Lehrpläne - AHS-Lehrer warnen vor "Gesinnungsterror" durch Reform
Mit dem Schuljahr 2023/24 bekommen Volks- und Mittelschulen sowie AHS-Unterstufen neue Lehrpläne, im Herbst soll die Verordnung kommen. Doch schon die nun vom Bildungsministerium vorgelegten gesetzlichen Vorarbeiten sorgen für Unmut bei der AHS-Gewerkschaft. Im Gesetzesentwurf ist die Umstellung auf kompetenzorientierte Lehrpläne vorgesehen, was eine "nachvollziehbare Kommunikation" auch über die Leistungsbeurteilung ermöglichen soll. Die Lehrer warnen vor "Gesinnungsterror".
Diese Meldung wurde aktualisiert. Neu: Reaktion SPÖ (5. und 7. Absatz)
Kompetenzen sind laut den Begriffsbestimmungen des Gesetzes "verfügbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten", die die Schüler dazu befähigen, "Aufgaben in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsbewusst zu lösen und die damit verbundene motivationale und soziale Bereitschaft zu zeigen". Die geplante Umstellung auf kompetenzorientierte Lehrpläne soll nun laut den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf "eine transparente und nachvollziehbare Kommunikation zwischen den Beteiligten über den Unterricht, die zu erwerbenden und tatsächlich erworbenen Kompetenzen und erbrachten Leistungen und damit letztlich auch über die Leistungsbeurteilung" ermöglichen.
Die AHS-Lehrer sehen darin die Vorgabe, Verantwortungsbewusstsein und soziale Bereitschaft - "oder anders formuliert, das Verhalten der Schüler" - in die Benotung einzubeziehen. "Die AHS-Gewerkschaft lehnt aber die offenbar geplante Verknüpfung dieses Kompetenzkonzepts mit Leistungsbeurteilung mit aller Entschiedenheit ab, da das Gesinnungsterror Tür und Tor öffnet."
Im Unterricht an Verantwortungsbewusstsein arbeiten
Im Bildungsministerium betont man unterdessen gegenüber der APA, dass die Begriffe "verantwortungsbewusst" und "soziale Bereitschaft" sich genau so in der bereits geltenden Kompetenz-Definition der Bildungsstandards fänden und nun wegen der geplanten kompetenzorientierten Lehrpläne auch in der Schulrechtsnovelle verankert werden müssten. "Dass 'Verantwortungsbewusstsein' und 'soziale Bereitschaft' nicht Teil der Leistungsbeurteilung sein sollen, ist auch im Sinne des Bildungsministeriums", wird in der Stellungnahme klargestellt. Sehr wohl solle im Unterricht aber an der Entwicklung von "Verantwortungsbewusstsein" und "sozialer Bereitschaft" gearbeitet werden, um junge Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. "Begutachtungen von Gesetzesentwürfen sind auch deshalb sinnvoll, damit derartiges Aspekte diskutiert und Klarstellungen getroffen werden können."
SPÖ-Bildungssprecherin Petra Vorderwinkler plädiert angesichts der "nachvollziehbarer Weise" entstandenen Irritationen per Aussendung für "eine gesetzliche Klarstellung, dass Benotungen auch in Zukunft nicht zu einem Willkürakt werden, wo nach Geschmack und Sympathie, nach der Frage, wer ist brav und wer nicht, entschieden werden soll, welche Note in Mathematik angebracht erscheint".
Schüler-Schüler-Gespräch umstritten
Skeptisch zeigen sich die AHS-Lehrer auch beim Plan, den Schulversuch zum Schüler-Schüler-Gespräch bei der mündlichen Fremdsprachen-Matura ins Regelschulwesen zu überführen. Die Entscheidung darüber, ob im Dialog-Teil anstelle des Gesprächs mit dem Lehrer eine Schüler-Diskussion stattfindet, müsse beim unterrichtenden Lehrer liegen.
Der Katholische Familienverband verwehrt sich ebenfalls dagegen, das Schüler-Schüler-Gespräch als verbindliches Prüfungselement zu sehen. Außerdem warnen sie davor, in der Volksschule in der Grundstufe II (3. und 4. Klasse) eine lebende Fremdsprache als Pflichtgegenstand festzulegen. Dies könnte zu Überfrachtung und Notendruck führen. Auch SPÖ-Bildungssprecherin Vorderwinkler bereitet dieser Punkt Sorge: Wenn Volksschulkinder bei Abschluss der vierten Klasse in Zukunft in Englisch per Ziffernnote bewertet werden (derzeit wird nur die Teilnahme am Englisch-Unterricht vermerkt, Anm.), sei der nächste Anlauf für soziale Selektion nach der Volksschule zu vermuten. Überhaupt sei es schade, dass an der Ziffernnoten-Pflicht in der Volksschule festgehalten werde. "Viel besser wäre es, sich endlich von diesem Zwang zu verabschieden und stattdessen endlich die gemeinsame Schule der sechs bis 14-Jährigen zu realisieren. Das würde den Kindern und Eltern unheimlich viel Druck nehmen."
Gesetz statt Verordnung gefordert
Die Gymnasiallehrer sind außerdem dagegen, dass Minister Faßmann (ÖVP) nur per Verordnung die Einbeziehung der Jahresnote in die Maturanote vorschreibt. Wegen der Wichtigkeit der Maturanoten brauche es dafür breiten politischen Konsens und daher ein Gesetz. Die Regeln müssten außerdem bei "Mündlicher" und "Schriftlicher" gleich sein.
Die Wirtschaftskammer ist hingegen ganz generell gegen die Einbeziehung der Jahresnote in die Note der mündlichen Prüfung. Der teilzentrale Aspekt (zentral vorgegebene schriftliche Klausuren, von Schulen vorgegebene mündliche Prüfungen) werde dadurch noch weiter verwässert. Vielmehr solle in eine Optimierung der Zentralmatura investiert werden, um den Schülern "ein ehrliches Ergebnis ihrer schulischen Laufbahn zu geben und somit die Schulen zu verlässlichen Partnern für Wirtschaft und Hochschulen zu machen". Auch der Zentralausschuss der Lehrer an Berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) pocht "im Interesse aller Schulpartner" darauf, dass es nicht zu permanenten Änderungen bei der gesamthaften Beurteilung kommt.