Experte: Gut begleitete Auslandsaufenthalte wirken meist positiv
Mit der richtigen Unterstützung sei der Weg ins Ausland für Studenten meistens eine positive Erfahrung und stoße Persönlichkeitsveränderungen an, die im Studium und in der weiteren beruflichen Laufbahn vorteilhaft sein können. So fasst der Bildungsforscher und Hochschulberater Uwe Brandenburg im Gespräch mit APA-Science wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Internationalität und Mobilität zusammen. Über die Effekte von Auslandsaufenthalten gebe es allerdings noch viel herauszufinden.
"Bei Internationalisierung haben wir insgesamt das Phänomen, dass jeder ungefähr zu wissen glaubt, was da los ist, was es ist und was es bewirkt", erklärte der Experte von CHE Consult. Man gehe eigentlich immer davon aus, dass sie Gutes bewirkt - "man weiß es aber nicht genauer".
Hochschulen hätten vielleicht anekdotisches Wissen oder würden Fragen zu Lernerfahrungen und Zufriedenheit stellen. Möchte man aber mehr über Lernerfolge oder die Persönlichkeit der mobilen Studenten und Forscher und deren Veränderung herausfinden, brauche es mehr als statistische Auswertungen und das Abfragen von Selbsteinschätzungen. In der jüngeren Vergangenheit ortet der Berater zunehmendes Interesse daran, welche Prozesse ablaufen, welche Veränderungen angestoßen werden und was die Effekte dieser Entwicklung sind.
Internationalität bedeutet auch Diversität
Die Hochschulen beschäftigen sich logischerweise damit, wie sie Internationalisierung vorantreiben können, um etwa bestimmte Studenten oder Wissenschafter anzuziehen. Sie sind zudem daran interessiert, wie ihre Services und Angebote besser auf die zunehmende Diversität ihrer Studenten und Mitarbeiter ausgerichtet werden können. "'International' bedeutet eben auch divers. Das bedeutet wiederum, ich kann nicht mehr von einem traditionellen Studierenden ausgehen und auf diese Gruppe ausgerichtete Lehre anbieten", so Brandenburg.
Die Frage von Effekten von Internationalisierung verfolge man bei CHE Consult - einer Ausgründung aus dem CHE in Berlin - seit einigen Jahren. In einem Projekt beschäftigt man sich damit, wie sich Studenten an Studien anpassen und umgekehrt. "Da stellt man fest: Es gibt Gewinner und Verlierer." Mit "klug und dumm" habe das allerdings wenig zu tun. Man sehe etwa, dass internationale Studierende häufig mit sehr hoher Motivation ankommen, sich besonders stark mit der Hochschule identifizieren und anfangs bessere Noten haben. "Diese Vorteile verlieren sie häufig über das Studium hinweg. In Deutschland verlässt dann die Hälfte das Studium, bevor sie ihren Abschluss machen. Und das ist meiner Einschätzung nach nicht wirklich effektiv", wie es Brandenburg ausdrückt.
Weit verbreitet sei die Annahme: "Wir schicken die Leute einfach irgendwo hin und dann kommen sie gestärkt ins Leben zurück. Das glaubten wir einfach mal - das wussten wir bisher aber nicht!" Man habe daher eine Methode entwickelt, um das wissenschaftlich zu überprüfen, die nun unter dem Namen "memo" Hochschulen angeboten wird, so der Berater. Damit lasse sich abschätzen, wie sich Persönlichkeitsmerkmale der Studenten verändern und wie das mit ihren Wahrnehmungen an der Universität und den Leistungen der Hochschulen im Bereich Services usw. zusammenhängt.
Andere Orientierung schon vor Auslandserfahrung
Unter Verwendung dieses "Werkzeugs" wurde auch die EU-Studie "ERASMUS Impact Study" durchgeführt, die laut Brandenburg vor allem zwei Erkenntnisse brachte: "Zum einen sind die Leute, die ins Ausland gehen, substanziell anders, als die, die nicht gehen". Sie sind demnach offener, interessierter und zuversichtlicher. Das habe man schon immer vermutet, konnte es aber nicht anhand von Daten nachweisen. "Schon die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, wird also von der Persönlichkeit geprägt", hält der Forscher fest.
Die zweite wichtige Erkenntnis war, dass sich die Persönlichkeitsmerkmale, die für eine Orientierung in Richtung Internationalität wichtig sind, nur sehr langsam verändern. "Das heißt: Wenn ich will, dass sich ein Mensch international orientiert, dann muss ich eigentlich schon in der Schule damit anfangen." Klar wurde außerdem, dass sich die Persönlichkeitsmerkmale wie Toleranz oder Selbstvertrauen im Durchschnitt verstärken, wenn und je länger sie im Ausland studieren.
Sozialer Hintergrund entscheidet mit
Es gebe aber auch Menschen, denen ein Auslandsaufenthalt weniger gut tut. Brandenburg: "Eine junge Frau mit bildungsbürgerlichen Hintergrund wird statistisch gesehen bei so ziemlich jeder Maßnahme gewinnen. Bei einem jungen Mann, aus einem nicht-akademischen Bildungshintergrund kommt, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass er verliert. Vor allem, wenn ich ihn nur kurz schicke und in der Phase des Kulturschocks wieder nach Hause schicke, ohne dass er die Erfahrung machen konnte, stark genug zu sein, den Schock zu überwinden."
Bei letzterem sei der Erfolg viel stärker von begleitenden Faktoren, wie der richtigen Betreuung, dem Wissen darüber, was einen ungefähr erwartet, usw. abhängig. Bei dem Mädchen aus bürgerlichem Hause haben vielleicht schon die Eltern ähnliche Erfahrungen gemacht und sie auf eine mögliche Krise dort bereits vorbereitet. Sie ist also durch ihren Hintergrund vor negativen Effekten besser geschützt. "Die soziale Selektion hat eben auch bei Internationalisierung Auswirkungen", erklärt der Forscher.
Selektive Stärkung der Besserqualifizierten?
"Am Ende des Tages ist es nicht nur so, dass der Mensch sich verändert, diese Aspekte sind auch berufsrelevant." Das wisse man aus umfangreichen Befragungen von mehr als 650 Unternehmen europaweit. Genau an diesem Punkt stellen sich wichtige Fragen zur Selektion und Chancengleichheit: "Denn eigentlich sind schon die Leute, die ins Ausland gehen, besser berufsqualifiziert, als die die nicht gehen. Das heißt, um die anderen müsste man sich als Hochschule eigentlich viel stärker kümmern. Zweitens: Die bereits besser Qualifizierten verbessern sich dann auch noch durch den Auslandsaufenthalt", gibt Brandenburg zu bedenken.
Einen ausgleichenden Effekt habe man auch gefunden: Studenten, die in einigen Aspekten nicht so hohe Werte aufwiesen, profitierten besonders von dem Auslandaufenthalt und erreichten danach ähnlich hohe Werte wie die anderen.
Entwicklungs-Beschleuniger
Auch wenn die Veränderungen in diesen Persönlichkeitsmerkmalen nicht sehr groß ausfallen, entsprechen sie doch etwa einer Entwicklung, für die es sonst im Schnitt ungefähr vier Jahre brauche. Die Auslandserfahrung wirkt also als Entwicklungs-Beschleuniger.
Das Fazit sei, "dass es sich lohnt, jeden Einzelnen - gefördert und unterstützt - zu mobilisieren. Das macht ihn auf jeden Fall zu jemandem mit einem breiteren Horizont", so Brandenburg. Und für die 90 Prozent, die wohl nie eine Auslandserfahrung machen werden, sei es umso wichtiger Internationalisierungserfahrungen an der Heimathochschule zu ermöglichen, beispielsweise durch Gaststudierende, interkulturelle Trainings und Ähnliches mehr. "Da tun viele Hochschule schon sehr viel, nur wusste man bisher eben nicht, wem welche Maßnahme etwas bringt", gibt Brandenburg zu bedenken.
"Messung von Internationalisierung" liegt im Trend
Derart tief gehende Analysen seien im Hochschul-Sektor noch kaum verbreitet, entsprechend groß sei das Entwicklungspotenzial. Vor allem, da es genau solche Informationen auch auf der Ebene der einzelnen Uni über mehrere Jahre hinweg brauche, um Fördersysteme abzustimmen. Insgesamt sei das Thema "Messung von Internationalisierung" in der Hochschullandschaft gerade "in".
Ein oberflächlicher Vergleich mit dem oft als Vorreiter auf dem Gebiet der Internationalisierung bezeichneten angelsächsischen Raum mache jedenfalls kaum Sinn. Viel aufschlussreicher als der Standort einer Hochschule sei ein Hinterfragen der Motivation und der Organisationskultur im Zusammenhang mit Mobilität.
Viele Hochschulen verfolgen mit Internationalisierung ganz klar die Strategie, finanzstarke Studenten aus aller Welt anzuziehen, die hohe Studiengebühren zahlen können - und zwar nicht nur in den USA oder Großbritannien. Bei derart klarer Ausgangslage komme es eher selten zu Konflikten, was die Umsetzung und den Umgang mit Internationalität betrifft. In dem anderen hochschulischen Kulturkreis mit stärkerer Orientierung an Zusammenarbeit, Verständnis oder Kulturdiplomatie werde es dann problematisch, wenn das Thema ohne echtes Interesse vorangetrieben wird. Hier sei es wesentlich notwendiger, die formulierten Ziele dann auch mit Maßnahmen zu unterlegen und diese auf ihre Effekte hin zu kontrollieren. Dazu brauche es eben mehr als Zufriedenheitsbefragungen.
Internationalisierung - sei es als Mobilität oder daheim - fördere jedenfalls in vielen Fällen die Persönlichkeitsmerkmale, die später im Beruf hilfreich sind. Daher darf es nicht eine Aktivität für eine privilegierte Minderheit sein, sondern muss weitere Kreise ziehen. Und dazu müsse man breit angelegt in der Schule beginnen, denn "was wir in der Schule säen, ernten wir im Studium", resümiert Brandenburg.
Von Nikolaus Täuber / APA-Science