Neobiota als Krankmacher: Risiken überschaubar
Eingeschleppte Arten können in Umwelt und Landwirtschaft großen Schaden anrichten. In bestimmten Fällen – etwa als Allergieauslöser oder Krankheitsüberträger – stellen sie aber auch eine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Welche Rolle dabei der Klimawandel spielt und warum man bei den Risiken die Kirche im Dorf lassen sollte, erklärten Experten im Gespräch mit APA-Science.
Egal, ob es um invasive Pflanzenarten wie Ragweed und Riesen-Bärenklau oder Tierarten wie Stechmücken geht: Aufklärung, Überwachung und gegebenenfalls lokale Eingriffe sollten derzeit ausreichen, um mit den "invasiven Aliens" zurechtzukommen. Nicht kleinreden, aber hinsichtlich der Bedeutung nicht überschätzen, ist daher auch das Motto von Fachleuten.
Am meisten Probleme dürfte derzeit das aus Nordamerika stammende Ragweed (Ambrosia artemisiifolia) machen. "Die Ambrosia ist aufgrund ihrer hochallergenen Pollen für Menschen der gefährlichste Neophyt. Da reichen wenige Pollen pro Kubikmeter aus, um bei sensitisierten Personen eine Reaktion hervorzurufen", erklärte Swen Follak von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) im Gespräch mit APA-Science.
Klimawandel verstärkt allergene Potenz
Auf das enorm hohe allergene Potenzial und den starken Leidensdruck der Betroffenen verwies auch Hans Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene an der Medizinischen Universität (MedUni) Wien. Dazu komme nun der Klimawandel, der eine Verbreitung begünstige. "Wenn es mehr Sonnenstunden und Hitzetage gibt, kommt es vermehrt zu Belastungen durch Ozon bzw. Oxidantien. Das kann die Auswirkung von Pollen verstärken", so Hutter.
"Wärmere Durchschnittstemperaturen haben in den vergangenen Jahren zur Verbreitung der Ambrosia beigetragen, da sie wärmeliebend ist", meint auch Follak. Derzeit gebe es hohe Funddichten im Südosten, also in der Südsteiermark, im Burgenland und im östlichen Niederösterreich. Richtung Westen verbreite sich Ragweed vor allem entlang der Autobahnen – durch den Fahrtwind oder Mähmaschinen. In der Landwirtschaft reisen Samen beispielsweise per Erntemaschinen von Feld zu Feld. Die Bauern würden die Ambrosia als Unkraut wie jedes andere sehen und mit mechanischen und chemischen Maßnahmen bekämpfen.
"Das hat man eigentlich gut im Griff. Die gründliche Reinigung der Maschinen stellt ebenfalls eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme dar", so Follak. Aber auch jeder Einzelne könnte einen Beitrag leisten: "Die Pflanzen am besten mit der Wurzel und noch vor der Blüte ausreißen und über den Kompost oder den Restmüll entsorgen", rät der Experte. Nach der Blüte sollten sie in ein Sackerl und dann in den Restmüll gegeben werden. "Natürlich sind Forstamt, Straßenmeisterei und Co. auch gefragt, aber hier kann wirklich jeder etwas beitragen", pflichtete Hutter bei.
Verbrennungen durch Bärenklau
Sehr selten und wie Ragweed in Ausbreitung begriffen, aber sehr unangenehm und prominent in der Berichterstattung, sei der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum). Durch die Berührung der Pflanze würden bei Sonneneinstrahlung starke Hautreizungen beziehungsweise Verbrennungen auftreten. Allerdings scheint das Problem lösbar: "Riesen-Bärenklau ist leicht erkennbar. Da muss man vermitteln, dass man nicht einfach alles angreifen soll, auch wenn es schön ausschaut", gab sich Hutter überzeugt.
Auch Follak wies darauf hin, dass der Riesen-Bärenklau eine sehr präsente, einprägsame Pflanze und durchaus schon gut bekannt sei. In Österreich komme der im 19. Jahrhundert als Garten- und Zierpflanze nach Mitteleuropa gebrachte Neophyt zwar nicht wirklich häufig vor, "aber man findet immer wieder neue Populationen", sagte Follak. Betroffen sei eher der Westen und hier speziell die höheren Lagen, da der Riesen-Bärenklau ursprünglich aus dem Kaukasus stamme. Generell habe man die Lage gut im Griff, es seien keine zusätzlichen Maßnahmen nötig.
Wenn eine größere Population entdeckt werde, würden Länder und Gemeinden aktiv. Praxistipp des Fachmanns: "Am besten geht man mechanisch dagegen vor, indem man im Herbst mit einem Spaten in die oberste Wurzelschicht sticht. Dadurch wird der Neuaustrieb im nächsten Jahr verhindert." Das sei eine sehr effektive Maßnahme, aber auch arbeitsaufwendig und kostspielig. Ein mehrmaliger Schnitt im Jahr, um zu verhindern, dass die Art zur Blüte gelangt und Samen bilden kann, wird ebenfalls empfohlen. Einzelne Personen sollten lieber nichts tun, sondern einen Fund den Behörden melden.
Für beide Pflanzen – Ragweed und Riesen-Bärenklau – gebe es kein systematisches Monitoring und auch keine allgemeine Melde- oder Bekämpfungspflicht.
Gefährliche Tiere
Der Klimawandel spiele neben den Pflanzen auch einigen Erregern in die Hände, so Hutter. Durch die geänderten Bedingungen hätten sie eine Chance sich zu verbreiten, verwies der Experte auf Stechmücken und Sandmücken. Bei den Stechmücken gebe es rund 50 Arten in Mitteleuropa. "Die sind von Bedeutung, weil sie potenziell Viren, die in den Tropen oder Subtropen vorkommen, aber auch Protozoen wie Malaria theoretisch auch hier übertragen können. Berühmt ist etwa das West-Nil-Virus", erklärte Hutter. Das seien im Moment aber nur Einzelfälle.
Bei den Sandmücken gebe es rund 25 Arten im Mittelmeer-Raum. "Wir müssen annehmen, dass die immer besser bei uns leben können. Was sie medizinisch ausweist ist, dass sie Überträger von Leishmanien und Viren sein können. Da gibt es immer wieder Outbreaks: Man findet sie, dann sind sie wieder weg." Das West-Nil-Virus sei für die meisten Menschen eher unproblematisch, könnte aber für vorbelastete Personen ein Problem darstellen. Gelbfieber- und Denguefieber-Viren seien zwar gefährlich, allerdings gebe es hier eine Impfung.
Tropenkrankheiten mitdenken
Die größte Herausforderung für das Gesundheitssystem bestehe darin, sich auf diese Entwicklungen vorzubereiten. "Wenn jemand Fieber hat, kommt einem nicht zuerst Chikungunya in den Sinn. Künftig müssen unklare Fieberzustände diesen Krankheitsbildern zugeordnet werden können. Medizinstudenten und Ärzte müssen Tropenkrankheiten mitdenken." Im Vergleich zu anderen Entwicklungen, die mit dem Klimawandel einhergehen, sei das aber ein eher leichter zu lösendes Problem.
Hutter empfiehlt die Einführung von Überwachungs- und Frühwarnsystemen bei Infektionskrankheiten, die Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegepersonal entsprechend anzupassen und die Sensibilisierung von Fachkreisen sowie die Information der Öffentlichkeit. Bei den invasiven Pflanzen müsse die weitere Ausbreitung durch ein entsprechendes Pflanzenmanagement verhindert werden.
Den neu auftretenden Gesundheitsrisiken durch gebietsfremde Arten wurde auch im vom Umweltbundesamt und der MedUni Wien durchgeführten Projekt "Aliens_Health" nachgegangen. Ein Zwischenbericht ist hier abrufbar.
Von Stefan Thaler / APA-Science