10 Jahre Fukushima - Kernenergie-Abkehr in Europa und mehr Sicherheit
Der Reaktorunfall am 11. März 2011 in Fukushima Daiichi (Japan) bewirkte in Europa, in den USA und Japan eine teilweise Abkehr von der Kernenergie, nicht aber in China und Russland. Das erklärte der Wiener Atomsicherheits-Experte Nikolaus Müllner der APA in Vorfeld einer Onlineveranstaltung zum 10. Jahrestag der Katastrophe. Weltweit wurden danach die Atommeiler aufgerüstet und sollen laut Richtlinien der Internationalen Atombehörde (IAEA) nun auch Kernschmelzen verkraften. Nun wurde auch ein UN-Bericht veröffentlicht, nach dem Strahlenschäden durch den AKW-Unfall statistisch nicht belegbar sind.
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Neu: UN-Report: Strahlenschäden durch Fukushima statistisch nicht belegbar
"In Europa und den USA ist es sicher zu einem Umdenken gekommen", sagte Müllner, der am Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien arbeitet. Manche Länder wie Deutschland und die Schweiz haben nach dem Unfall in Fukushima den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und Italien sagte einen damals geplanten Wiedereinstieg ab. In Frankreich setzte man sich zum Ziel, den Anteil der Kernenergie in der Stromerzeugung zu reduzieren. "Auch in den USA ist man eher von der Kernenergie abgegangen, es gibt dort nur mehr sehr wenige Projekte, die noch dazu sehr lange Verzögerungen erfahren", so der Forscher.
China und Russland setzen weiterhin auf Kernenergie
"China setzt aber nach wie vor auf die Kernenergie. Dort hat man nur ein kurzes Innehalten nach der Katastrophe in Japan gesehen", erklärte er. Auch in Russland sei man mehr oder weniger bei der Linie geblieben, dass Atomenergie eine wichtige Technologie für das Land sei. Allerdings habe man dort die Vorkehrungen gegen schwere Unfälle verstärkt.
Zusätzlich gäbe es ein paar Kandidaten, die Kernenergie ausbauen wollen. "Zum Beispiel die Türkei, Ägypten und andere afrikanische Staaten, sowie Indonesien", so der Experte. Bei manchen könnten reale Projekte entstehen, bei anderen wird es vielleicht bei der Intention bleiben, meint er.
Japan am Scheideweg
In Japan selbst sei nicht ganz klar, wie sich die Situation weiterentwickeln wird, erklärte Müllner. Zunächst hat man alle Reaktoren vom Netz genommen und überprüft. Wenn die Betreiber sie wieder ans Netz bringen wollten, mussten sie strenge Wiederinbetriebnahme-Verfahren durchlaufen. Deshalb sind von den 33 betriebsbereiten Reaktoren in Japan aktuell nur wenige eingeschaltet. Es sei auch unklar, wie groß die Strahlenbelastung im von der Katastrophe vor zehn Jahren unmittelbar betroffenen Gebiet ist, die Berichte dazu seien widersprüchlich. Einerseits würden die Menschen teilweise aufgefordert wieder dorthin zurückzukehren, andererseits habe etwa Greenpeace jüngst behauptet, dass die Strahlenbelastung noch zu hoch dafür sei, so der Experte.
Es gäbe auch keine umfassenden wissenschaftlichen Daten, wie sehr die Katastrophe die Einstellung der Bevölkerung bezüglich der Atomkraft beeinflusst hat, sagte Müllner. "Mein Eindruck ist, dass solche Unfälle die Risiken der Atomkraft doch immer sehr stark ins Bewusstsein der Menschen rücken, sich das Ganze aber im Lauf der Zeit wieder verringert". In Österreich sei man jedenfalls im Vergleich zu anderen Ländern Europas und weltweit der Atomkraft gegenüber sehr kritisch und skeptisch eingestellt.
Nach dem Reaktorunfall in Fukushima hat sich im Bewusstsein der Verantwortlichen einiges bezüglich Sicherheit getan: "Früher mussten die Kraftwerke für sogenannte auslegungsüberschreitende Störfälle, wie eine Kernschmelze, nicht vorbereitet sein", so Müllner: "Man hat sich gedacht, man kann Reaktoren so sicher machen, dass eine Kernschmelze nicht vorkommt." Der Unfall in Fukushima hat dies widerlegt, und so müssen die Kraftwerke laut Standards der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) nun sicher mit Kernschmelzen umgehen können. Solche Vorfälle sind seit 2012 als "Design extension conditions" in den Sicherheitsstandards inkludiert.
Die Onlineveranstaltung "10 Jahre nach Fukushima - die Zukunft der Kernenergie" wird vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Boku organisiert. Sie findet am Donnerstag und Freitag (11. und 12. März) statt.
Strahlenschäden durch Fukushima statistisch nicht belegbar
Die Atomkatastrophe von Fukushima hat nach Angaben eines UN-Expertengremiums in der japanischen Bevölkerung zu keinen statistisch nachweisbaren Schäden durch Verstrahlung geführt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des UN-Strahlenschutzkomitees (UNSCEAR), die in Wien zum 10. Jahrestag der Katastrophe veröffentlicht wurde. Die radioaktive Belastung erhöhe das Krebsrisiko der Bevölkerung nicht in einem Ausmaß, das eindeutig über normalen Werten liege.
Die Wissenschafter beleuchteten auch die starke Steigerung an Schilddrüsenkrebs, die im vergangenen Jahrzehnt in der Umgebung des AKW bei Kindern beobachtet wurde. Dazu schreiben sie, die Zunahme sei nicht auf Strahlung zurückzuführen, sondern auf sehr engmaschigen Untersuchungen, die Fälle ans Licht brachten, die sonst unentdeckt geblieben wären. In anderen Gebieten und Ländern ohne radioaktive Belastung habe solches Monitoring ebenfalls zu höheren Zahlen geführt.
Schlimmste AKW-Katastrophe seit Tschernobyl 1986
Infolge eines starken Erdbebens mit anschließendem Tsunami am 11. März 2011 wurden in Japan insgesamt 18.500 Menschen getötet. Im AKW Fukushima Daiichi kam es im Zuge der Naturkatastrophe zu einer Kernschmelze und damit zu einem Super-Gau. Wegen der radioaktiven Strahlung mussten 160.000 Bewohner fliehen. Es war die schlimmste Atomkatastrophe seit dem Unfall im ukrainischen AKW Tschernobyl 1986.
"Es ist eine Katastrophe, aber es ist keine Strahlenkatastrophe", sagte die Strahlenbiologin Anna Friedl, die Deutschland im UNSCEAR vertritt. Im Vergleich zu Tschernobyl seien in Fukushima weit weniger radioaktive Stoffe freigesetzt worden - und größtenteils im Meer statt auf Land niedergegangen. Auch habe die Bevölkerung dort weniger verseuchte Lebensmittel zu sich genommen, sagte Friedl in ihrer Funktion als Forscherin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.
Der Bericht bedeute jedoch nicht, dass wegen des Unfalls gar kein Krebsrisiko bestehe, betonte UNSCEAR. Unter etwa 170 Rettungskräften, die sehr hoher Strahlung ausgesetzt waren, seien wegen Fukushima zwei oder drei zusätzliche Krebs-Fälle zu erwarten. In Japan liegt die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, allgemein bei 35 Prozent. Dem Expertengremium zufolge traten auch Stress, Herzprobleme und andere Krankheiten infolge von Evakuierungen auf.
Service: Informationen zu dem Symposium: http://go.apa.at/Pj41hRBV