"Scientists for Future" fordert Trendwende in Raumplanung und Verkehr
Nichthandeln ist keine Option. Dieser Ansicht sind Wissenschafterinnen und Wissenschafter von "Scientists for Future Österreich", die sich am Freitag anlässlich des Klimastreiks in einer Pressekonferenz mit dem Titel "Nach dem Extremwetter - vor der Transformation" zu Wort gemeldet haben. Urgiert wurde etwa eine Trendwende in der Raumplanung und der Verkehrspolitik. "Der Straßenausbau ist eine Klimafalle", hieß es, die Politik sei gefordert, sich aus der Falle zu befreien.
Die von der Wissenschaft seit langem kritisierte, zunehmende Bodenversiegelung wirke etwa bei Extremwetterereignissen als Verstärker, sagte Stefanie Peer, Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und Leiterin des Forschungsinstituts für Raum- und Immobilienwirtschaft. Rund 40 Prozent der versiegelten Flächen in Österreich seien Verkehrsflächen, doch statt eines Rückbaus dominierten Ortsumfahrungen oder neue Autobahnen die Diskussion. Zersiedelung und gleichzeitige Attraktivierung des privaten Verkehrs bildeten "eine Teufelsspirale": "Da müssen wir uns etwas überlegen! Wir brauchen viel kräftigere Raumplanungsgesetze und ein Maßnahmenbündel, das dazu führt, dass Alternativen wie Car Sharing oder öffentlicher Verkehr attraktiver werden und privater Autoverkehr unattraktiver wird."
Gegen die "rapide Ausbreitung der Zersiedelung"
"Ernstzunehmender Bodenschutz bedeutet einen Richtungswechsel in der Politik und klare gesetzliche Richtlinien", sagte Anna-Katharina Brenner, die an der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien zu Siedlungsstruktur und Nachhaltigkeitstransformation forscht und für die Zeit nach 1975 eine "rapide Ausbreitung der Zersiedelung in Österreich" festgestellt hat. Bei der herrschenden Politik werde die Auto-Abhängigkeit der Menschen vergrößert, was etwa ältere Menschen und Betreuungspersonen bei ihren Alltagswegen behindere. "Wir müssen anfangen darüber zu reden, für wen wir in welche Strukturen investieren." Würde man ermöglichen, mehr Alltagswege mit dem öffentlichen Nahverkehr, zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen, "würde das den Menschen einen großen Teil ihrer Wahlfreiheit zurückgeben und die Böden schützen".
Architekt und Stadtplaner Johannes Fiedler plädierte energisch für ein Moratorium beim Straßenbau, der "budgetär und räumlich nicht mehr privilegiert werden" dürfe. Das hochrangige Straßensystem befeuere die bestehenden "suburbanen Siedlungskatastrophen" weiter. Die Fachgruppen "Mobilität und Stadtplanung" und "Bodenverbrauch" der Scientists for Future Österreich, einem Zusammenschluss von über 1800 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aller Disziplinen, haben dazu ein Positionspapier verfasst, in dem "große Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr" gefordert werden - "aber nicht zusätzlich zum Ausbau des Straßennetzes, sondern stattdessen".
Zuckerbrot ist attraktiver als Peitsche
Das werde nicht ausreichen, argumentierte Umweltökonomin Sigrid Stagl von der WU Wien. "Es ist politisch nachvollziehbar, dass Zuckerbrot viel attraktiver ist als Peitsche. Es braucht aber beides!" So solle es etwa Förderungen für neue Busangebote nur bei gleichzeitiger Reduktion privater Kfz-Stellplätze geben. Sowohl weltweit als auch österreichweit seien die Kosten des Nichthandelns langfristig deutlich höher als jene der Transformation. Dabei seien die künftigen Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Menschen noch gar nicht eingerechnet.
Auf diese konzentrierte sich der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter, dem "mittlerweile bald die Worte fehlen", denn die Wissenschaft referiere ihre Erkenntnisse nun seit Jahrzehnten, ohne dass ausreichende politische Schritte die Folge gewesen seien. "Wie die Verantwortlichen reagieren, ist enttäuschend. Die direkten Folgen sind offensichtlich, und auch die indirekten Effekte sind definitiv da." So gebe es nicht nur bei Hochwässern, sondern auch bei Hitzeperioden enorme Schäden. Die üblichen Prognosen zur Zahl "vorzeitiger Todesfälle" seien aber "weit zu kurz gegriffen", da es auch "für die Öffentlichkeit unsichtbare Folgen" gebe, etwa Einbußen an seelischem Wohlbefinden oder an Leistungsfähigkeit. "Diese Herausforderungen bringen unser Gesundheitssystem mittlerweile ans Limit." Auch das aktuelle Hochwasser könne bei Betroffenen und Helfern langfristige psychische Beeinträchtigungen hinterlassen. "Das muss so ernst genommen werden wie technischer Hochwasserschutz und Renaturierung."