Daten zum Kühlen - Forscher diskutieren neuen digitalen Stadt-Ansatz
Von der Digitalisierung der Städte versprechen sich einige eine lebenswerte, effiziente, sichere und klimafitte Zukunft. Ab Montag treffen sich Forscher zu einem Workshop des Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der ETH Zürich in Wien (bis 13.9.), um Chancen und Risiken der digitalisierten Stadt zu erörtern. Experten sehen etwa in inklusiven demokratischen Modellen, die auf das Verhalten von Menschen reagieren, eine Chance, mit Hitze im urbanen Raum umzugehen.
Der Hitzesommer gibt zur Zeit noch eine kleine Ehrenrunde und hält vielerorts die Erinnerungen an die tropischen Nächte noch am Leben. Wie Simulationen dabei helfen können, besser mit extremer Hitze im urbanen Raum umzugehen, zeigt das Projekt "Cooling Singapore", das Gerhard Schmitt, Direktor des Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability in Singapur, leitet. Im Rahmen der Initiative schuf man in der Metropole einen "digitalen Zwilling" der Stadt.
Dieses, die ganze Insel umspannende Computermodell bezieht alle für das Mikroklima relevanten Umweltinformationen, wie etwa Oberflächen, Verkehr, Gebäudeenergie oder industrielle Aktivität, mit ein. Die Simulation erlaubt genauere Prognosen bei der Stadtplanung, dient aber auch dem Schutz von vulnerablen Gruppen vor Hitze. So wird den Einwohnerinnen und Einwohnern seit knapp vier Jahren in Echtzeit Zugang zu den simulierten Vorhersagen für die einzelnen Stadtviertel des Inselstaats geboten.
Von "Smart City" zu "Responsive City"
Man mag dabei an die viel beschworene "Smart City" denken, doch dieses Konzept haben die Forscher um Architekturexperten Schmitt schon seit etwa zehn Jahren hinter sich gelassen, weil der Mensch dabei nur im Zentrum der Überwachung stehe. Man habe sich inzwischen zu "Responsive Citys" weiterbewegt, so Schmitt gegenüber der APA: "Hier steht der Mensch im Zentrum der Aktion" und könne deswegen die Entwicklung der digitalisierten Stadt mitbestimmen.
Die Idee ist, das tagesaktuelle Verhalten der Bevölkerung, von Mobilitätsströmen bis hin zu verkaufter Ware aus Supermärkten, in den Mittelpunkt zu stellen. Anhand der gesammelten Verhaltensdaten und der Hitzesimulationen können Einwohnerinnen und Einwohner etwa jeden Tag einen Stadtklimabericht oder einen Gefährdungs- und Erholungsbericht auf das Smartphone bekommen, statt der herkömmlichen morgendlichen Wettervorhersage. Einerseits würden diese Berichte also direkt auf das Verhalten der Menschen reagieren, andererseits müssten sie auch die Möglichkeit bieten, sofort Feedback zu den Voraussagen zu geben und Verbesserungsvorschläge zu machen, die auch angenommen werden, zum Beispiel durch Korrektur der Simulation. "Das ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von der Smart City zur Responsive City oder dem Responsive Citizen", erläuterte Schmitt.
Unabhängig von sozialen Hintergründen
Gerade bei der Digitalisierung der Stadt dürfe nicht vergessen werden, dass die geschaffenen digitalen Räume für Menschen aller sozialen Hintergründe zugänglich sind. "Das ist heutzutage definitiv nicht der Fall. Genauso wie es in der Demografie der Stadt Segregation gibt, passiert diese im digitalen Raum durch Algorithmen und deren Empfehlungssysteme", ergänzte die CSH-Forscherin Fariba Karimi, die sich mit Ungleichheit in digitalen Räumen beschäftigt, gegenüber der APA. Demokratisierte digitale Räume zu schaffen, ist nicht einfach: "Das erfordert zum Beispiel eine breit aufgestellte Sprachinfrastruktur."
Für Schmitt ist "Cooling Singapore" ein Erfolg, ein Großteil der Bevölkerung des Inselstaates kenne das Projekt mittlerweile: "Das liegt sicher auch daran, dass die Hitze in Singapur schon an die Grenze dessen gekommen ist, was man physiologisch aushalten kann." In Bezug auf Europa hofft der Experte, dass der Leidensdruck in Städten wie Rom, Zürich oder Wien, die laut Studien am stärksten von der Erwärmung betroffen sind, nicht erst so hoch steigen muss, bevor gehandelt wird. Die Umsetzung eines digitalen Zwillings in anderen Städten erscheint zwar aufwendig, sei aber relativ leicht umsetzbar, da der Großteil der nötigen Daten bereits von unterschiedlichen Behörden und Ämtern gesammelt werden. Die Vernetzung jener Daten wäre ein großer Gewinn für effiziente, partizipative Stadtplanung.
Service: Veranstaltung "Co-Creating the Future: Participatory Cities and Digital Governance", 11.-13.9., https://www.participatorycities.net; Podiumsdiskussion "Smart Cities - Digital Zoo or Participatory Society?", 11.9., 16.30 Uhr, Complexity Science Hub & online: https://www.csh.ac.at/event/panel-discussion-smart-cities