nachwachsen
Wie es Vertreter der in Meeren lebenden Borstenwurm-Art Platynereis dumerilii schaffen, relativ große Abschnitte ihres Körpers nach Abhandenkommen nachwachsen zu lassen, hat ein Team um Wiener Forscher genauer untersucht. Im Fachjournal "Nature Communications" berichten die Wissenschafter nun, dass die Tiere kurzerhand auch zuvor hochspezialisierte Zellen in universal Formbare rücktransformieren können, wenn ihre üblichen Regenerations-Optionen versagen.
Warum sich die Fähigkeit zum Nachwachsenlassen von Körperteilen zwischen verschiedenen Arten so massiv unterscheidet, ist eine oft gestellte Frage in der Biologie. Während etwa der mexikanische Schwanzlurch "Axolotl" sein Leben lang im Larvenstadium verbleibt und auf diese Weise sogar ganze Extremitäten ersetzen kann, ist beim Menschen diese Fähigkeit bekanntlich eher beschränkt. Dieser kann zum Beispiel Fingerkuppen sowie Darm- oder Lebergewebe recht gut ersetzen, komplexere Körperteile aber nicht.
Was tun, wenn das Stammzelllager fehlt?
Erleiden die Meereswürmer einen Verlust, können sie bei der Regeneration eigentlich auf eine sogenannte Sprossungszone zählen: Darin halten die Tiere Zellen vor, die dann je nach Bedarf in verschiedenste Zelltypen weiterentwickelt werden können. Aus diesem praktischen Stammzelllager heraus kann Platynereis dumerilii ganze neue Körpersegmente aufbauen, heißt es am Montag in einer Aussendung der Universität Wien.
Die Molekularbiologen Alexander Stockinger, Leonie Adelmann und Florian Raible von den Max Perutz Labs der Uni Wien und der Medizin-Uni Wien haben in ihrer Arbeit analysiert, wie die Würmer die Regeneration bewerkstelligen, wenn ihnen auch die Sprossungszone fehlt. Dabei offenbarte sich, dass Platynereis dumerilii unter derartigen Umständen zur "Dedifferenzierung" fähig ist. Darunter verstehen Wissenschafter einen Mechanismus, bei dem spezialisierte Zellen wieder in ein Stammzell-Stadium wechseln.
In wenigen Stunden zur neuen Sprossungszone
So konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, "dass diese Zellen bereits innerhalb weniger Stunden beginnen, in einen stammzellähnlichen Zustand zurückzukehren, um schnellstmöglich eine neue Sprossungszone aufzubauen", wird Adelmann zitiert. Damit unterscheide sich dieses Tier von anderen Meereswürmern.
Dass es tatsächlich so abläuft, konnte das Team u.a. durch die Markierung von Zellen zeigen. So ließ sich nachvollziehen, wie ein und dieselbe winzige biologische Einheit mehrfach ihre Identität veränderte. Die Forschung habe nun "Werkzeuge entwickelt, um die Dedifferenzierung auf molekularer Ebene zu verstehen und sie mit dieser sogenannten 'Reprogrammierung' von Zellen in der modernen Medizin zu vergleichen" so Raible. Dabei wurde klar, dass auch bei Platynereis dumerilii "die Transkriptionsfaktoren Myc und Sox2 eine Rolle" spielen, die auch in der modernen Medizin genutzt werden, "um aus spezialisierten menschlichen Zellen Stammzellen herzustellen", erklärte Stockinger. In besagtem Wurm fand man überdies "mindestens zwei verschiedene Stammzellpopulationen". Während aus einer Haut- und Nervengewebe aufgebaut werden, ist die andere Stammzellenart der Vorläufer für Muskel- und Bindegewebe.
Service - https://doi.org/10.1038/s41467-024-54041-3