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Arbeit in der Krise

Welche Impulse Krisen, Klima und KI für künftige Arbeitsmodelle liefern
Jose Carlos Ichiro / Westend61 / picturedesk.com
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Die Zahl der offenen Stellen in Österreich war zuletzt auf Rekordniveau. Zusätzlich zum immanenten Arbeitskräftemangel und demographischen Wandel, der den Arbeitsmarkt zunehmend unter Druck setzt, sind es vor allem Krisen, Klima und Künstliche Intelligenz (KI), die Impulse für ein Neudenken von Arbeit liefern. Expertinnen und Experten sehen sie als Chance, zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsmodelle voranzutreiben.

Ob beim Blick in die Medien oder bei Gesprächen im Bekanntenkreis – die Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit scheint omnipräsent. Für Politikwissenschafterin Barbara Prainsack sind vor allem die zunehmenden physischen und psychischen Erkrankungen im Kontext von Erwerbsarbeit sowie die ungerechte Verteilung “des Wohlstandskuchens” ein zentraler Anlass, um Arbeit neu zu denken: “Erwerbsarbeit funktioniert für viele arbeitende Menschen nicht mehr länger.” In den vergangenen Jahrzehnten hätten die Löhne in der gesamten industrialisierten Welt mit den Produktionsgewinnen und den Renditen auf Kapitalvermögen nicht Schritt gehalten, so die Professorin der Universität Wien und Vorsitzende eines EU-Beratungsgremiums zu Ethik und neuen Technologien gegenüber APA-Science. Diese Ungerechtigkeit haben aktuelle Krisen wie etwa Energiekrise und Inflation verschärft, sagt auch die Wiener Wirtschaftswissenschafterin Angelika Schmidt.

Facts
  • Buchtipp: Barbara Prainsack: Wofür wir arbeiten, Brandstätter Verlag, 2023
  • „Offener Brief“ von hochrangigen Tech-Experten, die sich für ein Moratorium bei der rasanten Entwicklung leistungsstarker neuer KI-Tools einsetzen
  • Umfrage im Auftrag der Unternehmensberatung PwC zu Chat GPT & KI: Angst um den eigenen Arbeitsplatz
  • Studie: Mobiles Arbeiten nach der Pandemie
  • Klima-Glossar: Green Jobs
  • Studie: Arbeit im Wandel: Deloitte Österreich 2022

 

“Erwerbsarbeit funktioniert für viele arbeitende Menschen nicht mehr länger.” Barbara Prainsack, Universität Wien
Quelle: Statistik Austria, 2012-2022
Kompliziertes Wechselspiel

 

Der Blick auf die Daten untermauert die Umbrüche am Arbeitsmarkt. Die Zahl der offenen Stellen hat im vergangenen Jahr einen Rekordwert erreicht; laut Statistik Austria gab es 2022 im Jahresschnitt 206.500 freie Jobs in österreichischen Unternehmen und damit um 41,4 Prozent mehr als im Jahr 2021. Auch die Suchdauer der Unternehmen stieg deutlich. Die Arbeitslosenquote lag jüngst bei nur 6,2 Prozent und war damit so niedrig wie lange nicht mehr.

 

Der Arbeitskräftemangel, als ein treibender Faktor für die Diskussion über Arbeit, wird sich laut Prognosen in den künftigen Dekaden noch verschärfen, verstärkt durch die demographische Entwicklung. Eine zunehmend ältere Bevölkerung erfordert, den Arbeitsmarkt für neue Erwerbstätige zu öffnen. Zuwanderung und das Werben um Frauen mit Kinderbetreuungspflichten zählen zu den propagierten Hauptstrategien. “Der demographische Wandel ist seit Langem bekannt, man hat nur aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive bisher wenig darauf reagiert”, sagt Schmidt. Das bisherige Austauschgeschäft von Zeit für entlohnte Arbeit sei veraltet: “Das Wechselspiel ist komplizierter geworden”, so die Professorin für Change Management der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Es seien vor allem die Krisen, die uns von außen erinnert haben, dass wir bestimmte Dinge nicht selbstverständlich nehmen sollten.”  

“Krisen haben uns von außen erinnert, dass wir bestimmte Dinge nicht selbstverständlich nehmen sollten.” Angelika Schmidt, Wirtschaftsuniversität Wien

Multiple Krisen als Chance

Die Pandemie brachte einen Digitalisierungsschub und damit auch den verstärkten Einsatz von Home-Office. Arbeiten von daheim wird von Beschäftigten eingefordert, von den Unternehmen angeboten und meist steigt dadurch die Produktivität, lautet so auch das Ergebnis einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte Österreich mit den Universitäten Wien und Graz und mit Fokus auf Büroarbeit.

“New Work” gilt heute als Inbegriff für eine neue Ära von flexiblem und ortsunabhängigem Arbeiten. Home-Office, Crowd-Sourcing, Coworking-Spaces und vieles mehr “erweitert unsere Möglichkeiten, die örtlichen und zeitlichen Dimensionen anders zu gestalten”, so Schmidt, die untersucht, wie Unternehmen auf die neue Arbeitswelt reagieren können. Aber jegliche Modelle von Flexibilität werfen neue Fragen auf, etwa rund um die Erreichbarkeit oder Vertrauenskultur. Die sich stellenden Fragen sind nicht vollständig neu, “aber nach der ersten Euphorie jedenfalls wichtig zu klären”.

Forschen zur Zukunft der Arbeit:

Barbara Prainsack, Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien

Angelika Schmidt, Professorin für Change Management der WU Wien

Wie aber profitiert eine Sozialarbeiterin oder ein Pfleger von New Work, wie lässt sich mehr Flexibilität mit dichten Dienstplänen und Zusatzschichten bzw. dem prinzipiellen Streben nach einem gerechteren Arbeitsmarkt in Einklang bringen? Die Debatte um New Work entspringt vor allem aus jenen Branchen, die eher mit Büroarbeit verbunden sind. Doch den sich aufdrängenden Gedanken einer potenziell elitären Abgehobenheit in der Diskussion relativieren die Expertinnen: “Innovation kann in einem Bereich beginnen und dann weiter greifen. Es ist nicht schlecht, wenn jene, die es sich leisten können, mit dem Experimentieren beginnen”, meint Prainsack. Die Diskussion dürfe aber nicht verkürzt werden, Flexibilisierung sei mehr als das Arbeiten von daheim: “Da geht es z. B. um Flexibilisierung im Sinne von mehr Mit- und Selbstbestimmung durch den Arbeitnehmer, etwa bei der Organisation von Arbeitszeiten oder das Einbeziehen in das Setzen von Zielen. Das ist nicht nur bei Bürojobs möglich.” Das sei beispielsweise auch in Care- und Pflegeberufen diskutier- und umsetzbar. 

> Mehr darüber, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf das mobile Arbeiten hatte und was von dem Digitalisierungs- und Flexibilisierungsschub geblieben ist

Wertewandel, Klimawandel

Die Erfahrungen aus der Pandemie und aktuelle Krisen haben den Blick auf Arbeit verändert. Energiekosten und Inflation verstärken das Problem der ungerechten Verteilung von Produktivitätsgewinnen. Immer mehr Menschen hinterfragen, warum sie mehr bzw. so wie üblich arbeiten sollen. Doch die häufig propagierte These des Generationenproblems, also dass die Jungen nicht mehr wollen, greife hier viel zu kurz: “Diese Zuspitzung des Problems und das Ausspielen der Generationen gegeneinander ist nicht gerechtfertigt”, so die Expertinnen.

> „Es geht nicht um: Keinen Bock auf Arbeit“ – Meinungs- und Jugendforscher Matthias Rohrer im Interview

Es mehren sich vielmehr empirische Hinweise, dass sich ein Wertewandel auch bei den älteren Jahrgängen vollzieht. Zudem stellt sich vermehrt die Frage: Wie wollen wir angesichts der dauerhaften Krise Klimawandel und des Zustandes des Planeten künftig arbeiten? 

Heute gelten die grünen Jobs als wichtiges Investitionsfeld der Zukunft und zur Förderung von Berufen, die zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks des Menschen und der Gesellschaft beitragen (siehe Klima-Glossar: Green Jobs; neue Zahlen zu Green Jobs in Österreich veröffentlicht die Statistik Austria im Mai). Dabei geht die enge Definition der “Green Jobs”, etwa als Berufe im Umweltsektor und mit Beiträgen für nachhaltige Energiewirtschaft, nachhaltiges Bauen oder das Management von Umweltressourcen, einigen nicht weit genug. Beiträge für eine nachhaltige Gesellschaft können oder sollten, meint Prainsack, auch soziale Komponenten beinhalten, etwa bei nachhaltigem Tourismus, Kultur oder Bildung. Arbeit sei der Schlüssel zur weitgehenden Transformation der Gesellschaft.

> Mehr über Spielräume bei der Gestaltung von Erwerbsarbeit, um ein klimafreundlicheres Leben zu ermöglichen, sowie die Verantwortung von Unternehmen und Bildungseinrichtungen

Künstliche Intelligenz 

Nicht zuletzt die Künstliche Intelligenz setzt entscheidende Impulse, die uns bisherige Arbeitspraktiken und Rollenverständnisse hinterfragen lassen. “Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen befürchten, dass Maschinen menschliche Arbeit überflüssig machen und einige wenige sehr reich und die Mehrheit sehr arm werden.” Der Satz erscheint zeitlos, er entstammt einem Kommentar von Wirtschaftshistoriker Robert C. Allen aus dem Jahr 2017 im Journal Nature (doi: 10.1038/550321a). Spätestens mit der Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT von OpenAI im November 2022 und seinen Pendants der Konkurrenz ist die Diskussion um die Zukunft von Arbeit um eine entscheidende Facette reicher.  

Digitalisierung und KI haben zunehmend den Arbeitsalltag verdichtet. So wenig, wie Roboter den Menschen ersetzt haben, werden auch KI und Chatbots Menschen nicht ersetzen, lautet der Expertentenor. Sie sind vielmehr ein weiterer Faktor für die Verschiebung von Arbeitslast und Neugestaltung von Arbeitswelten bzw. Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine. So gilt auch hier für Politikwissenschaftlerin Prainsack: “Die Arbeitsmarktpolitik ist das Grundproblem, es sind nicht die Roboter.” 

“Digitalisierung und Big Data transformieren die Arbeitswelt. Beschäftigte, die nicht anpassungsfähig genug sind, sind dadurch mit neuen Beschäftigungsrisiken konfrontiert”, schreibt Wirtschaftswissenschafter Holger Bonin, designierte Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), in einem Gastkommentar.  Um den Wandel zu begleiten, müsse sich die Arbeitsmarktpolitik nicht ganz neu erfinden: “Es bleiben auch im digitalen und datengetriebenen Strukturwandel zur Beschäftigungssicherung klassische Ansätze der aktiven Arbeitsmarktpolitik zentral, auch wenn sie einer inhaltlichen Nachschärfung bedürfen.”

> Mehr darüber, wie das Teamwork Mensch-KI die Arbeitswelt verändern könnte und wie groß der Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf unsere Arbeitswelt wirklich ist

“Es bleiben auch im digitalen Strukturwandel zur Beschäftigungssicherung klassische Ansätze der aktiven Arbeitsmarktpolitik zentral, auch wenn sie einer inhaltlichen Nachschärfung bedürfen.” Holger Bonin, designierter Direktor des Instituts für Höhere Studien

Etablierte Denkmuster überwinden 

“Wir müssen uns überlegen, wie wir den Diskurs dazu aufsetzen”, so Angelika Schmidt: “Wichtig ist, dass wir anfangen und dabei nicht in schwarz-weiße Denkmuster verfallen.” Dazu zähle auch die Aufgeschlossenheit, einander zuzuhören, etwa bei der Diskussion um die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich.   

“Wenn wir eine Gesellschaft mit guter Arbeit wollen, produktiv, aber gesund, dann müssen wir soziale Sicherungssysteme auf ein neues Fundament stellen”, sagt Barbara Prainsack, die die Aufwertung von der – häufig durch Frauen ausgeübten – Care-Arbeit sowie das bedingungslose Grundeinkommen als zentrale Themen in ihrem aktuellen Buch behandelt und als Instrumente, um Arbeit gerechter zu gestalten (“Wofür wir arbeiten”, Brandstätter Verlag, 2023). 

Neben der Arbeitsmarktpolitik sind es auch die Unternehmen selbst, die gefordert sind. Sie können vor allem viel schneller agieren, meint Wirtschaftsprofessorin Schmidt. Schon die Tatsache, dass die Erwerbstätigen vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels zunehmende Freiheiten bei der Wahl der Jobs haben und damit das lange geltende Prinzip von Angebot und Nachfrage ausgehebelt wird, sollte zum Handeln inspirieren. Es sind heute vor allem die Unternehmen gefragt, mit möglichst attraktiven Angeboten, um Arbeitskräfte zu ringen. Das Kräftefeld hat sich umgekehrt.

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