Wissenschaftsjahr 2024: Bessere KI, Supercomputer, Gesellschaftsnähe
Erst kürzlich listete das Fachjournal "Nature" den Chatbot ChatGPT unter den maßgebenden Forschenden des Jahres - und damit erstmals einen nicht-menschlichen Akteur. Wenig verwunderlich, dass das renommierte Journal nun auch fortschrittliche Werkzeuge im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI), neben Mondmissionen und ultraschnellen Supercomputern, zu wegweisenden Forschungsentwicklungen im Jahr 2024 zählt.
So sei die neuste Version des KI-gestützten Chatbots von OpenAI, GPT-5, später im Jahr zu erwarten, mit noch viel besseren Fähigkeiten als seine Vorgänger. Auch "Gemini", der KI-Konkurrent von Google, sowie eine neue Version von Googles "AlphaFold", eine KI, die sich bereits sehr nützlich bei der Vorhersage von dreidimensionalen Proteinstrukturen erwies, sollen im Jahr 2024 offiziell gelauncht werden. KI werde so etwa in der Lage sein, schrieb "Nature", Wechselwirkungen zwischen Proteinen, Nukleinsäuren und anderen Molekülen "mit atomarer Präzision" zu modellieren - auch mit neuen Möglichkeiten für die Wirkstoffentwicklung.
Ebenso sollte man 2024 "Nature" zufolge auf ultraschnelle Supercomputer achten: So werde früh im Jahr "Jupiter" ("Joint Undertaking Pioneer for Innovative and Transformative Exascale Research"), Europas erster Exascale-Rechner, am Standort des Forschungszentrums Jülich (Deutschland) in Betrieb genommen. Der Supercomputer soll die Grenze von einer Trillion Rechenoperationen pro Sekunde brechen. Mit der Maschine könnten digitale Zwillinge vom menschlichen Herzen und Gehirnen für medizinische Zwecke hergestellt und auch hochauflösende Klima-Simulationen durchgeführt werden. In den USA laufen ebenfalls Vorbereitungen, um im kommenden Jahr zwei Exascale-Rechner zu installieren.
Kampf gegen Dengue-Fieber
Auch den Start der Produktion von Mücken, die aufgrund einer Infektion mit einem Bakterium nicht mehr als Überträger etwa von Dengue-Fieber fungieren können, in einer brasilianischen Fabrik durch das Weltmückenprogramm (World Mosquito Program, WMP) nennt "Nature" als vielversprechendes Vorhaben des neuen Jahres. Dazu zählt das Journal auch die nächste Generation von Impfstoffen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten, Vorhaben zur Weltraumforschung und Raumfahrt, darunter NASAs Mondmission "Artemis 2", wie auch neue Einblicke in die neuronale Basis von Bewusstsein. Hoffnungen werden darüber hinaus in Vorhaben gesetzt, die sogenannten Axionen, die als Bausteine der rätselhaften Dunklen Materie gehandelt werden, nachzuweisen. Axionen konnten bisher noch nicht experimentell beobachtet werden; das Experiment BabyIAXO, quasi ein Observatorium für Dunkle Materie, am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg soll hier Licht ins Dunkel bringen.
Auch in Österreich bringt das Jahr Neues in Ergänzung zu wiederkehrenden Großereignissen: So hielt der neue Rat für Forschung und Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung (FWIT-Rat) noch kurz vor Jahresende seine konstituierende Sitzung ab. Das unter dem Vorsitz von Thomas Henzinger stehende Beratungsgremium der Bundesregierung kann so nun - mit einiger Verzögerung - seine Arbeit aufnehmen.
Mit Jahresbeginn bekommt zudem Europas wissenschaftliche Politikberatung ein neues Zuhause: Das European Academies Science Advisory Council – kurz EASAC – wechselt mit dem Sitz seiner Geschäftsstelle an die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Der Zusammenschluss von 30 europäischen Wissenschaftsakademien liefert Berichte und Stellungnahmen zu aktuellen Fragestellungen und will dazu beitragen, dass die Wissenschaft in der europäischen Politik eine Stimme hat.
Beschwingt geht es mit dem Ball der Wissenschaften, zu dem diesmal 4.000 Gäste erwartet werden, am 27. Jänner im Wiener Rathaus ins neue Jahr. Das Motto lautet: "Spaß mit Anstand. Tanz mit Haltung."
Wien wird Zentrum der Geowissenschafter-Gemeinde
Im März steht voraussichtlich eine Entscheidung bei der nächsten Programmschiene von "excellent=austria" des Wissenschaftsfonds FWF an: Nach der im Jahr 2023 erstmals vergebenen, hochdotierten Forschungsförderung für fünf "Clusters of Excellence" sollen nun die bewilligten "Emerging Fields"-Projekte bekannt gegeben werden. Jeweils bis zu sechs Mio. Euro für fünf Jahre gibt es zur Förderung von Forschungsideen, die etablierte Denkansätze aufbrechen sollen.
Bei der erstmals in Wien abgehaltenen Konferenz der European Citizen Science Association (ECSA) trifft sich von 3. bis 6. April die Citizen-Science-Community, um partizipative Forschung voranzutreiben. Ausgerichtet wird die mit der nationalen Citizen-Science-Konferenz zusammengelegte Veranstaltung von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und dem Naturhistorischen Museum (NHM) Wien.
Zum Zentrum der Geowissenschafter-Gemeinde wird Wien wieder von 14. bis 19. April durch die Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU), zu der mehr als 10.000 Wissenschafter aus aller Welt erwartet werden.
Am 24. Mai findet wieder eine alle zwei Jahre abgehaltene "Lange Nacht der Forschung" statt, an über 250 Standorten in allen Bundesländern. Hier gewähren Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen Einblick in ihre Arbeit. Bei der vergangenen Veranstaltung im Jahr 2022 wurden 135.000 Besucherinnen und Besucher registriert. Sie zählt damit zu den größten Events für Wissenschaft und Forschung im deutschsprachigen Raum.
Unter dem Eindruck einer Studie zur Wissenschaftsskepsis will das Wissenschaftsministerium die bisher zur Stärkung des Vertrauens in Wissenschaft und Demokratie gesetzten Maßnahmen überarbeiten. Erste Ergebnisse soll es Anfang 2024 geben, erklärte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) kürzlich. Nachdenken will man unter anderem über Science Clubs als Pilotprojekte an interessierten Schulen.
CERN wird 70
Internationale Bedeutung hat die Europäische Organisation für Kernforschung – bekannt als CERN –, die am 29. September ihr 70-Jahr-Jubiläum feiert. In Österreich ist das Institut für Hochenergiephysik der ÖAW am CERN beteiligt. Zum CERN-Geburtstag wird eine "Science Week" in Wien veranstaltet. "Meet the Universe" heißt es ab Juni 2024 im MuseumsQuartier, wo auch die Ausstellung "Spurensuche – Die Bausteine des Universums" zu sehen sein wird.
Deutlich jünger ist die Forschungsförderungsgesellschaft FFG, gewichtigste Fördererin der angewandten Forschung in Österreich. Sie wurde am 1. September 2004 gegründet, begeht damit kommendes Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Auch das ÖAW-Institut für Quantenoptik und Quanteninformation mit Standorten in Wien und Innsbruck, das einige der weltweit meistzitierten Forschenden unter ihrem Dach versammelt, feiert seinen 20. Geburtstag. Im September gibt es zu diesem Anlass zwei mehrtägige internationale Konferenzen, eine gemeinsame Summer School für Studierende sowie einen Publikumstag in Innsbruck am 20. September. Das Jubiläum wird auch für einen Rückblick auf Erfolge genutzt, darunter natürlich der Physik-Nobelpreis für Anton Zeilinger vor einem Jahr.
Es kann als gesichert gelten, dass die Klimaforschung und ihre verwandten Bereiche auch 2024 wieder im Fokus stehen werden. International wird sich die Aufmerksamkeit vieler Forscherinnen und Forscher naturgemäß auf die von 11. bis 22. November stattfindende UN-Klimaschutzkonferenz (COP29) richten. Sie soll in der zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus liegenden ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan stattfinden.
Weitere runde Jahrestage
2024 bietet aber noch zahlreiche runde Jahrestage: Biochemiker und Ex-Wissenschaftsminister Hans Tuppy wird am 22. Juli 100 Jahre alt. Er war Rektor der Universität Wien sowie Präsident des Wissenschaftsfonds FWF und der ÖAW; sein breites wissenschaftliches Oeuvre reicht von der Aufklärung der Insulin-Struktur bis zur Biochemie der Blutgruppensubstanzen.
Im Jahr 1924 und damit vor 100 Jahren veröffentlichte zudem der französische Physiker Louis-Victor Pierre Raymond de Broglie seine These, dass Elektronen auch Welleneigenschaften besitzen.
Vor 150 Jahren schuf der deutsche Chemiker Carl Bosch die Grundlage für die großtechnische Herstellung von Stickstoffdüngern und damit für große Veränderungen in der Landwirtschaft. 1931 erhielt er für seine Verdienste um die Entdeckung und Entwicklung chemischer Hochdruckverfahren den Nobelpreis für Chemie.
Am 9. Juni 1774, also vor 250 Jahren, wurde Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall, der bedeutende österreichische Orientalist und erste Präsident der ÖAW, geboren.
Und zuletzt noch an der Schnittstelle zur Kultur: Am 4. September jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag des österreichischen Komponisten Anton Bruckner (1824-1896) - ein Anlass für die ÖAW, u.a. von 10. bis 12. April ein internationales Symposion, gemeinsam mit der Österreichischen Nationalbibliothek, zu "200 Jahre Bruckner - 100 Jahre Bruckner-Forschung" zu veranstalten.
Service: Ausblick des Fachjournals "Nature": https://doi.org/10.1038/d41586-023-04044-9)