Klima-Glossar: Degrowth
Unter dem Begriff "Degrowth" oder "Postwachstum" lassen sich Konzepte zusammenfassen, die auf eine Überwindung wirtschaftlicher Wachstumszwänge sowie damit einhergehend auf einen grundlegenden ökologischen und sozialen Wandel zielen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die Menschheit mit ihrer gängigen Form der kapitalistischen Wirtschaft früher oder später an planetare Grenzen stoßen müsse und daher eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs vonnöten sei.
Postwachstumsbewegung
Die Postwachstumsbewegung bündelt dabei eine fundamentale Kapitalismuskritik mit der Forderung nach einer umweltschonenden Lebensweise. Im Zentrum ihrer Kritik steht das Wirtschaftswachstum bzw. die Art und Weise, wie wirtschaftlicher Output gemessen wird. Verfechterinnen und Verfechter argumentieren, dass mit dem Wachstum ein exzessiver Verbrauch von Gütern und damit ein zu hoher Ausstoß von Emissionen einhergehe. Die an Wachstum orientierte Wirtschaft sei daher stark an negative Umweltauswirkungen gebunden. Um die Folgen der Klimakrise einzudämmen, müsse die Wirtschaft von Emissionen entkoppelt werden, und zwar wesentlich schneller und deutlicher, als dies bisher geschehen ist.
Befürworter von Degrowth trachten aber nicht per se nach einer Überwindung des Wirtschaftswachstums. Sie fordern einen Wandel hin zu bewussteren Formen der Produktion und des Konsums - zu einem "Weniger", das den Materialverbrauch effektiv reduziert und klimaschädliche Ausstöße verringert. Dass die Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) dadurch abnehmen würde, ist nach der Degrowth-Idee ein zwangsläufiges Nebenprodukt, nicht der Leitgedanke. "Es geht nicht um Negativwachstum in einem Wachstumsparadigma, also um eine Rezession, sondern um eine viel breitere Forderung nach einer sozial-ökologischen Transformation", erklärt Corinna Dengler, Ökonomin an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) im Gespräch mit der APA.
Degrowth sehe in der Wirtschaft mehr als ein Bündel von in Geldwerten bezifferbaren Gütern und Dienstleistungen, formuliert es Margarete Haderer von der Technischen Universität (TU) Wien. Die Kritik der Bewegung entspringe auch der Auffassung, dass das BIP weitgehend die Leistung von gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeiten ausklammere, wie sie etwa im Bildungssystem oder in der Pflege erbracht würden. "Die Kritik am BIP liegt darin, dass es indifferent ist bezüglich dessen, welche Güter und Dienstleistungen Wertschöpfung schaffen."
Ökologische sowie soziale Aspekte
Generell wird im Postwachstumsdiskurs neben ökologischen Aspekten auch die soziale Perspektive hervorgehoben. "Die Klimakrise ist nicht nur eine ökologische Krise, sondern auch eine soziale Krise", betont Haderer, schließlich sei die Intaktheit von Ökosystemen zentral für die menschliche Reproduktion. Von durch die Klimakrise zu erwartenden Kippeffekten gehe folglich eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.
Ihren Ursprung hat die Bewegung in den 1970er-Jahren. Schon damals formte sich die Erkenntnis, dass unbegrenztes Wachstum aufgrund endlicher Ressourcen nicht möglich sei und es daher global betrachtet einer nachhaltigeren Wirtschaftsform bedürfe. Prominenz wurde diesem Anstoß 1972 mit dem "Limits to Growth"-Bericht des "Club of Rome" verliehen. Die Postwachstumsbewegung hält das Prinzip heute weiter hoch, grenzt sich aber von anderen zeitgenössischen Klima-Initiativen insofern ab, als sie einen tiefgreifenderen Ansatz verfolgt. Dem ökologischen Modernisierungsgedanken etwa, der auf Emissionsreduktion durch technologische Innovation setzt, hält sie entgegen, dass damit die Wurzel des Problems - eben der Wachstumszwang - nicht behandelt werde.
Existierende Bemühungen, Emissionen zu reduzieren, würden aber auch im Degrowth-Diskurs nicht grundlegend als verwerflich gesehen, wie Haderer anmerkt. So stelle sich aus der Position von Degrowth sehr wohl die Frage, wo technologische Innovationen und Effizienzsteigerungen sinnvoll sind, wie man dies etwa für den Bereich der erneuerbaren Energien argumentieren könne. Nur: Effizienter in Bezug auf Emissionen zu werden, sei angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise nicht genug. "Das ist keine ideologische Position, sondern die ist wissenschaftlich sehr gut unterlegt", hält die Expertin fest.
Die große Herausforderung in Bezug auf die Transformation zur Postwachstumsgesellschaft, darin sind sich mit der Materie vertraute Wissenschafterinnen und Wissenschafter einig, liegt in ihrer praktischen Umsetzung. Eine Änderung von Konsummustern, wie sie von mancher Seite innerhalb des Postwachstumsdiskurses als zentraler Hebel gesehen wird, sei dabei nur eine von vielen Maßnahmen, die es zu setzen gelte. "Wesentlich ist die Umgestaltung der gesellschaftlichen Strukturen", sagt Ernest Aigner von der WU. Das Ziel müsse sein, Abhängigkeiten vom Wachstum zu reduzieren und dafür entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, so der Wirtschaftswissenschafter.
Bewusste Steuerung der Politik notwendig
Generell besteht unter Experten ein weitgehender Konsens darin, dass es einer bewussten Steuerung der Politik bedürfe, etwa indem bestimmte Sektoren gezielt subventioniert und Förderungen von besonders emissionsintensiven Sektoren gestoppt werden. Auch auf Ebene von Unternehmen könne man ansetzen. Viel diskutiert werden sogenannte Postwachstumsunternehmen, die auf Ressourcenschonung setzen und deren Geschäftsmodell nicht primär auf Profitmaximierung ausgerichtet ist.
Trotz der enormen Anstrengungen, die für eine Umsetzung des Postwachstumsprojekts erforderlich wären, wird betont, dass keine komplette Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse vonnöten sei. "Es braucht nicht die Revolution, um Degrowth in die Praxis zu bringen", meint Dengler.