Corona - Forscherin: Sehen bei Tierinfekten nur "Spitze des Eisbergs"
Das Coronavirus stammt nicht nur aus dem Tierreich, es kann Tiere auch wieder infizieren. Forscherinnen und Forscher der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmed-Uni) und des Complexity Science Hub (CSH) Vienna haben erstmals internationale Daten zusammengetragen, um das epidemiologische Geschehen im Tierreich abzubilden. SARS-CoV-2 könne zu einer Gefahr unbekannter Größe für die Tiergesundheit werden, so Studienleiterin Amélie Desvars-Larrive.
Wahrscheinlich sei SARS-CoV-2, das Covid-19 verursacht, in mindestens zwei Fällen von wilden Tieren am Huanan-Markt im chinesischen Wuhan auf Menschen übertragen worden, schreiben die Forscher im Journal "Scientific Data". Dass es vom Menschen aus wieder ins Tierreich zurückschwappen kann, wurde erstmals im Februar 2020 bestätigt: Ein Hund in Hong Kong hatte sich durch seinen Besitzer mit dem Virus infiziert.
Umfangreiche Daten zu Corona-Infektionen in der Tierwelt habe es bisher allerdings nicht gegeben, berichten die Forscher. Die "SARS-ANI" genannte Datensammlung, in die Fälle aus zwei Meldesystemen Einzug fanden, soll nun ein klareres Bild der epidemiologischen Lage im Tierreich, dort vorkommender Varianten und Ansteckungswege sowie der Verbreitungsgefahr, die von Tieren ausgeht, ermöglichen.
Bisher in 26 Spezies entdeckt
Das Virus bzw. die Antikörper wurden in 26 Spezies, die zu 14 Tierfamilien gehören, entdeckt, berichtete Desvars-Larrive, die an der Vetmed-Uni und dem CSH forscht, der APA. Die gefundenen Corona-Varianten ähnelten jenen, mit denen sich Menschen infizierten. Corona-Symptome konnten asymptomatisch bis heftig ausfallen und ebenfalls jenen infizierter Menschen ähneln. Die Case Fatality Rate (CFR) oder Fallsterblichkeit, die angibt, wie viele mit dem Coronavirus infizierte Tiere einer Tierart sterben, sei niedrig. Die Zahl der gemeldeten Infektions-Events unter Tieren würde hingegen stetig steigen, ein Plateau sei aber sichtbar - wahrscheinlich, weil unter Menschen wie Tieren weniger getestet werde, meinte Desvars-Larrive.
Geografisch zeigen sich Unterschiede in der Verteilung der insgesamt 704 gemeldeten Infektions-Events - Tiere, die sich etwa im gleichen Haushalt infizierten, wurden zu einem "Event" zusammengefasst. Diese häufen sich vor allem in den USA, wo 284 Events gefunden wurden. Keine Daten gibt es aus Österreich. Die Studie zeige jedoch nicht die tatsächliche Verteilung von Tier-Infektionen. Viele würden nicht auffallen oder nicht gemeldet werden, so die Forscherin. Gibt es in einem Land beispielsweise keine Ressourcen, um Menschen zu testen, hätten auch Tier-Tests keine Priorität. "Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs", stellte Desvars-Larrive fest.
Nicht nur die geografische Verteilung der Fälle, auch die betroffenen Tierarten lassen sich mit der Datensammlung nicht realitätsgetreu abbilden - Grund dafür seien ebenfalls unterschiedliche Teststrategien. So wurden etwa Nerze sehr häufig getestet, weshalb die Forscher hier 187 Infektions-Events zählten und eine Vielzahl an Varianten fanden. Sehr anfällig für eine Infektion seien hingegen etwa Großkatzen.
Kontrollmechanismen bei Wildtieren kaum möglich
In 46 Prozent der Fälle steckten sich Tiere bei Menschen an, nur in 2,6 Prozent von anderen Tieren. In 51 Prozent der Fälle wurde der Ursprung der Infektion nicht bekanntgegeben. Dass sich Tiere von Menschen anstecken sei immer noch eine Seltenheit, warf Desvars-Larrive ein. Nur manche Tiere - etwa Nerze und Katzen - können das Virus auf Menschen übertragen, andere lediglich auf andere Spezies oder Artgenossen. Wieder andere - zum Beispiel Hunde - stecken sich zwar an, verbreiten das Virus aber nicht weiter. Worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind, sei bisher nicht geklärt, so Desvars-Larrive.
Was kann nun gegen tierische Coronafälle unternommen werden? Kontrollmechanismen wie Quarantäne, Impfung oder auch das Töten der Tiere käme vor allem bei Haustieren in Frage. Bei Wildtieren sei das schwerer umzusetzen. Hier bestehe die Gefahr, dass Wildtiere dem Coronavirus für einige Zeit als Wirt dienen, dabei neue Varianten entstehen und das Virus aus diesem Reservoir wieder auf Menschen und andere Tiere überspringt.
Gefährlich könne dieses Szenario nicht nur aus epidemiologischer Sicht, sondern auch für das Wohl der Tiere werden. Ein Umschwung der öffentlichen Meinung könnte dazu führen, dass Menschen sich nicht nur von der Erhaltung der Wildtiere abwenden, sondern potenzielle Coronavirus-Träger sogar töten. "Wir müssen uns erinnern, dass SARS-CoV-2 nicht nur eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit, sondern auch eine Gefahr unbekannter Größe für Tiergesundheit sowie Tierschutz darstellt", meinte Desvars-Larrive und plädierte dafür, die Beziehungen zwischen der Gesundheit von Menschen, Tieren und ihrer gemeinsamen Umwelt bei Pandemie-Maßnahmen zu berücksichtigen.
Service: https://doi.org/10.1038/s41597-022-01543-8, Visualisierung der Daten: https://vis.csh.ac.at/sars-ani
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