Forschungsinstitut lässt Doktoranden rotieren
In einem internationalen Forschungsinstitut nahe Wien lässt man neue Doktoranden etwas machen, das andernorts als Zeit- und Ressourcenverschwendung angesehen wird: Sie dürfen sich nicht gleich in "ihr" Spezialgebiet verbeißen, sondern rotieren zuerst durch mindestens drei verschiedene Forschungsgruppen , um kleinere Projekte durchzuführen. Das Institut of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg habe beste Erfahrungen damit gemacht, ebenso die Jungforscher.
Das eigene Projekt
"Eigentlich bin ich gelernter Mikrobiologe und Biochemiker, aber durch dieses Rotationssystem in ein ganz anderes Thema gerutscht, nämlich Evolutionsbiologie und Verhaltensforschung bei Ameisen", erklärt Lukas Lindorfer, der in der Forschungsgruppe von Sylvia Cremer als Doktorand (PhD-Student) mituntersucht, wie die sozialen Insekten Krankheiten als kooperative Einheit bekämpfen. Die Forschungsfrage für die Doktorarbeit ist "ganz seine", sagt er: "Sie ist wirklich genau auf meine Erfahrungen, Fähigkeiten und Interessen zugeschnitten." Er sieht sich im Vorteil gegenüber seinen früheren Studienkollegen, die auf dem üblicheren Pfad an anderen Instituten zu ihrem Doktoratsforschungsprojekt gekommen sind: Indem sie sich auf eine Ausschreibung hin beworben haben, ein teils sehr detailliert von den leitenden Forschern vorgeplantes Projekt zu übernehmen. "Es fühlt sich wirklich gut an, dass das Projekt mein Projekt ist und nicht die Idee eines anderen, die ich "nur" umsetze."
In mehrere Labors schnuppern
"Bei diesen Rotationen führen die PhD-Studierenden jeweils zwei Monate lang kleinere Forschungsprojekte durch", sagt Maria Trofimova, Leiterin des Graduate School Office am ISTA im Gespräch mit APA-Science: "Und zwar in mindestens drei verschiedenen Forschungsgruppen hintereinander." Physiker können dabei in die Zellbiologie schnuppern, Computerwissenschafter in die Astroseismologie. "Indem sie es tatsächlich ausprobieren, können sie sehen, ob ihnen die Wissenschaft gefällt, die in der Gruppe betrieben wird, und es etwas ist, das sie mehrere Jahre lang intensiv tun möchten", erklärt sie: "Dabei interagieren sie nicht nur mit dem Forschungsgruppenleiter, sondern auch zum Beispiel mit den Postdocs, Technikern und anderen Studierenden im Labor." Sie können abschätzen, ob ihnen die Atmosphäre in der Gruppe gefällt, und umgekehrt können sich die Leute, die dort schon arbeiten, ein Bild machen, wie engagiert, interessiert, schlau der oder die "Neue" ist, und ob er oder sie zum Team passt.
Das Rotationssystem möglich macht eine weitere Besonderheit des ISTA, so Trofimova: "Wir sind ein Institut mit eigenem Promotionsrecht." Die Doktoranden müssen sich daher nicht, wie es bei vielen anderen Forschungsstätten in Europa nötig ist, zusätzliche Betreuer an einer Universität suchen, die mit dem Thema zumindest ansatzweise vertraut sind. "Das erspart uns nebenbei viel Bürokratie", meint sie.
Aufwändiger Ausleseprozess
Nicht unkompliziert ist allerdings die Arbeit, die sich die Menschen am ISTA auferlegen, um ihre künftigen PhD-Studierenden unter jährlich 3.000 Bewerbenden auszuwählen. "Die Besten davon zu selektieren, ist definitiv nicht einfach", sagt Trofimova: Nicht jeder der Fakultätsmitglieder kann sämtliche Bewerbungsunterlagen durchackern, also werden sie unter jenen aufgeteilt. Es gibt einen "komplizierten Algorithmus", um sie zu bewerten. "Es ist bei uns nicht so, dass sich einzelne Professoren und Professorinnen die Doktoranden und Doktorandinnen herauspflücken", erklärt sie: "Dann gibt es mehrere Treffen der Fakultätsmitglieder und es wird besprochen, wer zu Interviews eingeladen wird." Das sind jedes Jahr 200 bis 300 talentierte Jungspunde. In den Zeiten der Covid-19-Pandemie habe man gelernt, sie online durchzuführen, zuvor wurden alle von ihnen eingeladen. "Das spart den Bewerbern viel Zeit und schont Umwelt sowie Klima", sagt sie.
Sehr viel Freude mache den Bewertern übrigens ein aussagekräftiges Empfehlungsschreiben. Es muss nicht von einem berühmten Wissenschaftsstar sein, der schwärmt, er habe hier das größte Forschertalent seit Einstein vor sich. Trofimova dazu: "Viel lieber ist uns ein genaues Bild, dass uns vielleicht ein Postdoc zeichnet, der mit dem Jungforscher wirklich zusammengearbeitet hat, der seine Fähigkeiten und Talente genau beschreibt." Schließlich gibt es einen "Besuchertag", wo alle Bewerber mit einer Zusage das ISTA inspizieren, die Professoren treffen und die Labore ansehen können. "So ermöglichen wir ihnen hoffentlich, eine informierte Entscheidung zu treffen, wo sie viel Zeit in den darauffolgenden Jahren verbringen werden", erklärt sie.
Erfahrung wird geschätzt
"Tatsächliche Laborerfahrung wird auch sehr geschätzt, sie ist aber keine Voraussetzung", sagt Trofimova: "Vor allem die Professoren in den Lebenswissenschaften sind sehr glücklich, wenn ein Student im Labor gearbeitet hat und weiß, wie experimentelle Forschung organisiert wird." Sie empfiehlt den Studierenden deshalb, vorab Forschungs-Praktika zu machen.
Für ein Doktoratsstudium am ISTA auch erlässlich ist ein voriger Master-Abschluss. Bachelors werden gleichberechtigt in die Graduate School aufgenommen. "70 Prozent unserer Studierenden aus mehr als 70 Ländern haben einen Master-Abschluss, und 30 Prozent 'nur' einen Bachelor-Abschluss", so Trofimova. Einer von der 30-Prozent-Gruppe ist Lukas Lindorfer, der ursprünglich Kindergartenpädagoge war und im zweiten Bildungsweg die Biologie wählte. Dazu gebracht hatte ihn übrigens die Mutter eines der Kinder, die er betreute. Sie war ISTA-Forscherin. "Ich mag auch die super-internationale, vielfältige Umgebung hier", sagt er: "Es sind lauter Leute, die sich wirklich tief in ein Thema hineinstürzen und darin aufgehen." In solch einer Gemeinschaft zu forschen nennt er "sehr cool und inspirierend".
Voll beschäftigt
Die PhD-Studierenden werden vom Institut übrigens "fully employed", also "vollbeschäftigt". Nicht (nur) mit der Arbeit im Labor, sondern sie bekommen eine Vollanstellung für fünf Jahre. Lindorfer hebt den Daumen: "Damit kann man sich ohne finanzielle Sorgen auf seine Forschung konzentrieren."
Die Bewerbungsfrist für den nächsten Jahrgang an der ISTA Graduate School begann im September und endet am 8. Jänner 2024 (15 Uhr).
(Diese Meldung ist Teil einer Medienkooperation mit dem Institute of Science and Technology Austria.)
Das könnte Sie auch interessieren
Partnermeldung
CD-Labor für patient:innenzentrierte Brustbildgebung eröffnet
Partnermeldung
Leobener Forscherteam entwickelt revolutionäre Methode zur gefahrlosen Speicherung von Wasserstoff
News