Landwirte haben ein Auge auf exotische Schädlinge
Der Europäischen Union entstehen durch eingeschleppte Arten ("Neobiota") jährlich geschätzte gesellschaftliche Kosten in Höhe von zwölf Milliarden Euro. Auch wenn die Zahl der Schädlinge unter den über 12.000 in Europa heimisch gewordenen Neophyten (Pflanzen), Neomyzeten (Pilzen), Neozoen (Tieren) und Mikroorganismen in absoluten Zahlen klein scheint, so sind die Auswirkungen der zehn bis 15 Prozent als "invasiv" bezeichneten Arten enorm. Weltweit stellen Neophyten besonders die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Monitoring, Frühwarndienste und Forschung an biologischer Schädlingsbekämpfung sollen helfen, das Problem einzudämmen.
Als Folge der globalisierten Handels- und Tourismusströme ist es in den letzten Jahrzehnten zu einem starken Anstieg der Einschleppung von Schaderregern an Pflanzen gekommen. Pro Jahrzehnt können sich etwa zehn neue Schaderregerarten in Europa etablieren. Zwischen der ersten Sichtung bis zur Etablierung können durchaus Jahrzehnte liegen. "'Etabliert' bedeutet in der Regel das Auftreten über einen längeren Zeitraum, normalerweise über mehrere Jahre oder Generationen", erklärt Sylvia Blümel vom Institut für Nachhaltige Pflanzenproduktion (NPP) der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). In Kombination mit Veränderungen durch den Klimawandel und durch geänderte Produktionssysteme - das betreffe Kulturmaßnahmen ebenso wie die Sortenvielfalt, Bodenbearbeitung oder Düngemittel - sowie einer verringerten Biodiversität könnten bisher gebietsfremde Erreger an Terrain gewinnen, meinte sie im Gespräch mit APA-Science und betonte: "Es gibt hier keinen monokausalen Zusammenhang, da viele verschiedene Faktoren Einfluss auf das System Pflanze-Schaderreger ausüben."
Jährliche Schäden in Milliardenhöhe
Sind sie einmal etabliert, so können Insekten, Mikroorganismen und Pflanzen bei Kulturpflanzen die Erntemenge und -qualität verringern und bei Nicht-Kulturpflanzen die Pflanzengesundheit beeinträchtigen. Die wirtschaftlichen Folgen sind beträchtlich: Die EU-Kommission beziffert die in den vergangenen 20 Jahren entstandenen jährlichen Schäden in der Europäischen Union mit zwölf Milliarden Euro. Der globale wirtschaftliche Schaden invasiver Insekten für das Jahr 2016 wird laut einer Studie auf zumindest 70 Milliarden US-Dollar (62,4 Milliarden Euro) geschätzt.
Als besonders unangenehme Schädlinge gelten Blümel zufolge in der Landwirtschaft aktuell der westliche Maiswurzelbohrer, bei Obstarten die Kirschessigfliege und bei Weinreben die amerikanische Rebzikade. Andere invasive Schaderreger der letzten Jahre sind der Kartoffelkäfer (1876 nach Europa eingeschleppt und seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Österreich), die San-José-Schildlaus an Obstgehölzen (seit den 1920er-Jahren in Österreich), die Mittelmeerfruchtfliege, die viele Obstkulturen schädigt (seit Mitte der 1950er-Jahre heimisch), die Rosskastanien-Miniermotte (seit Ende der 1980er-Jahre), der hochinfektiöse Feuerbrand (seit Mitte/Ende der 1980er-Jahre) und die Bläulingszikade, die Ziergehölze, Obstbäume, Weinstöcke und krautige Pflanzen befällt (seit Mitte der 1990er-Jahre in Österreich).
Frühwarnsystem und Prognosemodelle
"Wir haben in Österreich seit vielen Jahren ein Frühwarnsystem etabliert, bei dem neuerdings die unterschiedlichsten Stellen zusammenarbeiten: Landwirtschaftskammern, Produktionsverbände der Obst- und Weinbauern, die AGES, diverse Stellen in der Produktion und Beratung, und auch von privater Seite sind Teilnehmer mit an Bord", erzählte Blümel. So lasse sich unter anderem durch regelmäßige Pflanzenkontrollen ein Erreger gut erheben und identifizieren. "Wann tritt er auf, in welchem Entwicklungsstadium? Kommen die Schädlinge als Eier, Larven, Raupen, in verpuppter Form oder bereits als adultes Tier vor? Je nach Schaderreger ist es sinnvoll, ihn in einem bestimmten Stadium zu bekämpfen", betonte die Expertin, die auch an der Universität für Bodenkultur lehrt.
Während das Monitoring sehr gut funktioniere, würden sich Prognosemodelle teilweise noch schwierig gestalten. Eingesetzt würden sie aber bereits bei Feuerbrand und Pilzkrankheiten wie Mehltau. Je nach Erreger gelte es dann zunächst vorbeugende oder vermeidende Maßnahmen zu setzen.
In der AGES-eigenen Schadenerreger-Datenbank sind derzeit 143 verschiedene Erreger aufgeführt. Die Liste werde bei Bedarf aktualisiert - manchmal fliegen Einträge hinaus, andererseits nehmen die Fachleute auch Informationen zu Erregern auf, die derzeit noch nicht in Österreich auftreten, für die aber ein großes Risiko einer Einschleppung besteht.
Import von Nutzinsekten als gängige Gegenmaßnahme
Bereits in den 1920er-Jahren begann man mit sogenannten "Nachführungen" - dem bewussten Import von Nutzinsekten zur Reduktion eingeschleppter Schädlinge. Erst seit relativ kurzer Zeit, insbesondere seit dem 2010 beschlossenen Nagoya-Protokoll, dem internationalen Umweltabkommen zur Umsetzung der Ziele der UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) von 1993, unterliegen diese Nachführungen von Nützlingen - die dem Wesen nach ja ebenso Neobiota darstellen - strengen Regelungen in den Ursprungs- und Zielländern, wobei vielfältige Anforderungen in punkto Umweltsicherheit sowie Biodiversität eingehalten werden müssen.
"Ein im Ursprungsgebiet nützliches Insekt ist nicht per se auch in anderen geografischen Regionen nützlich", erläuterte die ausgewiesene Expertin für Pflanzengesundheit. Ein nachgeführtes Insekt, das zu einem Schadinsekt geworden ist, lässt sich kaum mehr bekämpfen. Die Verwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft ist überdies durch diverse Bestimmungen deutlich limitiert worden - "so kann es sein, dass es gegen manche Erreger heute gar kein chemisches Mittel mehr gibt", stellte die Fachfrau klar.
Als Beispiel für eine "sehr schlecht vorbereitete" Nachführung führte sie den Asiatischen Marienkäfer an. Dieser war ursprünglich nur für die Verwendung in Glashäusern vorgesehen, hat sich aber im Freiland etabliert und verdrängt nun durch seine Widerstandsfähigkeit die einheimischen Marienkäferarten. "Das war aber sicherlich eine Ausnahme und ist heutzutage durch die strengen Regelungen kaum wahrscheinlich. Zum überwiegenden Teil war und ist die Nachführung von Nutzorganismen und deren Einsatz in der biologischen Schädlingsbekämpfung erfolgreich", gab sich Blümel überzeugt. Als nützlich für die Landwirtschaft hätten sich beispielsweise zwei nordamerikanische Zehrwespenarten zur Bekämpfung der San-José-Schildlaus bzw. gegen die Blutlaus an Obstgehölzen erwiesen. Übrigens: Nutzorganismen müssen ebenso wie chemische Pflanzenschutzmittel inzwischen ein Zulassungsverfahren durchlaufen, ehe sie zum Einsatz kommen dürfen.
Weltweit sind laut Blümel in den vergangenen 120 Jahren ca. 2.000 Arten exotische Nutzarthropoden (Anm.: Gliederfüßer) in 196 Ländern eingesetzt worden, sowohl durch Nachführung, aber auch durch Massenzüchtungen. Heutzutage würden global betrachtet mehr als 440 verschiedene Arten von Nutzorganismen wie Insekten, Milben oder Mikroorganismen kommerziell produziert und eingesetzt. Flächenmäßig dabei am häufigsten eingesetzt sind Schlupfwespen aus der Gattung Trichogramma, die die Eier von verschiedensten Schadschmetterlingen, wie jene des Maiszünslers, parasitieren.
Forschungsprojekte und Studien
In Kooperation mit in- und ausländischen Partnern nimmt die AGES in Forschungsprojekten und Studien die exotischen Schädlinge genauer unter die Lupe. Für den heimischen Obst- und Weinbau wurde etwa für die aus Asien eingeschleppte Kirschessigfliege gemeinsam mit den Amtlichen Pflanzenschutzdiensten und Landwirtschaftskammern der Bundesländer ein Monitoringsystem aufgebaut und Fallen, etwa mit Flüssigkeit, getestet. Geforscht wird Blümel zufolge unter anderem auch an den Möglichkeiten des integrierten und biologischen Pflanzenschutzes mit Hilfe von Pilzen, Fadenwürmern oder Erzwespen.
Bei der Amerikanischen Rebzikade, die die Goldgelbe Vergilbung der Rebe (GFD) überträgt, laufen unter anderem Projekte zur Entwicklung standardisierter molekulargenetischer Nachweismethoden von GFD (hier der Link zum Nachfolgeprojekt) sowie zur Ausarbeitung von Richtlinien zu deren Prävention und Eindämmung. Europaweite Prognosemodelle zur Ausbreitung der Krankheit, mögliche wirtschaftlichen Folgen, aber auch Szenarien vor dem Hintergrund des Klimawandels stehen im Zentrum weiterer Projekte zu diesem Schaderreger.
Wie kann man den Import und die Einschleppung von Schädlingen begrenzen? "Durch die Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften wie Kontrollen und Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene, die im Pflanzenschutzgesetz 2011 bzw. den Pflanzenschutz-Verordnungen der Bundesländer enthalten sind", so die Empfehlung.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science