Forscher basteln Notfallleitsystem für Tierärzte
Geht es nach Experten von der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmed) Wien, können künftige Nutztierärzte auf Algorithmen zum Erkennen potenzieller schwerer Geburten bei den tierischen Patienten oder ein "Notfallvermittlungssystem" zurückgreifen. Das Potenzial des Blickes in den Stall mittels Sensoren oder Kamerasystemen gepaart mit wissenschaftlicher Herangehensweise soll auch helfen, die mitunter engen ärztlichen Ressourcen in entlegenen Regionen besser einzusetzen.
Man arbeite verstärkt daran, die Möglichkeiten der Digitalisierung auch in praktische Anwendungen im veterinärmedizinischen Bereich umzumünzen, erklärte Vetmed-Rektorin Petra Winter bei einem Pressegespräch in Wien. Illustriert wurde das u.a. mit einer Kuhstall-Miniatur in Desktop-Größe. Ersonnen hat das mit Plüschkühen auch kindertauglich ausgestattete Anschauungsmaterial Peter Roth von Institut für Computational Medicine.
Sensoren 24/7 im Einsatz
Schon eine einfache Webkamera sowie ein Temperatur- und Luftfeuchtigkeitssensor kann interessante Einsichten in die Abläufe liefern. Winter: "Niemand kann 24 Stunden, sieben Tage die Woche im Stall stehen, ein Sensor aber schon." Aus direkt am Betrieb erhoben Daten können Viehzüchter technologieunterstützt Hinweise in Form "einfacher Kurven" erhalten, um welche Tiere es vielleicht nicht gut bestellt ist oder wo sich eine Geburt ankündigt. Im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte versuchen Wissenschafter dieses Potenzial zu heben. Interesse vor allem seitens größerer Betriebe sei jedenfalls gegeben, für den Einstieg reiche aber auch ein handelsübliches Smartphone, betonen die Experten.
So arbeiten Roth und Kollegen zur Zeit etwa im Rahmen der Initiative "eHealth@vetmed" an den Grundlagen eines "Notfallvermittlungssystems". Im Forschungsprojekt "HOLSTEIN" wird das für Niederösterreich durchgespielt. Ziel ist ein Verbund, bei dem Informationen, etwa über Krankheitsverdachtsfälle auf einem Hof über eine App an ein an das Leitsystem von Rettungsdiensten angelehntes neues System gemeldet werden. Dort erfolgt eine Ersteinschätzung durch Experten und Informationen an Tierärzte über die Dringlichkeit eines Problems.
Begrenzte Zeitressourcen besser nutzen
So will man die in machen Regionen des Landes begrenzten Zeitressourcen von Tierärzten besser nutzen. Denn vielfach sind es lange Fahrtstrecken, die es den Praktikern erschweren, auch entlegene Höfe optimal zu versorgen. Auch im tierärztlichen Bereich beobachte man selbstverständlich eine "Urbanisierung", so Winter. Insgesamt rund die Hälfte der in etwa 200 Vetmed-Absolventen jährlich würden sich zur Zeit im Nutztierbereich spezialisieren. Die Studienplätze konnte man kürzlich auf 223 erhöhen.
"Durch den Einsatz digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz in der Tiermedizin möchten wir die Entwicklung des tierärztlichen Berufsstands vorantreiben", so Winter. Die neuen Tierärzte-Generationen seien zudem "sehr technikaffin", zeigte sich die Rektorin überzeugt.
Was sich aus Bewegungsdaten - zum Beispiel aus der Frequenz des Wiederkauens bei Rindern - an Informationen für Prävention oder Diagnose herausextrahieren lässt, erforscht u.a. ein Team um Michael Iwersen von der Universitätsklinik für Wiederkäuer in einem neuen Doktoratskolleg namens "Precision Livestock Farming". Als Versuchslabor dient hier u.a. die "VetFarm" in Kremesberg (NÖ). Dort wird zum Beispiel mit Kamerasystemen beobachtet, wie oft die Tiere sich hinlegen, herumstapfen, den Schwanz heben oder sich von der Herde absentieren - letztere Verhaltensweisen sind Hinweise auf bevorstehende Geburten. Wissen Viehzüchter und Tierarzt frühzeitig, wo sich problematische Entbindungen ankündigen, können Mutter- und Jungtiere besser geschützt werden, sagte Iwersen. Dafür entwickeln die Forscher gerade Vorhersagealgorithmen.
Auch an den Ohren von Kühen angebrachte Beschleunigungssensoren, die von dem Team mitentwickelt und eingesetzt werden, können etwa einen "Abfall der Wiederkäuertätigkeit" anzeigen, der etwa auf Verdauungserkrankungen bei den Tieren hinweist. Diagnosen könnten so um zwei bis drei Tage früher gestellt werden. Wie überall, wo Daten erhoben werden, müsse jedoch sichergestellt werden, dass sie nicht missbräuchlich verwendet werden, so die Experten. Die Informationen sollten daher an den Höfen bleiben und nur bei Bedarf geteilt werden.
Service: https://www.vetmeduni.ac.at