Wie Temperaturplus just hitzeresistente Alpenpflanzen dezimieren kann
Die Erderwärmung wird Pflanzen in alpinen Region besonders zusetzen, gehen den meist an harsche Bedingungen angepassten Gewächsen doch jene Lebensräume verloren, in denen sie ihre Vorzüge ausspielen können. Laut einer neuen Studie von Wiener Forschern können steigende Temperaturen just jenen Vertretern einer Art zum Verhängnis werden, die eigentlich besser mit wärmeren Bedingungen umgehen können. Warum das so sein könnte, beschreiben sie im Fachblatt "Nature Climate Change".
Im Rahmen der Untersuchung simulierte das Team um Johannes Wessely und Stefan Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien und Kollegen von der Universität Helsinki am Computer das Schicksal von sechs verschiedenen Alpenpflanzen unter der Annahme, dass die Erhitzung bis zum Ende des Jahrhunderts verschieden weit voranschreitet. Im Fokus standen die Dunkle Glockenblume (Campanula pulla), die Alpen-Nelke (Dianthus alpinus), das Kopfige Läusekraut (Pedicularis rostratocapitata), die Halbkugelige Teufelskralle (Phyteuma hemisphaericum), das Zwerg-Seifenkraut (Saponaria pumila) und das Stängellose Leimkraut (Silene acaulis).
Temperaturanstieg verkleinert Lebensräume
Wie bereits in früheren Arbeiten dargestellt, verkleinert der Temperaturanstieg die Lebensräume der Pflanzen generell "moderat bis massiv", heißt es in der Arbeit. Die Wissenschafter wollten in ihrer Untersuchung aber vor allem herausfinden, wie es besser und schlechter an höhere Temperaturen angepassten Vertretern innerhalb der sechs Arten ergehen könnte. Dabei kamen sie zu einem überraschenden Ergebnis: Gerade jene Abkömmlinge, die eigentlich unter wärmeren Bedingungen besser zurecht kommen sollten, wurden dezimiert. Umgekehrt behaupteten sich die kälteangepassten Vertreter besser.
In einem Klimaszenario mit besonders starker Temperaturzunahme gingen in der Simulation die hitzeresistenteren Bestände der Dunklen Glockenblume und des Stängellosen Leimkrauts leicht zurück. Wärmeliebendere Vertreter des Kopfigen Läusekrauts wurden um mehr als ein Drittel dezimiert. Über 60 bzw. 75 Prozent betrug der Aderlass bei der Halbkugeligen Teufelskralle und beim Zwerg-Seifenkraut. Einzig bei der Alpen-Nelke konnten die an höhere Temperaturen angepassten Exemplare leicht zulegen. Über alle Arten hinweg war der Verlust der hitzeresistenten Vertreter umso höher, je höher die Temperaturen im Modell anstiegen.
Kaltangepasste blockieren den Weg
Wie es zu dieser für die Forscher überraschende Fehlanpassung kommen kann, erklären sie damit, dass es nicht unerheblich ist, wer einen neuen Lebensraum zuerst besetzt sowie mit Konkurrenz zwischen verschiedenen Vertretern innerhalb einer einzigen Art. So setzt mit steigenden Temperaturen eine Art Wettlauf Richtung bergauf ein, wo die Verhältnisse noch in etwa dem Gewohnten entsprechen. "Es sitzen genau die Kaltangepassten vorne an der Ausbreitungsfront", so Wessely im Gespräch mit der APA.
So blockieren sie aber den Weg nach oben für wärmeliebendere Kameraden, die wiederum ihre angestammten Gebiete verlieren. Dieser Effekt werde u.a. dadurch verstärkt, dass Alpenpflanzen in der Regel lange Lebensdauern haben. Wer also als erstes an einem neu erschlossenen Ort ankommen kann, bleibt dort auch entsprechend lange und besetzt den Lebensraum. "So werden die Warmangepassten mehr oder weniger zwischen dem sich erwärmenden Klima und den noch überlebenden kaltangepassten Individuen eingequetscht", sagte Wessely.
Die weiter unten verbleibenden Exemplare können ihren Lebensraum dort vermutlich auch nicht wirklich ausdehnen. Am ehesten haben es den Forschern zufolge wärmeangepasste Vertreter in Arten leichter, die in unseren Breiten nicht mehr viel weiter bergauf ausweichen können, wie das Stängellose Leimkraut oder die Alpen-Nelke.
Es handle sich zwar um eine Modellierung mit eingeschränkter Aussagekraft und einen "möglichen Effekt", sagte Wessesly. Für das Team zeigen die Ergebnisse aber, dass die Auswirkungen der Erwärmung komplex sein können, und auch die Zusammensetzung der unterschiedlichen Vertreter ein und derselben Art eine Rolle spielen kann.
Service: https://doi.org/10.1038/s41558-021-01255-8)