Forscherin: Politik muss verlorenes Vertrauen zurückgewinnen
Der erneute bundesweite Lockdown bedeute für viele Menschen im Land "eine echte Katastrophe", so die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack zur APA. Vielfach müsse nun das Vertrauen in Maßnahmen und politische Entscheidungsträger erst wieder aufgebaut werden. Gegen das fortschreitende gesellschaftliche Auseinanderdriften brauche es ein faires, effektives und schlüssiges Maßnahmenpaket - und mehr als nur eine Entschuldigung, so die Forscherin.
Die Politik sollte nach dem pandemischen Schlingerkurs danach trachten, wieder Vertrauen in sich und die angeordneten Maßnahmen aufzubauen. Denn auch unter jenen 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung, die grundsätzlich einsehen, dass es Eindämmungsmaßnahmen gegen das SARS-CoV-2-Virus braucht und die sich auch daran halten würden, gebe es mittlerweile einige Menschen, die durch das verkorkste Pandemiemanagement abgeschreckt würden, so die Forscherin von der Universität Wien, die federführend am Austrian Corona Panel Project (ACPP) mitarbeitet.
Zustimmung zu einer Impfpflicht gestiegen
Grundsätzlich gebe es aber immer noch Verständnis. Im Zuge der wiederkehrenden Erhebungen sehe man etwa, dass in den vergangenen Monaten die Zustimmung zu einer Impfpflicht gestiegen sei. Eine allgemeine derartige Impfpflicht unterstützten im Oktober bereits rund 40 Prozent der Befragten - "das ist sehr viel", sagte Prainsack. Auch 3G am Arbeitsplatz oder 2G bei Veranstaltungen oder der Gastronomie werde in der Regel viel Zustimmung entgegengebracht. "Unter den Geimpften gab es eine hohe Zustimmung zum Boostern."
Das Einhalten von Maßnahmen sei aber keine Ja/Nein-Frage. Bis Anfang November wurden im Rahmen einer Solidaritätsstudie Interviews mit zahlreichen Menschen geführt. Hier zeige sich, dass "immer das Maßnahmenpaket als Ganzes bewertet wird". Wird dieses als fair, effektiv und in sich schlüssig verstanden, gebe es eher Bereitschaft zur Einhaltung, so die Wissenschafterin. Verbessert wird das, wenn das Vertrauen in die politische Elite möglichst hoch ist.
Starke Polarisierung zwischen Werthaltungen
Aber gerade letzteres befindet seit dem Frühsommer 2020 im Sinken und sei mittlerweile in einem "katastrophalen Zustand". Das habe viel mit der Kommunikation zu tun, aber auch damit, dass "das Maßnahmenbündel überhaupt nicht mehr als fair, effizient und schlüssig wahrgenommen wurde". Außerdem sehe man eine starke Polarisierung zwischen verschiedenen Werthaltungen. Die kleine Gruppe der extremen Verweigerer und die Mehrheit "driften so weit auseinander, dass es keine Bezugspunkte mehr gibt". Das sei in einer Krise zwar nicht unüblich, aber trotzdem sehr problematisch.
Zum größeren Teil der Bevölkerung könne man durch klare Regelungen, die nicht ständig geändert werden und von Bundesland zu Bundesland verschieden sind, wieder einen Draht aufbauen. "Durch das Hickhack verliert man sie aber", so Prainsack. Das hinge aber auch damit zusammen, dass viele nicht das Gefühl hätten, dass die Abläufe fair seien.
Dieses Schema wiederhole sich mit dem aktuellen Lockdown, bei dem wieder der Ruch mitschwingt, dass vor allem auf die Wirtschaft geschaut wird. "Man schaut oft nicht in derselben Intensität darauf, wie es den Leuten geht", so Prainsack. Denn "die große Debatte darüber, wie man etwa die Frauen unterstützt, auf die die Doppelbelastung in erster Linie wieder zukommt", werde nicht geführt: "Da wird sowohl die Kommunikation als auch das Regelwerk von vielen als nicht fair angesehen".
Entscheidungen "wider bessere Evidenz" getroffen
Leider wurden zuletzt viele Entscheidungen "wider bessere Evidenz" getroffen, wenn etwa sehr rasch niederschwelligere Maßnahmen wie das Maskentragen aus populistischen Gründen zurückgenommen wurden. Die am Freitag zumindest leise geäußerte Entschuldigung seitens mancher politischer Vertreter könne in der aktuellen Situation eher keine Wunder bewirken. Eine ehrliche Ansage diesbezüglich hätte noch im vergangenen Jahr vermutlich einen besseren Effekt gehabt. Prainsack: "Ich weiß nicht, ob die Menschen das jetzt verzeihen können."
Die angekündigte Impfpflicht nach dem "leider jetzt notwendigen Lockdown" bezeichnete die Politikwissenschafterin als "extrem schwieriges und riskantes Politikinstrument". Hier hänge vieles von der Ausgestaltung ab. So dürfe sie nur wenige Ausnahmen beinhalten. Eine "Angst vor der Spritze" dürfe hier etwa nicht gelten. Prainsack: "Sonst weicht man das auf und braucht keine Impfpflicht machen." Etwaige Strafen müssten so bemessen sein, dass sie etwa von Impfgegnerorganisationen nicht aus der Portokasse bezahlt werden. Außerdem brauche es eine Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeit. Nur wenn diese drei Faktoren erfüllt werden, "ist eine generelle Impfpflicht in meinen Augen in Erwägung zu ziehen", so die Forscherin, die den Vorstoß als "notwendige Strategie" vorsichtig begrüßt.